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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Großbritanniens Vstseexolitik

Jahrhunderts sich hingegeben hatte, ist in den letzten Jahrzehnten einem rührigen
Aufwärtsstreben gewichen. Der wirtschaftliche Aufschwung der nordeuropäischen
Staaten hat anspornend und vorbildlich auf die schwedische Volkswirtschatf
eingewirkt, und die kapitalistische Kräftigung hat den Bann der bedachtsamen
Zurückhaltung, einer Folge der früher knapperen Wohlstandsverhältnisse, ge¬
brochen. Die steigende Nachfrage auswärtiger Staaten nach den Schätzen des
Landes an Eisen und Holz war der praktischen Gestaltung des Angebots
förderlich. Die Bedingungen für die eigene Bearbeitung der heimischen Rohstoffe
lagen, zumal beim Vorhandensein der gewaltigen Wasserkräfte, zu günstig, um
nicht von einer unternehmungsfreudigen Industrie im Landesinteresse ausgenutzt
zu werden. Die fortschreitende Industrialisierung mußte auch dem Seehandel,
als dem Wegleiter zu den Absatzmärkten des Auslandes, als Antrieb und
Vorspann dienen. Der Aufschwung der schwedischen Seeschiffahrt ist außer¬
ordentlich; er zeigt sich nicht nur in dem zahlenmäßig zu belegenden sehr be¬
trächtlichen Anwachsen der schwedischen Handelsflotte, sondern auch in den
Raumgrötzen der Fahrzeuge und im Vordringen des Dampferverkehrs; er be¬
schränkt sich auch längst nicht mehr auf den Umkreis der Ostsee, sondern sucht
erfolgreiche Anknüpfung in Nordseefahrten und transozeanischen Unternehmungen.

Die Ausbreitung der heimischen Industrie und des Seeverkehrs übte auf
die wirtschaftspolitische Stellungnahme Schwedens und im Zusammenhange
damit sogar auf dessen politische Orientierung bestimmende Einflüsse aus. In¬
dem das Land neben der Rohstoffproduktion einer erweiterten Jndustrieförderung
sich zuwandte, erhielten auch seine Einfuhrbedürfnisse und Ausfuhrziele eine
veränderte Richtung. Bei der Einfuhr von fremdländischen Jndustrieerzeugnissen
mußte auf den Schutz der eigenen Industrie Bedacht genommen werden und
im Überseehandel sollten im Hinblick auf den Wettbewerb der weit überlegenen
alten Industrieländer solche Absatzmärkte hauptsächlich bevorzugt werden, die
den schwedischen Hertunften bessere Aussichten eröffneten. Eine starke schutz-
zöllnerische Strömung, lebhaft begünstigt aus den eng verbundenen Kreisen der
Großindustrie und des Bankenkapitals, hat infolgedessen platzgegriffen. Es
liegt auch nahe, daß beim Ausspähen nach vorteilhaften Geschäftsverbindungen
die Blicke nach Osten und Südosten auf die zukunftsreichen Gebiete sich richteten,
in denen in verklungenen Tagen die schwedische Großmacht eine beherrschende
Stellung eingenommen hatte. Die Pflege guter Beziehungen zu Rußland ist
daher ein Eckstein der schwedischen Wirtschaftspolitik/ In diesem Punkte treffen
die Wünsche Schwedens und Englands zusammen und geben für den Gedanken
des Zusammenwirkens der beiden Staaten eine wertvolle Stütze ab. Wer
diesen Erwägungen wirtschaftlicher Annäherung nähertritt, findet vielleicht auch
den Schlüssel zu manchen deutschfeindlichen Stimmungen in Schweden. Der
sattsam bekannte Branting, der mit oder ohne materiellen Eigennutz für die
politische Orientierung nach der Seite der Westmächte hin seinen großen Einfluß
aufbietet, ist ja keine vereinzelte Erscheinung, sondern findet lebhaftes Verständnis


Großbritanniens Vstseexolitik

Jahrhunderts sich hingegeben hatte, ist in den letzten Jahrzehnten einem rührigen
Aufwärtsstreben gewichen. Der wirtschaftliche Aufschwung der nordeuropäischen
Staaten hat anspornend und vorbildlich auf die schwedische Volkswirtschatf
eingewirkt, und die kapitalistische Kräftigung hat den Bann der bedachtsamen
Zurückhaltung, einer Folge der früher knapperen Wohlstandsverhältnisse, ge¬
brochen. Die steigende Nachfrage auswärtiger Staaten nach den Schätzen des
Landes an Eisen und Holz war der praktischen Gestaltung des Angebots
förderlich. Die Bedingungen für die eigene Bearbeitung der heimischen Rohstoffe
lagen, zumal beim Vorhandensein der gewaltigen Wasserkräfte, zu günstig, um
nicht von einer unternehmungsfreudigen Industrie im Landesinteresse ausgenutzt
zu werden. Die fortschreitende Industrialisierung mußte auch dem Seehandel,
als dem Wegleiter zu den Absatzmärkten des Auslandes, als Antrieb und
Vorspann dienen. Der Aufschwung der schwedischen Seeschiffahrt ist außer¬
ordentlich; er zeigt sich nicht nur in dem zahlenmäßig zu belegenden sehr be¬
trächtlichen Anwachsen der schwedischen Handelsflotte, sondern auch in den
Raumgrötzen der Fahrzeuge und im Vordringen des Dampferverkehrs; er be¬
schränkt sich auch längst nicht mehr auf den Umkreis der Ostsee, sondern sucht
erfolgreiche Anknüpfung in Nordseefahrten und transozeanischen Unternehmungen.

Die Ausbreitung der heimischen Industrie und des Seeverkehrs übte auf
die wirtschaftspolitische Stellungnahme Schwedens und im Zusammenhange
damit sogar auf dessen politische Orientierung bestimmende Einflüsse aus. In¬
dem das Land neben der Rohstoffproduktion einer erweiterten Jndustrieförderung
sich zuwandte, erhielten auch seine Einfuhrbedürfnisse und Ausfuhrziele eine
veränderte Richtung. Bei der Einfuhr von fremdländischen Jndustrieerzeugnissen
mußte auf den Schutz der eigenen Industrie Bedacht genommen werden und
im Überseehandel sollten im Hinblick auf den Wettbewerb der weit überlegenen
alten Industrieländer solche Absatzmärkte hauptsächlich bevorzugt werden, die
den schwedischen Hertunften bessere Aussichten eröffneten. Eine starke schutz-
zöllnerische Strömung, lebhaft begünstigt aus den eng verbundenen Kreisen der
Großindustrie und des Bankenkapitals, hat infolgedessen platzgegriffen. Es
liegt auch nahe, daß beim Ausspähen nach vorteilhaften Geschäftsverbindungen
die Blicke nach Osten und Südosten auf die zukunftsreichen Gebiete sich richteten,
in denen in verklungenen Tagen die schwedische Großmacht eine beherrschende
Stellung eingenommen hatte. Die Pflege guter Beziehungen zu Rußland ist
daher ein Eckstein der schwedischen Wirtschaftspolitik/ In diesem Punkte treffen
die Wünsche Schwedens und Englands zusammen und geben für den Gedanken
des Zusammenwirkens der beiden Staaten eine wertvolle Stütze ab. Wer
diesen Erwägungen wirtschaftlicher Annäherung nähertritt, findet vielleicht auch
den Schlüssel zu manchen deutschfeindlichen Stimmungen in Schweden. Der
sattsam bekannte Branting, der mit oder ohne materiellen Eigennutz für die
politische Orientierung nach der Seite der Westmächte hin seinen großen Einfluß
aufbietet, ist ja keine vereinzelte Erscheinung, sondern findet lebhaftes Verständnis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/340>, abgerufen am 03.07.2024.