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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Der Begriff derhistorischen Wahrheit und die Schlacht an der Marne

unfähig zu machen. Auch das mißlang. Noch heute steht nach mehreren Jahren
unsere Armee dort, wo sie damals Halt machte. Das einzige, was die Franzosen
als greifbaren Erfolg anführen könnten, ist ein Raumgewinn von etwa 80 Kilo¬
metern Tiefe. Daraufhin können sie die Schlacht einen strategischen Erfolg sür
die Franzosen nennen; es bleibt aber dabei, daß sie taktisch in der Hauptsache
ein deutscher Erfolg war und in der Gesamtheit jedenfalls eine Schlacht, die
beiden Gegnern nicht hielt, was sie von ihr erhofft hatten, also unentschieden
ausging.




Diese Tatsachen herauszuarbeiten, zu beweisen und als Erkenntnis im
Volk, auch über die Grenzen hinaus zu verbreiten, ist eine Pflicht der deutschen
Presse und der deutschen Historiker. Man kommt, wenn man jetzt damit beginnt,
spät, aber nicht zu spät. Mag der unglückselige Lakonismus der amtlichen
deutschen Berichte damals seine militärischen Gründe gehabt haben, heute be¬
stehen solche nicht mehr. Auch unsere Heeresberichte haben im Kriege vom
Kriege gelernt.

Es ist zu begrüßen, daß Ludendorff auf seinem neuen Posten ein Ende
gemacht hat mit dem einfachen Aufzählen von Tatsachen, daß er bei aller
Wahrung der Sachlichkeit bereits die Tatsachen ausprägt, daß er offen einen
Sieg, den unsere Truppen erfochten haben, auch mit klaren Worten einen Sieg
nennt. Denn es bleibt dabei, der Tatbestand selber redet eine äußerst lang¬
same Sprache, wenn er nicht in sichtbare Formeln gefaßt wird. Was wären
die Taten Aedilis, wenn kein Homer sie besungen hätte? Wir wollen gewiß
keine Entstellung der Tatsachen, aber wir wollen die Tatsachen deutlich heraus¬
gearbeitet wissen. Denn der Sieg wird nicht mit dem Schwert allein erfochten,
der Draht und die Presse sind, das hat uns der Krieg deutlich gezeigt, nicht
weniger wichtig. Mit dem Schwerte verstehen wir Deutschen zu fechten, für
die anderen Waffen bleibt noch mancherlei zu lernen übrig. Vielleicht wird
sonst auch uns die Nachwelt nachsagen, was ein karthagischer General seinem
Chef Hannibal zurief: daß er wohl zu siegen verstehe, nicht aber seine Siege
zu benutzen. --




Der Begriff derhistorischen Wahrheit und die Schlacht an der Marne

unfähig zu machen. Auch das mißlang. Noch heute steht nach mehreren Jahren
unsere Armee dort, wo sie damals Halt machte. Das einzige, was die Franzosen
als greifbaren Erfolg anführen könnten, ist ein Raumgewinn von etwa 80 Kilo¬
metern Tiefe. Daraufhin können sie die Schlacht einen strategischen Erfolg sür
die Franzosen nennen; es bleibt aber dabei, daß sie taktisch in der Hauptsache
ein deutscher Erfolg war und in der Gesamtheit jedenfalls eine Schlacht, die
beiden Gegnern nicht hielt, was sie von ihr erhofft hatten, also unentschieden
ausging.




Diese Tatsachen herauszuarbeiten, zu beweisen und als Erkenntnis im
Volk, auch über die Grenzen hinaus zu verbreiten, ist eine Pflicht der deutschen
Presse und der deutschen Historiker. Man kommt, wenn man jetzt damit beginnt,
spät, aber nicht zu spät. Mag der unglückselige Lakonismus der amtlichen
deutschen Berichte damals seine militärischen Gründe gehabt haben, heute be¬
stehen solche nicht mehr. Auch unsere Heeresberichte haben im Kriege vom
Kriege gelernt.

Es ist zu begrüßen, daß Ludendorff auf seinem neuen Posten ein Ende
gemacht hat mit dem einfachen Aufzählen von Tatsachen, daß er bei aller
Wahrung der Sachlichkeit bereits die Tatsachen ausprägt, daß er offen einen
Sieg, den unsere Truppen erfochten haben, auch mit klaren Worten einen Sieg
nennt. Denn es bleibt dabei, der Tatbestand selber redet eine äußerst lang¬
same Sprache, wenn er nicht in sichtbare Formeln gefaßt wird. Was wären
die Taten Aedilis, wenn kein Homer sie besungen hätte? Wir wollen gewiß
keine Entstellung der Tatsachen, aber wir wollen die Tatsachen deutlich heraus¬
gearbeitet wissen. Denn der Sieg wird nicht mit dem Schwert allein erfochten,
der Draht und die Presse sind, das hat uns der Krieg deutlich gezeigt, nicht
weniger wichtig. Mit dem Schwerte verstehen wir Deutschen zu fechten, für
die anderen Waffen bleibt noch mancherlei zu lernen übrig. Vielleicht wird
sonst auch uns die Nachwelt nachsagen, was ein karthagischer General seinem
Chef Hannibal zurief: daß er wohl zu siegen verstehe, nicht aber seine Siege
zu benutzen. —




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[0200] Der Begriff derhistorischen Wahrheit und die Schlacht an der Marne unfähig zu machen. Auch das mißlang. Noch heute steht nach mehreren Jahren unsere Armee dort, wo sie damals Halt machte. Das einzige, was die Franzosen als greifbaren Erfolg anführen könnten, ist ein Raumgewinn von etwa 80 Kilo¬ metern Tiefe. Daraufhin können sie die Schlacht einen strategischen Erfolg sür die Franzosen nennen; es bleibt aber dabei, daß sie taktisch in der Hauptsache ein deutscher Erfolg war und in der Gesamtheit jedenfalls eine Schlacht, die beiden Gegnern nicht hielt, was sie von ihr erhofft hatten, also unentschieden ausging. Diese Tatsachen herauszuarbeiten, zu beweisen und als Erkenntnis im Volk, auch über die Grenzen hinaus zu verbreiten, ist eine Pflicht der deutschen Presse und der deutschen Historiker. Man kommt, wenn man jetzt damit beginnt, spät, aber nicht zu spät. Mag der unglückselige Lakonismus der amtlichen deutschen Berichte damals seine militärischen Gründe gehabt haben, heute be¬ stehen solche nicht mehr. Auch unsere Heeresberichte haben im Kriege vom Kriege gelernt. Es ist zu begrüßen, daß Ludendorff auf seinem neuen Posten ein Ende gemacht hat mit dem einfachen Aufzählen von Tatsachen, daß er bei aller Wahrung der Sachlichkeit bereits die Tatsachen ausprägt, daß er offen einen Sieg, den unsere Truppen erfochten haben, auch mit klaren Worten einen Sieg nennt. Denn es bleibt dabei, der Tatbestand selber redet eine äußerst lang¬ same Sprache, wenn er nicht in sichtbare Formeln gefaßt wird. Was wären die Taten Aedilis, wenn kein Homer sie besungen hätte? Wir wollen gewiß keine Entstellung der Tatsachen, aber wir wollen die Tatsachen deutlich heraus¬ gearbeitet wissen. Denn der Sieg wird nicht mit dem Schwert allein erfochten, der Draht und die Presse sind, das hat uns der Krieg deutlich gezeigt, nicht weniger wichtig. Mit dem Schwerte verstehen wir Deutschen zu fechten, für die anderen Waffen bleibt noch mancherlei zu lernen übrig. Vielleicht wird sonst auch uns die Nachwelt nachsagen, was ein karthagischer General seinem Chef Hannibal zurief: daß er wohl zu siegen verstehe, nicht aber seine Siege zu benutzen. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/200>, abgerufen am 29.06.2024.