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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Großbritanniens Gstseopolitik

bei den großen Finanzleuten. Diesen sind durch den Krieg überreiche Gewinne
zugeflossen, deren Fortpflanzung für die Richtung ihrer Gedanken wesentlich
mitbestimmend ist. Ihre Geschäftspolitik wird freilich durch die Überzeugung
gedämpft, daß die Neutralität die sicherste Bürgschaft wirtschaftlichen Gedeihens
ist. Das Ziel ihres Sehnens bleibt aber immer, im Ostseehandel eine führende
Stellung einzunehmen. Daß Großbritannien mit seinen Zukunftsplänen Schweden
hierzu eine helfende Hand entgegenzustrecken vermag, mildert die Entrüstung
über die viele Unbill, die dem Lande jetzt durch die Unterbindung der Zufuhren
und anderes mehr von den angelsächsischen Mächten zugefügt wird.

Im Mittelpunkt aller Erwägungen der schwedischen Verkehrspolitik steht
die Anlegung einer großen Handelsstraße einerseits nach England, anderseits
nach Rußland hinüber. Sie soll den Waren und Reisenden mit Umgehung
Deutschlands einen möglichst kurzen und bequemen Zugang nach dem Osten
eröffnen und zugleich dem Güteraustausch Schwedens nach West und Ost zugute
kommen. Zwischen England und Schweden sollen Dampffähren den Verkehr
vermitteln, die von Newcastls oder Grimsby auslaufen und im schwedische"
Gotenburg den nach Kavpelskär führenden Schienenstrang erreichen. Vom
schwedischen Ufer soll alsdann eine Fährverbindung nach dem ftnnländischen
Abo eingerichtet werden, von wo aus die Bahnbeförderung nach Petersburg
oder jedem andern beliebigen Punkt Rußlands erfolgen könnte. Nach einem
andern Vorschlag soll die Ueberfahrt über die Ostsee (anstatt nach dem finn-
ländischen Ufer) nach Baltischport, dem Vorhafen Revals an der Küste
Estlands, gehen.

Daß der Plan sich verwirklichen läßt und auch das erforderliche Anlage¬
kapital aufzubringen wäre, scheint zweifellos. Schwieriger ist die Frage zu
bejahen, ob von dem Verkehrsunternehmen eine normale Rentabilität zu erwarten
ist. Die Rechnung kann im voraus auf dem Papier schlechterdings nicht auf¬
gemacht werden, weil wirtschaftliche und politische Momente in Bettacht kommen,
die sich gar nicht festlegen lassen, solange die zukünftige Verkehrsentwicklung in
den nordischen Staaten sich nicht deutlicher abhebt. Da die Linie von England
über Schweden nach Rußland mit der Route Vlissingen--Berlin--Wirballen in
Wettbewerb treten soll, so werden Fahrzeit und Frachtpreise vor allem von
maßgebender Bedeutung sein. Nach vorläufigen Veranschlagungen wird ange¬
nommen, daß die Strecke London--Petersburg auf beiden Wegen in etwa
50 Stunden zurückgelegt werden könnte. Vielleicht werden auch die Frachtraten
über Schweden nicht höher als auf der bisherigen Tour sich bemessen lassen.
Damit ist die Konkurrenz aber noch keineswegs abgetan. Die Erleichterungen
in den Umschlags- und Endhäfen, sowie alle Vorkehrungen für eine prompte
Beförderung müssen annähernd gleichwertig sein, um die Gunst des großen
Verkehrs einer neuen Konkurrenzlinie zuzuwenden. In schwedischen Kaufmanns¬
kreisen hofft man. aus der ausgeprägten Abneigung der englisch-russischen
Handelswelt gegen irgendwelche Begünstigung des deutschen Transithandels


Großbritanniens Gstseopolitik

bei den großen Finanzleuten. Diesen sind durch den Krieg überreiche Gewinne
zugeflossen, deren Fortpflanzung für die Richtung ihrer Gedanken wesentlich
mitbestimmend ist. Ihre Geschäftspolitik wird freilich durch die Überzeugung
gedämpft, daß die Neutralität die sicherste Bürgschaft wirtschaftlichen Gedeihens
ist. Das Ziel ihres Sehnens bleibt aber immer, im Ostseehandel eine führende
Stellung einzunehmen. Daß Großbritannien mit seinen Zukunftsplänen Schweden
hierzu eine helfende Hand entgegenzustrecken vermag, mildert die Entrüstung
über die viele Unbill, die dem Lande jetzt durch die Unterbindung der Zufuhren
und anderes mehr von den angelsächsischen Mächten zugefügt wird.

Im Mittelpunkt aller Erwägungen der schwedischen Verkehrspolitik steht
die Anlegung einer großen Handelsstraße einerseits nach England, anderseits
nach Rußland hinüber. Sie soll den Waren und Reisenden mit Umgehung
Deutschlands einen möglichst kurzen und bequemen Zugang nach dem Osten
eröffnen und zugleich dem Güteraustausch Schwedens nach West und Ost zugute
kommen. Zwischen England und Schweden sollen Dampffähren den Verkehr
vermitteln, die von Newcastls oder Grimsby auslaufen und im schwedische»
Gotenburg den nach Kavpelskär führenden Schienenstrang erreichen. Vom
schwedischen Ufer soll alsdann eine Fährverbindung nach dem ftnnländischen
Abo eingerichtet werden, von wo aus die Bahnbeförderung nach Petersburg
oder jedem andern beliebigen Punkt Rußlands erfolgen könnte. Nach einem
andern Vorschlag soll die Ueberfahrt über die Ostsee (anstatt nach dem finn-
ländischen Ufer) nach Baltischport, dem Vorhafen Revals an der Küste
Estlands, gehen.

Daß der Plan sich verwirklichen läßt und auch das erforderliche Anlage¬
kapital aufzubringen wäre, scheint zweifellos. Schwieriger ist die Frage zu
bejahen, ob von dem Verkehrsunternehmen eine normale Rentabilität zu erwarten
ist. Die Rechnung kann im voraus auf dem Papier schlechterdings nicht auf¬
gemacht werden, weil wirtschaftliche und politische Momente in Bettacht kommen,
die sich gar nicht festlegen lassen, solange die zukünftige Verkehrsentwicklung in
den nordischen Staaten sich nicht deutlicher abhebt. Da die Linie von England
über Schweden nach Rußland mit der Route Vlissingen—Berlin—Wirballen in
Wettbewerb treten soll, so werden Fahrzeit und Frachtpreise vor allem von
maßgebender Bedeutung sein. Nach vorläufigen Veranschlagungen wird ange¬
nommen, daß die Strecke London—Petersburg auf beiden Wegen in etwa
50 Stunden zurückgelegt werden könnte. Vielleicht werden auch die Frachtraten
über Schweden nicht höher als auf der bisherigen Tour sich bemessen lassen.
Damit ist die Konkurrenz aber noch keineswegs abgetan. Die Erleichterungen
in den Umschlags- und Endhäfen, sowie alle Vorkehrungen für eine prompte
Beförderung müssen annähernd gleichwertig sein, um die Gunst des großen
Verkehrs einer neuen Konkurrenzlinie zuzuwenden. In schwedischen Kaufmanns¬
kreisen hofft man. aus der ausgeprägten Abneigung der englisch-russischen
Handelswelt gegen irgendwelche Begünstigung des deutschen Transithandels


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/341>, abgerufen am 03.07.2024.