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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Der Begriff der historischen Wahrheit und die Schlacht an der Marne

Brussilows: aber wieviel ist von dieser gelehrten Erkenntnis ins Volk gedrungen?
Noch immer umstrahlt auch heute noch den Namen des Miltiades. des Siegers
von Marathon, ein fast mythischer Glanz, noch immer leben die Siege der
Griechen in Herodotscher Beleuchtung in den höheren Schulen der ganzen Welt
weiter! Zweitausend Jahre also hat zum mindesten die Wahrheit gebraucht,
um ans Licht zu kommen, und noch immer ist dies Licht auf fehr enge Kreise
beschränkt geblieben. Und so ist's nicht nur in diesem einen Falle; ich stelle
ihn nur als typisch für zahllose ähnliche hierher.

Überhaupt die Weltgeschichte als Weltgericht? Selbst wenn man daran
festhält und sich dessen freut, daß die ganz groben Entstellungen der Tatsäch-
Uchkeit eines Tages aufgedeckt werden: glaubt jemand im Ernst, daß deshalb
Ruhm und Schande so verteilt würden, daß ein Verhältnis der Zuwügung
herauskäme, dem man nur im entferntesten den Namen einer "Gerechtigkeit" zu¬
billigen könnte? Ich rede noch nicht einmal von solchen Fällen, in denen
Feiglinge und Dummköpfe den Ruhm für Taten einernten, die andere für
sie getan! Aber man denke nur. was für ein Mißverhältnis in dem welt¬
überstrahlenden Ruhm, den Leonidas mit seinen Spartanern errang, zu jener
Vergangenheit liegt, die sich über die Abertausende namenloser Jnfanteristen
breitet, die heutzutage tage- und wochenlang im feindlichen Trommelfeuer aus-
harren und dann noch im Bajonettkampf ihren Mann stellend fallen! Und
doch was sind die angeblich die Sonne verdunkelnden Pfeile der Perserscharen
gegen den Granatenhagel der modernen Artillerie! Wie unendlich viel größer
ist die Leistung der Nerven hier, und trotzdem ist Vergessenheit der Lohn dieser
Tapferen, während der gewiß tapfere Spartanerkönig für seine an die Leistungen
Moderner Kompanieführer kaum heranreichende Wirksamkeit zu den Unsterblichen
gezählt wird, deren Namen auch künftighin Generation an Generation weiter-
gibt!

Und letzthin das Forum der Geschichte! Selbst wenn es. das sich doch
aus Menschen zusammensetzt, auch nur fähig wäre, gerechte Urteile zu fällen,
es bliebe doch ein schwacher Trost, zu wissen, daß vielleicht einige tausend
Aahre später ein paar gewissenhafte Forscher an ihren Schreibtischen die Wahr¬
heit entdecken und ihre Erkenntnisse in Büchern drucken lassen, die hier und da
von einigen Leuten gelesen werden. Ist das wirklich ein Trost für einen, der
verleumdet und verkannt unterliegt? Nein, selbst wenn es stimmen sollte, daß
°le Wahrheit in jedem Fall ans Tageslicht käme, so ist ihr Spruch doch meist
veralteter und posthumer als die Entscheidung des seligen Reichskammergerichts
und ihr Wert dem Freispruch gleichzuachten, der gefällt wird, wenn der An¬
geklagte lange gehängt ist. Man wird darum gut tun, seine Sache nicht bloß
dem notwendigerweise sehr schleppend arbeitenden Forum der Geschichte zu
überlassen.

Nein, der Kampf der Völker wird nicht nur mit dem Schwerte geführt,
"eben vielen anderen Dingen gehört auch das Wort zu den wichtigen Waffen.


Der Begriff der historischen Wahrheit und die Schlacht an der Marne

Brussilows: aber wieviel ist von dieser gelehrten Erkenntnis ins Volk gedrungen?
Noch immer umstrahlt auch heute noch den Namen des Miltiades. des Siegers
von Marathon, ein fast mythischer Glanz, noch immer leben die Siege der
Griechen in Herodotscher Beleuchtung in den höheren Schulen der ganzen Welt
weiter! Zweitausend Jahre also hat zum mindesten die Wahrheit gebraucht,
um ans Licht zu kommen, und noch immer ist dies Licht auf fehr enge Kreise
beschränkt geblieben. Und so ist's nicht nur in diesem einen Falle; ich stelle
ihn nur als typisch für zahllose ähnliche hierher.

Überhaupt die Weltgeschichte als Weltgericht? Selbst wenn man daran
festhält und sich dessen freut, daß die ganz groben Entstellungen der Tatsäch-
Uchkeit eines Tages aufgedeckt werden: glaubt jemand im Ernst, daß deshalb
Ruhm und Schande so verteilt würden, daß ein Verhältnis der Zuwügung
herauskäme, dem man nur im entferntesten den Namen einer „Gerechtigkeit" zu¬
billigen könnte? Ich rede noch nicht einmal von solchen Fällen, in denen
Feiglinge und Dummköpfe den Ruhm für Taten einernten, die andere für
sie getan! Aber man denke nur. was für ein Mißverhältnis in dem welt¬
überstrahlenden Ruhm, den Leonidas mit seinen Spartanern errang, zu jener
Vergangenheit liegt, die sich über die Abertausende namenloser Jnfanteristen
breitet, die heutzutage tage- und wochenlang im feindlichen Trommelfeuer aus-
harren und dann noch im Bajonettkampf ihren Mann stellend fallen! Und
doch was sind die angeblich die Sonne verdunkelnden Pfeile der Perserscharen
gegen den Granatenhagel der modernen Artillerie! Wie unendlich viel größer
ist die Leistung der Nerven hier, und trotzdem ist Vergessenheit der Lohn dieser
Tapferen, während der gewiß tapfere Spartanerkönig für seine an die Leistungen
Moderner Kompanieführer kaum heranreichende Wirksamkeit zu den Unsterblichen
gezählt wird, deren Namen auch künftighin Generation an Generation weiter-
gibt!

Und letzthin das Forum der Geschichte! Selbst wenn es. das sich doch
aus Menschen zusammensetzt, auch nur fähig wäre, gerechte Urteile zu fällen,
es bliebe doch ein schwacher Trost, zu wissen, daß vielleicht einige tausend
Aahre später ein paar gewissenhafte Forscher an ihren Schreibtischen die Wahr¬
heit entdecken und ihre Erkenntnisse in Büchern drucken lassen, die hier und da
von einigen Leuten gelesen werden. Ist das wirklich ein Trost für einen, der
verleumdet und verkannt unterliegt? Nein, selbst wenn es stimmen sollte, daß
°le Wahrheit in jedem Fall ans Tageslicht käme, so ist ihr Spruch doch meist
veralteter und posthumer als die Entscheidung des seligen Reichskammergerichts
und ihr Wert dem Freispruch gleichzuachten, der gefällt wird, wenn der An¬
geklagte lange gehängt ist. Man wird darum gut tun, seine Sache nicht bloß
dem notwendigerweise sehr schleppend arbeitenden Forum der Geschichte zu
überlassen.

Nein, der Kampf der Völker wird nicht nur mit dem Schwerte geführt,
"eben vielen anderen Dingen gehört auch das Wort zu den wichtigen Waffen.


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[0193] Der Begriff der historischen Wahrheit und die Schlacht an der Marne Brussilows: aber wieviel ist von dieser gelehrten Erkenntnis ins Volk gedrungen? Noch immer umstrahlt auch heute noch den Namen des Miltiades. des Siegers von Marathon, ein fast mythischer Glanz, noch immer leben die Siege der Griechen in Herodotscher Beleuchtung in den höheren Schulen der ganzen Welt weiter! Zweitausend Jahre also hat zum mindesten die Wahrheit gebraucht, um ans Licht zu kommen, und noch immer ist dies Licht auf fehr enge Kreise beschränkt geblieben. Und so ist's nicht nur in diesem einen Falle; ich stelle ihn nur als typisch für zahllose ähnliche hierher. Überhaupt die Weltgeschichte als Weltgericht? Selbst wenn man daran festhält und sich dessen freut, daß die ganz groben Entstellungen der Tatsäch- Uchkeit eines Tages aufgedeckt werden: glaubt jemand im Ernst, daß deshalb Ruhm und Schande so verteilt würden, daß ein Verhältnis der Zuwügung herauskäme, dem man nur im entferntesten den Namen einer „Gerechtigkeit" zu¬ billigen könnte? Ich rede noch nicht einmal von solchen Fällen, in denen Feiglinge und Dummköpfe den Ruhm für Taten einernten, die andere für sie getan! Aber man denke nur. was für ein Mißverhältnis in dem welt¬ überstrahlenden Ruhm, den Leonidas mit seinen Spartanern errang, zu jener Vergangenheit liegt, die sich über die Abertausende namenloser Jnfanteristen breitet, die heutzutage tage- und wochenlang im feindlichen Trommelfeuer aus- harren und dann noch im Bajonettkampf ihren Mann stellend fallen! Und doch was sind die angeblich die Sonne verdunkelnden Pfeile der Perserscharen gegen den Granatenhagel der modernen Artillerie! Wie unendlich viel größer ist die Leistung der Nerven hier, und trotzdem ist Vergessenheit der Lohn dieser Tapferen, während der gewiß tapfere Spartanerkönig für seine an die Leistungen Moderner Kompanieführer kaum heranreichende Wirksamkeit zu den Unsterblichen gezählt wird, deren Namen auch künftighin Generation an Generation weiter- gibt! Und letzthin das Forum der Geschichte! Selbst wenn es. das sich doch aus Menschen zusammensetzt, auch nur fähig wäre, gerechte Urteile zu fällen, es bliebe doch ein schwacher Trost, zu wissen, daß vielleicht einige tausend Aahre später ein paar gewissenhafte Forscher an ihren Schreibtischen die Wahr¬ heit entdecken und ihre Erkenntnisse in Büchern drucken lassen, die hier und da von einigen Leuten gelesen werden. Ist das wirklich ein Trost für einen, der verleumdet und verkannt unterliegt? Nein, selbst wenn es stimmen sollte, daß °le Wahrheit in jedem Fall ans Tageslicht käme, so ist ihr Spruch doch meist veralteter und posthumer als die Entscheidung des seligen Reichskammergerichts und ihr Wert dem Freispruch gleichzuachten, der gefällt wird, wenn der An¬ geklagte lange gehängt ist. Man wird darum gut tun, seine Sache nicht bloß dem notwendigerweise sehr schleppend arbeitenden Forum der Geschichte zu überlassen. Nein, der Kampf der Völker wird nicht nur mit dem Schwerte geführt, "eben vielen anderen Dingen gehört auch das Wort zu den wichtigen Waffen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/193>, abgerufen am 04.07.2024.