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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtschreibung

das Gefühl der eigenen Schwäche übermächtig wird. Dudens Orthographisches
Wörterbuch ist dadurch das meistbegehrte Buch auf dem Felde der deutschen
Sprache geworden. Der Geschäftsmann schreibt seine eigene Orthographie, die
sich nach der Zeit seines Abganges von der Schule und der Innigkeit seines
Verhältnisses zum Schulwissen regelt: der eine ist bei der Einführung des t in
Brot und Tinte stehen geblieben, der andere hat die Beseitigung des h in Tat
oder tun und die des e in gib noch mitgemacht, jeder bleibt zeitlebens auf
seinem Stand und tut am Stammtisch alle weitergehende Künstelei als unnütz
ab, da doch einzig ein Gefühl der Befreiung am Platz wäre, so oft sich die
schwerfällige Schreibweise anschickt, dem unablässig fortschreitenden Lautwandel
der lebenden Sprache nachzufolgen. Und das Volk? Man hat ja wohl an
Laden- und Hausinschriften im Vorübergehen Gelegenheit, darüber seine Beob¬
achtungen zu machen, ein zusammenhängendes und in alle Lebensgebiete hinein¬
reichendes Material bieten doch nur die Briefe aus der Tiefe. Wer hier eine
Weile auf die Dinge achtet, kann leicht eine Auslese zusammenbringen, die die
hier folgende weitaus übertrifft. Immerhin: einen Begriff von der ortho¬
graphischen Ahnungslosigkeit unserer Unterschicht kann man vielleicht schon aus
Proben wie den hier gebotenen erhalten.

Einen Vorgeschmack geben die Anschriften der Briefe: "An die Exbetitzion
der . .. Zeitung", "An die Direckszion des Eläcktritats Werks", "An das löb-
Uche Arbeitersekredat", "An das städtische Blatzirbirio". Die ganze Pracht ent¬
öltet sich aber doch erst im Innern der Prise. wie deren Verfasser schreiben.
Da steht man und verstummt vor Wortbildern wie Ebarr "Ehepaar", Brehs-
heve "Preßhefe", Ein Kroß Berlmudergnepf, Medeziennallrad oder Togdor, wo
der Schreiber über der Härte des Amianth alle weitere Kraft verloren zu haben
scheint, ganz wie bei der berühmten Taddelbalme. Gewöhnlich sind die Schreib-
fehler nicht derart gehäuft, bisweilen sind sie unscheinbar und haben doch "große
Wirkungen", so wenn einer seufzt: "Wenn nur der Krieg Rum wäre, dann
wäre vieles besser", ein anderer: "Man hat immer so viel Arbeit, aber so wenig
Schafgeist", wenn ein dritter mahnt: "Man muß die Rosen pflügen, solange sie
blühen", oder wenn ein Feldbrief von "einer Feuersalbe derFranzmänner" berichtet.

Formen und Lautwert seltener Buchstaben wie q, x. y sind den Schreibern
aus dem Volk nicht geläufig, so findet man in sonst leidlich fehlerfreien Briefen
Schreibungen wie Puatier. Konseguensen. Eybetizion. Vom Lautwert der Ver-
bwdung pH haben die meisten keine Vorstellung, daher die vielen Sopfien. die
Homöophalen und Magnetophaten. Schwierige Lautgruppen werden (wie ja
auch in der Aussprache) entstellt: der Metzger wird zum Mexger oder Mexer,
die Bibliothek zur Biblothek. die Influenza zur Jnfulenzia, die Physiognomie
Zur Visenomie. Die Süddeutschen haben ihr glückliches tun: "tut die Leitung?
die Glocke? die Bremse?" Die anderen müssen fragen: "fonzoniert sie?"

Besondere Not macht die Unterscheidung zwischen e und ä, f und v, weil
sie in der Aussprache keine Stütze findet: man schreibt beändigen wie bändigen,


Deutsche Rechtschreibung

das Gefühl der eigenen Schwäche übermächtig wird. Dudens Orthographisches
Wörterbuch ist dadurch das meistbegehrte Buch auf dem Felde der deutschen
Sprache geworden. Der Geschäftsmann schreibt seine eigene Orthographie, die
sich nach der Zeit seines Abganges von der Schule und der Innigkeit seines
Verhältnisses zum Schulwissen regelt: der eine ist bei der Einführung des t in
Brot und Tinte stehen geblieben, der andere hat die Beseitigung des h in Tat
oder tun und die des e in gib noch mitgemacht, jeder bleibt zeitlebens auf
seinem Stand und tut am Stammtisch alle weitergehende Künstelei als unnütz
ab, da doch einzig ein Gefühl der Befreiung am Platz wäre, so oft sich die
schwerfällige Schreibweise anschickt, dem unablässig fortschreitenden Lautwandel
der lebenden Sprache nachzufolgen. Und das Volk? Man hat ja wohl an
Laden- und Hausinschriften im Vorübergehen Gelegenheit, darüber seine Beob¬
achtungen zu machen, ein zusammenhängendes und in alle Lebensgebiete hinein¬
reichendes Material bieten doch nur die Briefe aus der Tiefe. Wer hier eine
Weile auf die Dinge achtet, kann leicht eine Auslese zusammenbringen, die die
hier folgende weitaus übertrifft. Immerhin: einen Begriff von der ortho¬
graphischen Ahnungslosigkeit unserer Unterschicht kann man vielleicht schon aus
Proben wie den hier gebotenen erhalten.

Einen Vorgeschmack geben die Anschriften der Briefe: „An die Exbetitzion
der . .. Zeitung", „An die Direckszion des Eläcktritats Werks", „An das löb-
Uche Arbeitersekredat", „An das städtische Blatzirbirio". Die ganze Pracht ent¬
öltet sich aber doch erst im Innern der Prise. wie deren Verfasser schreiben.
Da steht man und verstummt vor Wortbildern wie Ebarr „Ehepaar", Brehs-
heve „Preßhefe", Ein Kroß Berlmudergnepf, Medeziennallrad oder Togdor, wo
der Schreiber über der Härte des Amianth alle weitere Kraft verloren zu haben
scheint, ganz wie bei der berühmten Taddelbalme. Gewöhnlich sind die Schreib-
fehler nicht derart gehäuft, bisweilen sind sie unscheinbar und haben doch „große
Wirkungen", so wenn einer seufzt: „Wenn nur der Krieg Rum wäre, dann
wäre vieles besser", ein anderer: „Man hat immer so viel Arbeit, aber so wenig
Schafgeist", wenn ein dritter mahnt: „Man muß die Rosen pflügen, solange sie
blühen", oder wenn ein Feldbrief von „einer Feuersalbe derFranzmänner" berichtet.

Formen und Lautwert seltener Buchstaben wie q, x. y sind den Schreibern
aus dem Volk nicht geläufig, so findet man in sonst leidlich fehlerfreien Briefen
Schreibungen wie Puatier. Konseguensen. Eybetizion. Vom Lautwert der Ver-
bwdung pH haben die meisten keine Vorstellung, daher die vielen Sopfien. die
Homöophalen und Magnetophaten. Schwierige Lautgruppen werden (wie ja
auch in der Aussprache) entstellt: der Metzger wird zum Mexger oder Mexer,
die Bibliothek zur Biblothek. die Influenza zur Jnfulenzia, die Physiognomie
Zur Visenomie. Die Süddeutschen haben ihr glückliches tun: „tut die Leitung?
die Glocke? die Bremse?" Die anderen müssen fragen: „fonzoniert sie?"

Besondere Not macht die Unterscheidung zwischen e und ä, f und v, weil
sie in der Aussprache keine Stütze findet: man schreibt beändigen wie bändigen,


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[0259] Deutsche Rechtschreibung das Gefühl der eigenen Schwäche übermächtig wird. Dudens Orthographisches Wörterbuch ist dadurch das meistbegehrte Buch auf dem Felde der deutschen Sprache geworden. Der Geschäftsmann schreibt seine eigene Orthographie, die sich nach der Zeit seines Abganges von der Schule und der Innigkeit seines Verhältnisses zum Schulwissen regelt: der eine ist bei der Einführung des t in Brot und Tinte stehen geblieben, der andere hat die Beseitigung des h in Tat oder tun und die des e in gib noch mitgemacht, jeder bleibt zeitlebens auf seinem Stand und tut am Stammtisch alle weitergehende Künstelei als unnütz ab, da doch einzig ein Gefühl der Befreiung am Platz wäre, so oft sich die schwerfällige Schreibweise anschickt, dem unablässig fortschreitenden Lautwandel der lebenden Sprache nachzufolgen. Und das Volk? Man hat ja wohl an Laden- und Hausinschriften im Vorübergehen Gelegenheit, darüber seine Beob¬ achtungen zu machen, ein zusammenhängendes und in alle Lebensgebiete hinein¬ reichendes Material bieten doch nur die Briefe aus der Tiefe. Wer hier eine Weile auf die Dinge achtet, kann leicht eine Auslese zusammenbringen, die die hier folgende weitaus übertrifft. Immerhin: einen Begriff von der ortho¬ graphischen Ahnungslosigkeit unserer Unterschicht kann man vielleicht schon aus Proben wie den hier gebotenen erhalten. Einen Vorgeschmack geben die Anschriften der Briefe: „An die Exbetitzion der . .. Zeitung", „An die Direckszion des Eläcktritats Werks", „An das löb- Uche Arbeitersekredat", „An das städtische Blatzirbirio". Die ganze Pracht ent¬ öltet sich aber doch erst im Innern der Prise. wie deren Verfasser schreiben. Da steht man und verstummt vor Wortbildern wie Ebarr „Ehepaar", Brehs- heve „Preßhefe", Ein Kroß Berlmudergnepf, Medeziennallrad oder Togdor, wo der Schreiber über der Härte des Amianth alle weitere Kraft verloren zu haben scheint, ganz wie bei der berühmten Taddelbalme. Gewöhnlich sind die Schreib- fehler nicht derart gehäuft, bisweilen sind sie unscheinbar und haben doch „große Wirkungen", so wenn einer seufzt: „Wenn nur der Krieg Rum wäre, dann wäre vieles besser", ein anderer: „Man hat immer so viel Arbeit, aber so wenig Schafgeist", wenn ein dritter mahnt: „Man muß die Rosen pflügen, solange sie blühen", oder wenn ein Feldbrief von „einer Feuersalbe derFranzmänner" berichtet. Formen und Lautwert seltener Buchstaben wie q, x. y sind den Schreibern aus dem Volk nicht geläufig, so findet man in sonst leidlich fehlerfreien Briefen Schreibungen wie Puatier. Konseguensen. Eybetizion. Vom Lautwert der Ver- bwdung pH haben die meisten keine Vorstellung, daher die vielen Sopfien. die Homöophalen und Magnetophaten. Schwierige Lautgruppen werden (wie ja auch in der Aussprache) entstellt: der Metzger wird zum Mexger oder Mexer, die Bibliothek zur Biblothek. die Influenza zur Jnfulenzia, die Physiognomie Zur Visenomie. Die Süddeutschen haben ihr glückliches tun: „tut die Leitung? die Glocke? die Bremse?" Die anderen müssen fragen: „fonzoniert sie?" Besondere Not macht die Unterscheidung zwischen e und ä, f und v, weil sie in der Aussprache keine Stütze findet: man schreibt beändigen wie bändigen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/259>, abgerufen am 02.07.2024.