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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Missingsch

Mecklenburg dar, die in der holländischen Färbung ihres Missingsch auch
sprachlich eine andere Spielart der mecklenburgischen Wirklichkeit spiegelt.

Denn wie jede echte Mischsprache ist das Missingsch vor allem gesprochene
Sprache. Als in der Zeit der Klassiker das gebildete Norddeutschland am
Aufstieg unserer Literatur lebendigen Anteil nahm und darüber einsprachig
hochdeutsch wurde, da blieben die mittleren Schichten, das Kleinbürgertum,
zurück. Sie schämten sich des heimischen niederdeutsch in der neuen Umgebung
und erhoben darum das Missingsch zu einer Art Bürgersprache mit festeren
Farmer. Der Gesamterscheinung ist dabei doch ihr wandelbarer Grundcharakter
geblieben. Was durch Reuter und Brmckmcm literarisch dauernde Bedeutung
erlangt hat, ist und bleibt im sprachlichen Leben Übergangserscheinung. Immer
neue Schichten wachsen in die hochdeutsche Bildungssprache hinüber und hinauf,
die niederdeutschen Bestandteile des Missingschen verfeinern und verflüchtigen
sich, sozial gleitet es in niedrigere Schichten und wird in den Städten nur
durch starken Zustrom vom Lande bei Leben erhalten. Es hat seine Mission
für den einzelnen wie für die Gesamtheit erfüllt, indem es weite Kreise zum
Übergang ins reine Schriftdeutsch reif macht.

Aus vollem Leben heraus schildert den Vorgang Johannes Thiessen im
10. Kapitel seines Buchs "Kindheit"*). In Thiessens Elternhaus war das
holsteinische Platt die unbedingt herrschende Sprache, noch heute spricht er, der
hochdeutsche Bücher drucken läßt, mit seinen Eltern nur niederdeutsch. Aber
mit den Geschwistern schon steht es anders: da haben Bildung und Beruf,
Verkehr und allerhand Rücksichten den Übergang zur hochdeutschen Sprache er¬
zwungen. Nur, wo die Geschwister in einer Unterhaltung ihre heiligsten Er¬
innerungen berühren, da können sie nicht anders als zum Plattdeutschen greifen.
Das Kauderwelsch aus Hoch- und Plattdeutsch aber, das sie als Kinder von
den "gewöhnlichen" Leuten hörten, reizte mehr zum Lachen und Spotten, als
zum Lieben und Bewundern. Als köstlichen Spaß versuchten und genossen sie
die missingschen Formen, Johannes als verwöhnter Jüngster nannte seine
Schwester Christine Deine und die Sauce (niederdeutsch sehn) Lene-ne, wie er
für et!n und Küre seiner Muttersprache in der Schule dein und heute zu setzen
gelernt hatte. Dabei sonnte er sich in den Heiterkeitserfolgen, die sein Missingsch
davontrug. Der Mangel an Achtung gegen die angestammte Muttersprache,
der in solchen Entstellungen lag, geht aber noch dem Erwachsenen nach und
liegt im Kampf mit seinem ausgeprägten Heimat- und Stammesgefühl, mit
Denken und Empfinden, Sitte und Art. Denn die bleibt niederdeutsch und
verlangt nach unverfälschter Ausprägung auch in der Sprache, wie es ein
andermal Hertha Koenig**) so zart wie treffend symbolisiert: "Aber die Ge¬
schichte vom kleinen Bruder hatte sie ihr doch mal erzählt, ganz leise, und wenn
es geheimnisvoll wurde, redete sie platt."




*) Bücher der Rose Band 25, München und Leipzig (1917), S. 229 ff.
**) Die kleine und die große Liebe, Berlin 1917, S. 13 f.
Missingsch

Mecklenburg dar, die in der holländischen Färbung ihres Missingsch auch
sprachlich eine andere Spielart der mecklenburgischen Wirklichkeit spiegelt.

Denn wie jede echte Mischsprache ist das Missingsch vor allem gesprochene
Sprache. Als in der Zeit der Klassiker das gebildete Norddeutschland am
Aufstieg unserer Literatur lebendigen Anteil nahm und darüber einsprachig
hochdeutsch wurde, da blieben die mittleren Schichten, das Kleinbürgertum,
zurück. Sie schämten sich des heimischen niederdeutsch in der neuen Umgebung
und erhoben darum das Missingsch zu einer Art Bürgersprache mit festeren
Farmer. Der Gesamterscheinung ist dabei doch ihr wandelbarer Grundcharakter
geblieben. Was durch Reuter und Brmckmcm literarisch dauernde Bedeutung
erlangt hat, ist und bleibt im sprachlichen Leben Übergangserscheinung. Immer
neue Schichten wachsen in die hochdeutsche Bildungssprache hinüber und hinauf,
die niederdeutschen Bestandteile des Missingschen verfeinern und verflüchtigen
sich, sozial gleitet es in niedrigere Schichten und wird in den Städten nur
durch starken Zustrom vom Lande bei Leben erhalten. Es hat seine Mission
für den einzelnen wie für die Gesamtheit erfüllt, indem es weite Kreise zum
Übergang ins reine Schriftdeutsch reif macht.

Aus vollem Leben heraus schildert den Vorgang Johannes Thiessen im
10. Kapitel seines Buchs „Kindheit"*). In Thiessens Elternhaus war das
holsteinische Platt die unbedingt herrschende Sprache, noch heute spricht er, der
hochdeutsche Bücher drucken läßt, mit seinen Eltern nur niederdeutsch. Aber
mit den Geschwistern schon steht es anders: da haben Bildung und Beruf,
Verkehr und allerhand Rücksichten den Übergang zur hochdeutschen Sprache er¬
zwungen. Nur, wo die Geschwister in einer Unterhaltung ihre heiligsten Er¬
innerungen berühren, da können sie nicht anders als zum Plattdeutschen greifen.
Das Kauderwelsch aus Hoch- und Plattdeutsch aber, das sie als Kinder von
den „gewöhnlichen" Leuten hörten, reizte mehr zum Lachen und Spotten, als
zum Lieben und Bewundern. Als köstlichen Spaß versuchten und genossen sie
die missingschen Formen, Johannes als verwöhnter Jüngster nannte seine
Schwester Christine Deine und die Sauce (niederdeutsch sehn) Lene-ne, wie er
für et!n und Küre seiner Muttersprache in der Schule dein und heute zu setzen
gelernt hatte. Dabei sonnte er sich in den Heiterkeitserfolgen, die sein Missingsch
davontrug. Der Mangel an Achtung gegen die angestammte Muttersprache,
der in solchen Entstellungen lag, geht aber noch dem Erwachsenen nach und
liegt im Kampf mit seinem ausgeprägten Heimat- und Stammesgefühl, mit
Denken und Empfinden, Sitte und Art. Denn die bleibt niederdeutsch und
verlangt nach unverfälschter Ausprägung auch in der Sprache, wie es ein
andermal Hertha Koenig**) so zart wie treffend symbolisiert: „Aber die Ge¬
schichte vom kleinen Bruder hatte sie ihr doch mal erzählt, ganz leise, und wenn
es geheimnisvoll wurde, redete sie platt."




*) Bücher der Rose Band 25, München und Leipzig (1917), S. 229 ff.
**) Die kleine und die große Liebe, Berlin 1917, S. 13 f.
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[0328] Missingsch Mecklenburg dar, die in der holländischen Färbung ihres Missingsch auch sprachlich eine andere Spielart der mecklenburgischen Wirklichkeit spiegelt. Denn wie jede echte Mischsprache ist das Missingsch vor allem gesprochene Sprache. Als in der Zeit der Klassiker das gebildete Norddeutschland am Aufstieg unserer Literatur lebendigen Anteil nahm und darüber einsprachig hochdeutsch wurde, da blieben die mittleren Schichten, das Kleinbürgertum, zurück. Sie schämten sich des heimischen niederdeutsch in der neuen Umgebung und erhoben darum das Missingsch zu einer Art Bürgersprache mit festeren Farmer. Der Gesamterscheinung ist dabei doch ihr wandelbarer Grundcharakter geblieben. Was durch Reuter und Brmckmcm literarisch dauernde Bedeutung erlangt hat, ist und bleibt im sprachlichen Leben Übergangserscheinung. Immer neue Schichten wachsen in die hochdeutsche Bildungssprache hinüber und hinauf, die niederdeutschen Bestandteile des Missingschen verfeinern und verflüchtigen sich, sozial gleitet es in niedrigere Schichten und wird in den Städten nur durch starken Zustrom vom Lande bei Leben erhalten. Es hat seine Mission für den einzelnen wie für die Gesamtheit erfüllt, indem es weite Kreise zum Übergang ins reine Schriftdeutsch reif macht. Aus vollem Leben heraus schildert den Vorgang Johannes Thiessen im 10. Kapitel seines Buchs „Kindheit"*). In Thiessens Elternhaus war das holsteinische Platt die unbedingt herrschende Sprache, noch heute spricht er, der hochdeutsche Bücher drucken läßt, mit seinen Eltern nur niederdeutsch. Aber mit den Geschwistern schon steht es anders: da haben Bildung und Beruf, Verkehr und allerhand Rücksichten den Übergang zur hochdeutschen Sprache er¬ zwungen. Nur, wo die Geschwister in einer Unterhaltung ihre heiligsten Er¬ innerungen berühren, da können sie nicht anders als zum Plattdeutschen greifen. Das Kauderwelsch aus Hoch- und Plattdeutsch aber, das sie als Kinder von den „gewöhnlichen" Leuten hörten, reizte mehr zum Lachen und Spotten, als zum Lieben und Bewundern. Als köstlichen Spaß versuchten und genossen sie die missingschen Formen, Johannes als verwöhnter Jüngster nannte seine Schwester Christine Deine und die Sauce (niederdeutsch sehn) Lene-ne, wie er für et!n und Küre seiner Muttersprache in der Schule dein und heute zu setzen gelernt hatte. Dabei sonnte er sich in den Heiterkeitserfolgen, die sein Missingsch davontrug. Der Mangel an Achtung gegen die angestammte Muttersprache, der in solchen Entstellungen lag, geht aber noch dem Erwachsenen nach und liegt im Kampf mit seinem ausgeprägten Heimat- und Stammesgefühl, mit Denken und Empfinden, Sitte und Art. Denn die bleibt niederdeutsch und verlangt nach unverfälschter Ausprägung auch in der Sprache, wie es ein andermal Hertha Koenig**) so zart wie treffend symbolisiert: „Aber die Ge¬ schichte vom kleinen Bruder hatte sie ihr doch mal erzählt, ganz leise, und wenn es geheimnisvoll wurde, redete sie platt." *) Bücher der Rose Band 25, München und Leipzig (1917), S. 229 ff. **) Die kleine und die große Liebe, Berlin 1917, S. 13 f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/328>, abgerufen am 29.06.2024.