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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Missingsch

geworden etwa zur gleichen Zeit, da von hochdeutscher Seite, zuerst nachweisbar
bei dem Erfurter Kaspar Stieler (1691) das niederdeutsch als Sprache des
Platten Landes, im Gegensatz zu der der Städte, plattdeutsch genannt wurde,
was von Haus aus gewiß nicht als Lob gemeint war.

Als am 20. Oktober 1729 Professor Ernst Johann Friedrich Mantzel
(1699 bis 1768) Rektor der Universität Rostock wurde, da nahten ihm seine
Studenten mit einem witzigen "Gratultr-Gedicht in Messinger Sprache", wobei
man mes8inZer als Kürzung aus ins88inZensr beurteilen darf*). Derselbe
Mantzel verheißt in seinen "Bützowschen Ruhestunden" (1761) I 68, eine
Arbeit über die mecklenburgische Sprache, die er leider nie vollendet hat.
"da denn auch das Mecklenburgische messingsche deutsch, wie man es zu
heißen pflegte, nemlich das, aus dem hoch- und platdeutschen, gemischte . . .
erscheinen wird."

Diese frühesten Belege für den Namen der Mischsprache bleiben fast um
ein Jahrhundert hinter ihrem ersten literarischen Gebrauch zurück: 1637 läßt
Magister Daniel Friderici in seinem "Tobias" einen Narren ein hoch-nieder¬
deutsches Kauderwelsch sprechen, in der sonst rein niederdeutschen Posse "Teweschen
Hochtydt" (Hamburg 1640) spricht ein hamburgischerMnkeladvokat Missingsch.
Kurz nach Mantzels Tagen versucht Matthias Claudius 1772 in seiner
"Disputation . . . unter Vorsitz des Herrn Lars" ein literarisches Platt, das
ihm aber mißlungen ist, weil er die Aufgabe gar zu leicht nahm. Um so
glücklicher verwertet Johann Gottwerth Müller von Itzehoe in seinem komischen
Roman "Siegfried von Lindenberg" (Hamburg 1779) das Missingsch des
holsteinischen Kleinbürgers. Indem er dabei den Schauplatz seiner Handlung
erweitert und sich ein erstes Mal dem Ziel nähert, ein Gesamtbild nord¬
deutschen Lebens zu bieten, weist er dem literarischen Missingsch die Entwick¬
lung, die es bei den drei mecklenburgischen Erzählern des neunzehnten Jahr¬
hunderts genommen hat. Fritz Reuter läßt seinen Köster Subr das unbeholfen
grobe Missingsch des mecklenburgischen Dorfschulmeisters sprechen, der sein Hoch¬
deutsch nur unvollkommen beherrscht. Stillfried arbeitet diese Sprache viel
feiner heraus, bleibt aber mit seinem alten Vater Goldmann beim Typus dieses
selben Dorfschulmeisters stehen, indessen Reuter mit der eigenen Entwicklung
die Prachtgestalt seines Inspektors Bräsig wachsen läßt und dessen Sprache mit
reifer Kunst zu vollem Einklang mit seiner ländlichen Umgebung gestaltet.
John Brinckman endlich stellt in seinem Kappen Pott die Seeseite des Landes



") So Conrad Borchling. der vor der Hamburger Hauptversammlung des Deutschen
Sprachvereins 1914 über "Sprachcharakter und literarische Verwendung des sogenannten
Missingsch" gesprochen und 1916 den Festvortrag in abschließender Form im 37. der Wissen¬
schaftlicher Beihefte zur Zeitschrift des Sprachvereins veröffentlicht hat. Dagegen stellt
^ehaghel Zeitschrift des Sprachvereins Jahrgang 1914 Spalte 315 messinxer als Her.
Eisbereitung zu Meißen wie Schlefinger zu Schlesien,
Missingsch

geworden etwa zur gleichen Zeit, da von hochdeutscher Seite, zuerst nachweisbar
bei dem Erfurter Kaspar Stieler (1691) das niederdeutsch als Sprache des
Platten Landes, im Gegensatz zu der der Städte, plattdeutsch genannt wurde,
was von Haus aus gewiß nicht als Lob gemeint war.

Als am 20. Oktober 1729 Professor Ernst Johann Friedrich Mantzel
(1699 bis 1768) Rektor der Universität Rostock wurde, da nahten ihm seine
Studenten mit einem witzigen „Gratultr-Gedicht in Messinger Sprache", wobei
man mes8inZer als Kürzung aus ins88inZensr beurteilen darf*). Derselbe
Mantzel verheißt in seinen „Bützowschen Ruhestunden" (1761) I 68, eine
Arbeit über die mecklenburgische Sprache, die er leider nie vollendet hat.
„da denn auch das Mecklenburgische messingsche deutsch, wie man es zu
heißen pflegte, nemlich das, aus dem hoch- und platdeutschen, gemischte . . .
erscheinen wird."

Diese frühesten Belege für den Namen der Mischsprache bleiben fast um
ein Jahrhundert hinter ihrem ersten literarischen Gebrauch zurück: 1637 läßt
Magister Daniel Friderici in seinem „Tobias" einen Narren ein hoch-nieder¬
deutsches Kauderwelsch sprechen, in der sonst rein niederdeutschen Posse „Teweschen
Hochtydt" (Hamburg 1640) spricht ein hamburgischerMnkeladvokat Missingsch.
Kurz nach Mantzels Tagen versucht Matthias Claudius 1772 in seiner
»Disputation . . . unter Vorsitz des Herrn Lars" ein literarisches Platt, das
ihm aber mißlungen ist, weil er die Aufgabe gar zu leicht nahm. Um so
glücklicher verwertet Johann Gottwerth Müller von Itzehoe in seinem komischen
Roman „Siegfried von Lindenberg" (Hamburg 1779) das Missingsch des
holsteinischen Kleinbürgers. Indem er dabei den Schauplatz seiner Handlung
erweitert und sich ein erstes Mal dem Ziel nähert, ein Gesamtbild nord¬
deutschen Lebens zu bieten, weist er dem literarischen Missingsch die Entwick¬
lung, die es bei den drei mecklenburgischen Erzählern des neunzehnten Jahr¬
hunderts genommen hat. Fritz Reuter läßt seinen Köster Subr das unbeholfen
grobe Missingsch des mecklenburgischen Dorfschulmeisters sprechen, der sein Hoch¬
deutsch nur unvollkommen beherrscht. Stillfried arbeitet diese Sprache viel
feiner heraus, bleibt aber mit seinem alten Vater Goldmann beim Typus dieses
selben Dorfschulmeisters stehen, indessen Reuter mit der eigenen Entwicklung
die Prachtgestalt seines Inspektors Bräsig wachsen läßt und dessen Sprache mit
reifer Kunst zu vollem Einklang mit seiner ländlichen Umgebung gestaltet.
John Brinckman endlich stellt in seinem Kappen Pott die Seeseite des Landes



") So Conrad Borchling. der vor der Hamburger Hauptversammlung des Deutschen
Sprachvereins 1914 über „Sprachcharakter und literarische Verwendung des sogenannten
Missingsch" gesprochen und 1916 den Festvortrag in abschließender Form im 37. der Wissen¬
schaftlicher Beihefte zur Zeitschrift des Sprachvereins veröffentlicht hat. Dagegen stellt
^ehaghel Zeitschrift des Sprachvereins Jahrgang 1914 Spalte 315 messinxer als Her.
Eisbereitung zu Meißen wie Schlefinger zu Schlesien,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/327>, abgerufen am 01.07.2024.