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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Gin verhältnislvahlverfahren als politisches Machtmittel

Millionen von Stimmen für wenige Personen rechnet, dürfte darin seinen Grund
haben, daß er den bürgerlichen Parteien in ihrer Zersplitterung nicht die Partei-
disziplin zutraut, die nötig ist. um solche Stimmenvergeudung zu verhindern.
Ganz unrecht hat er damit gewiß nicht, wenn zwar die Annahme, daß auf
acht Personen sechs Millionen Stimmen vergeudet werden könnten, etwas gar
zu viel Parteioptimismus enthalten mag.

Aber selbst, wenn jede unnütze Stimmenanhäufung völlig vermieden und.
würde die Sozialdemokratie mit ungefähr drei Millionen Wählern gegenüber
sieben Millionen Stimmen aller anderen Parteigruppen dennoch stark im Vorteü
sein. Denn die sieben Millionen Stimmen bürgerlicher Wähler würden sich
auf fo viele Kandidaten verteilen, daß im einzelnen doch immer wieder tue
Sozialdemokraten die höchstbestimmten sein würden. Um dies Ziel sicher zu
erreichen, würde von Partei wegen die Zahl der Kandidaten -- sei es von
vornherein, sei es vielleicht erst im Verlause des Wahlkampfes nach Maßgabe
der sichtbar werdenden Verhältnisse der bürgerlichen Kandidaturen -- vorsorglich
herabgesetzt werden können. Wenn die Sozialdemokratie nur zweihundertund-
fünf oder zweihundertundzehn Kandidaten zur Wahl stellte, wären die Chancen,
sie alle durchzubringen, sehr groß und die Majorität in der Volksvertretung
hätte die Partei dann doch.

Gegenüber diesen tatsächlichen Konsequenzen ist es verwunderlich, daß
Südckum sein Verhältniswahlsystem als "wissenschaftlich einwandfrei" empfiehlt.
Damit kann der falschen Sache kein richtiger Kurs gegeben werden. Der
Hinweis auf das "statistische Gesetz von der großen Zahl" ist ganz bedeutungs¬
los. Das käme allenfalls in Frage, wenn sämtliche Kandidaten mit größerer
Stimmenzahl dadurch Abgeordnete würden. Da aber nur vierhundert gewählt
werden, während vielleicht weitere tausend oder mehr ebenfalls hohe, wenn
schon weniger hohe Stimmziffern aufzuweisen haben, ohne damit gewählt zu
sein, so kann von einer wissenschaftlich begründeten Ableitung des "politischen
Volkswillens" dabei wirklich keine Rede sein.

Wenn es Südekum faktisch auf eine verhältnismäßige Volksvertretung an¬
käme, würde er die Verhältniswahl in anderer Form vorgeschlagen oder etwa
den Abgeordneten gemäß der auf sie fallenden Stimmenzahl ein verschiedenes
Stimmgewicht zugebilligt haben. Auf Billigkeit und Gerechtigkeit oder auf
naturgetreue Abbildung der Volksmeinung ist das Südekumsche Wahlversahren
jedoch eben nicht, sondern darauf zugeschnitten, der sozialdemokratischen Partei
über das Verhältnis ihrer Wählerzahl hinaus zur Majorität in der Volks¬
vertretung zu verhelfen.

Diese zweifellose Tendenz des Vorschlages ist nicht einfach als das Be¬
streben eines Parteimannes zu bewerten, den politischen Einfluß seiner Partei
durch ein günstigeres Wahlverfahren tunlichst zu vermehren. Im gegebenen
Falle bedeutet es weit mehr, etwas ganz anderes. Südekum ist offenbar von
dem Gedanken ausgegangen, daß demnächst die Stunde für die Übernahme der


Gin verhältnislvahlverfahren als politisches Machtmittel

Millionen von Stimmen für wenige Personen rechnet, dürfte darin seinen Grund
haben, daß er den bürgerlichen Parteien in ihrer Zersplitterung nicht die Partei-
disziplin zutraut, die nötig ist. um solche Stimmenvergeudung zu verhindern.
Ganz unrecht hat er damit gewiß nicht, wenn zwar die Annahme, daß auf
acht Personen sechs Millionen Stimmen vergeudet werden könnten, etwas gar
zu viel Parteioptimismus enthalten mag.

Aber selbst, wenn jede unnütze Stimmenanhäufung völlig vermieden und.
würde die Sozialdemokratie mit ungefähr drei Millionen Wählern gegenüber
sieben Millionen Stimmen aller anderen Parteigruppen dennoch stark im Vorteü
sein. Denn die sieben Millionen Stimmen bürgerlicher Wähler würden sich
auf fo viele Kandidaten verteilen, daß im einzelnen doch immer wieder tue
Sozialdemokraten die höchstbestimmten sein würden. Um dies Ziel sicher zu
erreichen, würde von Partei wegen die Zahl der Kandidaten — sei es von
vornherein, sei es vielleicht erst im Verlause des Wahlkampfes nach Maßgabe
der sichtbar werdenden Verhältnisse der bürgerlichen Kandidaturen — vorsorglich
herabgesetzt werden können. Wenn die Sozialdemokratie nur zweihundertund-
fünf oder zweihundertundzehn Kandidaten zur Wahl stellte, wären die Chancen,
sie alle durchzubringen, sehr groß und die Majorität in der Volksvertretung
hätte die Partei dann doch.

Gegenüber diesen tatsächlichen Konsequenzen ist es verwunderlich, daß
Südckum sein Verhältniswahlsystem als „wissenschaftlich einwandfrei" empfiehlt.
Damit kann der falschen Sache kein richtiger Kurs gegeben werden. Der
Hinweis auf das „statistische Gesetz von der großen Zahl" ist ganz bedeutungs¬
los. Das käme allenfalls in Frage, wenn sämtliche Kandidaten mit größerer
Stimmenzahl dadurch Abgeordnete würden. Da aber nur vierhundert gewählt
werden, während vielleicht weitere tausend oder mehr ebenfalls hohe, wenn
schon weniger hohe Stimmziffern aufzuweisen haben, ohne damit gewählt zu
sein, so kann von einer wissenschaftlich begründeten Ableitung des „politischen
Volkswillens" dabei wirklich keine Rede sein.

Wenn es Südekum faktisch auf eine verhältnismäßige Volksvertretung an¬
käme, würde er die Verhältniswahl in anderer Form vorgeschlagen oder etwa
den Abgeordneten gemäß der auf sie fallenden Stimmenzahl ein verschiedenes
Stimmgewicht zugebilligt haben. Auf Billigkeit und Gerechtigkeit oder auf
naturgetreue Abbildung der Volksmeinung ist das Südekumsche Wahlversahren
jedoch eben nicht, sondern darauf zugeschnitten, der sozialdemokratischen Partei
über das Verhältnis ihrer Wählerzahl hinaus zur Majorität in der Volks¬
vertretung zu verhelfen.

Diese zweifellose Tendenz des Vorschlages ist nicht einfach als das Be¬
streben eines Parteimannes zu bewerten, den politischen Einfluß seiner Partei
durch ein günstigeres Wahlverfahren tunlichst zu vermehren. Im gegebenen
Falle bedeutet es weit mehr, etwas ganz anderes. Südekum ist offenbar von
dem Gedanken ausgegangen, daß demnächst die Stunde für die Übernahme der


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[0027] Gin verhältnislvahlverfahren als politisches Machtmittel Millionen von Stimmen für wenige Personen rechnet, dürfte darin seinen Grund haben, daß er den bürgerlichen Parteien in ihrer Zersplitterung nicht die Partei- disziplin zutraut, die nötig ist. um solche Stimmenvergeudung zu verhindern. Ganz unrecht hat er damit gewiß nicht, wenn zwar die Annahme, daß auf acht Personen sechs Millionen Stimmen vergeudet werden könnten, etwas gar zu viel Parteioptimismus enthalten mag. Aber selbst, wenn jede unnütze Stimmenanhäufung völlig vermieden und. würde die Sozialdemokratie mit ungefähr drei Millionen Wählern gegenüber sieben Millionen Stimmen aller anderen Parteigruppen dennoch stark im Vorteü sein. Denn die sieben Millionen Stimmen bürgerlicher Wähler würden sich auf fo viele Kandidaten verteilen, daß im einzelnen doch immer wieder tue Sozialdemokraten die höchstbestimmten sein würden. Um dies Ziel sicher zu erreichen, würde von Partei wegen die Zahl der Kandidaten — sei es von vornherein, sei es vielleicht erst im Verlause des Wahlkampfes nach Maßgabe der sichtbar werdenden Verhältnisse der bürgerlichen Kandidaturen — vorsorglich herabgesetzt werden können. Wenn die Sozialdemokratie nur zweihundertund- fünf oder zweihundertundzehn Kandidaten zur Wahl stellte, wären die Chancen, sie alle durchzubringen, sehr groß und die Majorität in der Volksvertretung hätte die Partei dann doch. Gegenüber diesen tatsächlichen Konsequenzen ist es verwunderlich, daß Südckum sein Verhältniswahlsystem als „wissenschaftlich einwandfrei" empfiehlt. Damit kann der falschen Sache kein richtiger Kurs gegeben werden. Der Hinweis auf das „statistische Gesetz von der großen Zahl" ist ganz bedeutungs¬ los. Das käme allenfalls in Frage, wenn sämtliche Kandidaten mit größerer Stimmenzahl dadurch Abgeordnete würden. Da aber nur vierhundert gewählt werden, während vielleicht weitere tausend oder mehr ebenfalls hohe, wenn schon weniger hohe Stimmziffern aufzuweisen haben, ohne damit gewählt zu sein, so kann von einer wissenschaftlich begründeten Ableitung des „politischen Volkswillens" dabei wirklich keine Rede sein. Wenn es Südekum faktisch auf eine verhältnismäßige Volksvertretung an¬ käme, würde er die Verhältniswahl in anderer Form vorgeschlagen oder etwa den Abgeordneten gemäß der auf sie fallenden Stimmenzahl ein verschiedenes Stimmgewicht zugebilligt haben. Auf Billigkeit und Gerechtigkeit oder auf naturgetreue Abbildung der Volksmeinung ist das Südekumsche Wahlversahren jedoch eben nicht, sondern darauf zugeschnitten, der sozialdemokratischen Partei über das Verhältnis ihrer Wählerzahl hinaus zur Majorität in der Volks¬ vertretung zu verhelfen. Diese zweifellose Tendenz des Vorschlages ist nicht einfach als das Be¬ streben eines Parteimannes zu bewerten, den politischen Einfluß seiner Partei durch ein günstigeres Wahlverfahren tunlichst zu vermehren. Im gegebenen Falle bedeutet es weit mehr, etwas ganz anderes. Südekum ist offenbar von dem Gedanken ausgegangen, daß demnächst die Stunde für die Übernahme der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/27>, abgerufen am 29.06.2024.