Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsche Rechtschreibung

Prophet zum Hügel. Ist das einfache Volk nicht an die geltende Recht¬
schreibung heranzubringen, so bringe man die Rechtschreibung dem einfachen
Verständnis näher.

Die deutsche Rechtschreibung*) ist nicht gerade die schlechteste der Welt.
Noch schlechter und schwieriger ist die englische, die z. B. die Zeichen enouZN
braucht, um den Lautwert eus! darzustellen. Der englischen Rechtschreibung
wiederum reiht sich die französische würdig an: mit ihren roi, bureaux und
vielem anderen ist sie weder lautgetreu noch einheitlich. Aber von einfacher
Folgerichtigkeit ist doch auch die unsere viel weiter entfernt, als dem Deutschen
gemeinhin zum Bewußtsein kommt, der Abstand zwischen Schrift und Laut ist
auch bei uns schmerzlich groß. Wir schreiben Doppellaut mit einfachen Zeichen
bei c, x und z, umgekehrt einfachen Laut mit mehrfachen Zeichen bei es, sah
und ng. Von ihnen wird ng bei Zeilentrennung, die doch nach Sprech¬
silben erfolgen soll, in seine lautlich gar nicht vorhandenen Bestandteile zer¬
legt, wenn wir ableiten sollen Zur-gen, damit aber wird die Erkenntnis
erschwert, daß wir es hier mit einem einfachen Laut zu tun haben.
Denn die ländliche Erkenntnis des Sprachgenossen ist mehr, als er sich
zugibt, vom Schriftbild beeinflußt und, wie die Dinge liegen, dadurch auf
Schritt und Tritt gehemmt. Von der ersten Schulzeit an wird das Auge un¬
ablässig geübt, die Schulung des Ohres zur Aufnahme der Muttersprache tritt
daneben zurück. Ständig drängen sich beim Lesen und Schreiben Schriftbilder
auf; je mehr jemand liest und schreibt, um so mehr räumt er ihnen ma߬
gebende Bedeutung ein, sobald er darangeht, die Klangfolge zu zerlegen. Er
glaubt zu hören, was er geschrieben sieht, und mißt das Gehörte an dem, was
er nach dem Schriftbild zu hören erwartet, so daß ihm die Sprache aus Buch¬
staben zu bestehen scheint. Er hält es für einen Doppellaut von stets gleichem
Lautwert, indes es das irreleitende Symbol für zwei einfache Laute ist, die in
ach und ich, nachts und nichts grundverschiedenen Klang haben. Auch für die
entsprechende Verschiedenheit des k-Lautes in Kasten und Kirche fehlt uns mit
der Möglichkeit, sie in der Schrift zu unterscheiden, jede Übung, sie mit dem
Ohr festzustellen.

Umgekehrt haben wir für ein und denselben Laut zwei Zeichen bei ä und e,
al und el. an und en, ü und n, drei bei f, v und pH, vier bei k, q, c und es,
(Kante, Quelle, Cafe, Christ). Wir bezeichnen in links denselben Laut mit n,
den wir in Stange mit ng wiedergeben; wir bezeichnen in Sporn und Steg
den gleichen Laut mit s, den wir in schlau, schmal, Schnur, Schreck, Schwein
mit sah, in Chef mit es, in Logis mit g, in Jalousie mit j wiedergeben. Wir
meinen mit b und d in Trab und Bad andere Laute als in traben und baden,
mit g einen anderen in weg als in Wege und wieder andere in König und



*') Zum folgenden vgl. die besonnenen und beherzigenswerten Ausführungen bei
W, Fischer, Die deutsche Sprache von heute "Aus Natur und Geisteswelt" Bd. 476).
Leipzig, Teubner 1914, S, 83 ff.
Deutsche Rechtschreibung

Prophet zum Hügel. Ist das einfache Volk nicht an die geltende Recht¬
schreibung heranzubringen, so bringe man die Rechtschreibung dem einfachen
Verständnis näher.

Die deutsche Rechtschreibung*) ist nicht gerade die schlechteste der Welt.
Noch schlechter und schwieriger ist die englische, die z. B. die Zeichen enouZN
braucht, um den Lautwert eus! darzustellen. Der englischen Rechtschreibung
wiederum reiht sich die französische würdig an: mit ihren roi, bureaux und
vielem anderen ist sie weder lautgetreu noch einheitlich. Aber von einfacher
Folgerichtigkeit ist doch auch die unsere viel weiter entfernt, als dem Deutschen
gemeinhin zum Bewußtsein kommt, der Abstand zwischen Schrift und Laut ist
auch bei uns schmerzlich groß. Wir schreiben Doppellaut mit einfachen Zeichen
bei c, x und z, umgekehrt einfachen Laut mit mehrfachen Zeichen bei es, sah
und ng. Von ihnen wird ng bei Zeilentrennung, die doch nach Sprech¬
silben erfolgen soll, in seine lautlich gar nicht vorhandenen Bestandteile zer¬
legt, wenn wir ableiten sollen Zur-gen, damit aber wird die Erkenntnis
erschwert, daß wir es hier mit einem einfachen Laut zu tun haben.
Denn die ländliche Erkenntnis des Sprachgenossen ist mehr, als er sich
zugibt, vom Schriftbild beeinflußt und, wie die Dinge liegen, dadurch auf
Schritt und Tritt gehemmt. Von der ersten Schulzeit an wird das Auge un¬
ablässig geübt, die Schulung des Ohres zur Aufnahme der Muttersprache tritt
daneben zurück. Ständig drängen sich beim Lesen und Schreiben Schriftbilder
auf; je mehr jemand liest und schreibt, um so mehr räumt er ihnen ma߬
gebende Bedeutung ein, sobald er darangeht, die Klangfolge zu zerlegen. Er
glaubt zu hören, was er geschrieben sieht, und mißt das Gehörte an dem, was
er nach dem Schriftbild zu hören erwartet, so daß ihm die Sprache aus Buch¬
staben zu bestehen scheint. Er hält es für einen Doppellaut von stets gleichem
Lautwert, indes es das irreleitende Symbol für zwei einfache Laute ist, die in
ach und ich, nachts und nichts grundverschiedenen Klang haben. Auch für die
entsprechende Verschiedenheit des k-Lautes in Kasten und Kirche fehlt uns mit
der Möglichkeit, sie in der Schrift zu unterscheiden, jede Übung, sie mit dem
Ohr festzustellen.

Umgekehrt haben wir für ein und denselben Laut zwei Zeichen bei ä und e,
al und el. an und en, ü und n, drei bei f, v und pH, vier bei k, q, c und es,
(Kante, Quelle, Cafe, Christ). Wir bezeichnen in links denselben Laut mit n,
den wir in Stange mit ng wiedergeben; wir bezeichnen in Sporn und Steg
den gleichen Laut mit s, den wir in schlau, schmal, Schnur, Schreck, Schwein
mit sah, in Chef mit es, in Logis mit g, in Jalousie mit j wiedergeben. Wir
meinen mit b und d in Trab und Bad andere Laute als in traben und baden,
mit g einen anderen in weg als in Wege und wieder andere in König und



*') Zum folgenden vgl. die besonnenen und beherzigenswerten Ausführungen bei
W, Fischer, Die deutsche Sprache von heute „Aus Natur und Geisteswelt" Bd. 476).
Leipzig, Teubner 1914, S, 83 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332541"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsche Rechtschreibung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_802" prev="#ID_801"> Prophet zum Hügel. Ist das einfache Volk nicht an die geltende Recht¬<lb/>
schreibung heranzubringen, so bringe man die Rechtschreibung dem einfachen<lb/>
Verständnis näher.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_803"> Die deutsche Rechtschreibung*) ist nicht gerade die schlechteste der Welt.<lb/>
Noch schlechter und schwieriger ist die englische, die z. B. die Zeichen enouZN<lb/>
braucht, um den Lautwert eus! darzustellen. Der englischen Rechtschreibung<lb/>
wiederum reiht sich die französische würdig an: mit ihren roi, bureaux und<lb/>
vielem anderen ist sie weder lautgetreu noch einheitlich. Aber von einfacher<lb/>
Folgerichtigkeit ist doch auch die unsere viel weiter entfernt, als dem Deutschen<lb/>
gemeinhin zum Bewußtsein kommt, der Abstand zwischen Schrift und Laut ist<lb/>
auch bei uns schmerzlich groß. Wir schreiben Doppellaut mit einfachen Zeichen<lb/>
bei c, x und z, umgekehrt einfachen Laut mit mehrfachen Zeichen bei es, sah<lb/>
und ng. Von ihnen wird ng bei Zeilentrennung, die doch nach Sprech¬<lb/>
silben erfolgen soll, in seine lautlich gar nicht vorhandenen Bestandteile zer¬<lb/>
legt, wenn wir ableiten sollen Zur-gen, damit aber wird die Erkenntnis<lb/>
erschwert, daß wir es hier mit einem einfachen Laut zu tun haben.<lb/>
Denn die ländliche Erkenntnis des Sprachgenossen ist mehr, als er sich<lb/>
zugibt, vom Schriftbild beeinflußt und, wie die Dinge liegen, dadurch auf<lb/>
Schritt und Tritt gehemmt. Von der ersten Schulzeit an wird das Auge un¬<lb/>
ablässig geübt, die Schulung des Ohres zur Aufnahme der Muttersprache tritt<lb/>
daneben zurück. Ständig drängen sich beim Lesen und Schreiben Schriftbilder<lb/>
auf; je mehr jemand liest und schreibt, um so mehr räumt er ihnen ma߬<lb/>
gebende Bedeutung ein, sobald er darangeht, die Klangfolge zu zerlegen. Er<lb/>
glaubt zu hören, was er geschrieben sieht, und mißt das Gehörte an dem, was<lb/>
er nach dem Schriftbild zu hören erwartet, so daß ihm die Sprache aus Buch¬<lb/>
staben zu bestehen scheint. Er hält es für einen Doppellaut von stets gleichem<lb/>
Lautwert, indes es das irreleitende Symbol für zwei einfache Laute ist, die in<lb/>
ach und ich, nachts und nichts grundverschiedenen Klang haben. Auch für die<lb/>
entsprechende Verschiedenheit des k-Lautes in Kasten und Kirche fehlt uns mit<lb/>
der Möglichkeit, sie in der Schrift zu unterscheiden, jede Übung, sie mit dem<lb/>
Ohr festzustellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_804" next="#ID_805"> Umgekehrt haben wir für ein und denselben Laut zwei Zeichen bei ä und e,<lb/>
al und el. an und en, ü und n, drei bei f, v und pH, vier bei k, q, c und es,<lb/>
(Kante, Quelle, Cafe, Christ). Wir bezeichnen in links denselben Laut mit n,<lb/>
den wir in Stange mit ng wiedergeben; wir bezeichnen in Sporn und Steg<lb/>
den gleichen Laut mit s, den wir in schlau, schmal, Schnur, Schreck, Schwein<lb/>
mit sah, in Chef mit es, in Logis mit g, in Jalousie mit j wiedergeben. Wir<lb/>
meinen mit b und d in Trab und Bad andere Laute als in traben und baden,<lb/>
mit g einen anderen in weg als in Wege und wieder andere in König und</p><lb/>
          <note xml:id="FID_54" place="foot"> *') Zum folgenden vgl. die besonnenen und beherzigenswerten Ausführungen bei<lb/>
W, Fischer, Die deutsche Sprache von heute &#x201E;Aus Natur und Geisteswelt" Bd. 476).<lb/>
Leipzig, Teubner 1914, S, 83 ff.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0262] Deutsche Rechtschreibung Prophet zum Hügel. Ist das einfache Volk nicht an die geltende Recht¬ schreibung heranzubringen, so bringe man die Rechtschreibung dem einfachen Verständnis näher. Die deutsche Rechtschreibung*) ist nicht gerade die schlechteste der Welt. Noch schlechter und schwieriger ist die englische, die z. B. die Zeichen enouZN braucht, um den Lautwert eus! darzustellen. Der englischen Rechtschreibung wiederum reiht sich die französische würdig an: mit ihren roi, bureaux und vielem anderen ist sie weder lautgetreu noch einheitlich. Aber von einfacher Folgerichtigkeit ist doch auch die unsere viel weiter entfernt, als dem Deutschen gemeinhin zum Bewußtsein kommt, der Abstand zwischen Schrift und Laut ist auch bei uns schmerzlich groß. Wir schreiben Doppellaut mit einfachen Zeichen bei c, x und z, umgekehrt einfachen Laut mit mehrfachen Zeichen bei es, sah und ng. Von ihnen wird ng bei Zeilentrennung, die doch nach Sprech¬ silben erfolgen soll, in seine lautlich gar nicht vorhandenen Bestandteile zer¬ legt, wenn wir ableiten sollen Zur-gen, damit aber wird die Erkenntnis erschwert, daß wir es hier mit einem einfachen Laut zu tun haben. Denn die ländliche Erkenntnis des Sprachgenossen ist mehr, als er sich zugibt, vom Schriftbild beeinflußt und, wie die Dinge liegen, dadurch auf Schritt und Tritt gehemmt. Von der ersten Schulzeit an wird das Auge un¬ ablässig geübt, die Schulung des Ohres zur Aufnahme der Muttersprache tritt daneben zurück. Ständig drängen sich beim Lesen und Schreiben Schriftbilder auf; je mehr jemand liest und schreibt, um so mehr räumt er ihnen ma߬ gebende Bedeutung ein, sobald er darangeht, die Klangfolge zu zerlegen. Er glaubt zu hören, was er geschrieben sieht, und mißt das Gehörte an dem, was er nach dem Schriftbild zu hören erwartet, so daß ihm die Sprache aus Buch¬ staben zu bestehen scheint. Er hält es für einen Doppellaut von stets gleichem Lautwert, indes es das irreleitende Symbol für zwei einfache Laute ist, die in ach und ich, nachts und nichts grundverschiedenen Klang haben. Auch für die entsprechende Verschiedenheit des k-Lautes in Kasten und Kirche fehlt uns mit der Möglichkeit, sie in der Schrift zu unterscheiden, jede Übung, sie mit dem Ohr festzustellen. Umgekehrt haben wir für ein und denselben Laut zwei Zeichen bei ä und e, al und el. an und en, ü und n, drei bei f, v und pH, vier bei k, q, c und es, (Kante, Quelle, Cafe, Christ). Wir bezeichnen in links denselben Laut mit n, den wir in Stange mit ng wiedergeben; wir bezeichnen in Sporn und Steg den gleichen Laut mit s, den wir in schlau, schmal, Schnur, Schreck, Schwein mit sah, in Chef mit es, in Logis mit g, in Jalousie mit j wiedergeben. Wir meinen mit b und d in Trab und Bad andere Laute als in traben und baden, mit g einen anderen in weg als in Wege und wieder andere in König und *') Zum folgenden vgl. die besonnenen und beherzigenswerten Ausführungen bei W, Fischer, Die deutsche Sprache von heute „Aus Natur und Geisteswelt" Bd. 476). Leipzig, Teubner 1914, S, 83 ff.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/262
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/262>, abgerufen am 23.06.2024.