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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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sein kann. Dem Hochschullehrer, dem die Vorbildung für sein Wissensgebiet
nur zu oft gleichzeitig den Maßstab für die Frage nach "der" zweckmäßigsten
Schuloorbereitung abgibt, wird es allerdings schwer fallen, sich in die so über¬
aus verwickelte Gesamtfrage hineinzudenken. Nicht nur kann heutzutage nicht
mehr ohne sehr starke Einschränkung von der gymnasialen bzw. der realistischen
Vorbildung als "der" besten für dieses oder jenes akademische Studium ge¬
sprochen werden, sondern es muß überhaupt stark bezweifelt werden, ob es
ratsam ist. die Zukunft der Gestaltung unseres höheren Schulwesens einzig
(oder auch nur vorwiegend) von den besonderen Anforderungen einzelner aka¬
demischer Studienfächer bzw. Gruppen solcher abhängig zu machen. Denn
wollte man -- amtlich oder halbamtlich -- die eine oder die andere Art der
Schulvorbildung kurzerhand als "die beste" erklären, so ergäben sich alsbald
unüberwindliche theoretische und praktische Schwierigkeiten, von denen nur einige
kurz angedeutet seien. Wie ist im Bereich der sprachlichen, historischen, mathe¬
matischen, naturwissenschaftlichen und anderen Schulbildungsaufgaben die Grenze
zu ziehen zwischen den Anforderungen einer darauf zu gründenden Fachausbildung
und dem für die Allgemeinheit pädagogisch Wertvollen und notwendigen? Werden
bei nicht wenigen Studiengebieten für die realistische wie für die gymnasiale
Vorbildung im ganzen nicht annähernd gleichgewichtige Gründe sich anführen
lassen, je nachdem, welche Seite des betreffenden Studiums man besonders
berücksichtigt? (Man denke z. B. an die Philosophie, die Geographie, die
romanische Philologie.)

Die jüngste Vergangenheit mit ihren starken und hoffentlich nachhaltigen
Eindrücken nationalpolitischer Art dürfte der allgemeinen Erkenntnis förderlich
sein, daß die -- 1900 in Preußen amtlich zugestandene -- "Pflege der Eigen¬
art" unserer gegenwärtigen drei Hauptgattungen höherer Schulen ihre engen
Schranken findet an dem höheren Ziele der deutsch-nationalen Bildung. Nicht
als ob bis dahin Gymnasien und Nealanstalten "antinational" oder doch in
diesem Betracht gleichgültig gewesen wären; aber man sollte doch ehrlich ein¬
gestehen wollen, daß es vielfach an der Schulerziehung zu dem gebrach, was
man nicht unpassend "bewußtes Deutschtum" genannt hat.

Je mehr sich die Wege zur höheren Allgemeinbildung verbreitern, muß
ein starkes Gemeinsames in allen höheren Schulen in den Vordergrund treten;
das gilt für die inhaltliche Seite des Unterrichts, das gilt nicht minder für die
formale. überhaupt für die obersten Grundsätze der Bildung und Schulerziehung.

Und je mehr für die wissenschaftliche Arbeit deutscher Hochschulen die Losung
"Qualitätsarbeit" zur Geltung gelangt, ist Vorsorge zu tragen, daß dem ein¬
seitigen, schon rein menschlich bedenklichen Spezialistentum nicht noch das Wort
geredet werde. -- "Pflicht und Arbeit sind der positive, nationale Richtungs-
lofigkeit der negative Pol deutschen Schaffens" (Paul Rohrbach). Daß dem
nicht ewig so sein möge, wird die deutsche höhere Schule an ihrem Teil wesentlich
beitragen können: eine im einzelnen unterschiedliche, in den leitenden Ideen


sein kann. Dem Hochschullehrer, dem die Vorbildung für sein Wissensgebiet
nur zu oft gleichzeitig den Maßstab für die Frage nach „der" zweckmäßigsten
Schuloorbereitung abgibt, wird es allerdings schwer fallen, sich in die so über¬
aus verwickelte Gesamtfrage hineinzudenken. Nicht nur kann heutzutage nicht
mehr ohne sehr starke Einschränkung von der gymnasialen bzw. der realistischen
Vorbildung als „der" besten für dieses oder jenes akademische Studium ge¬
sprochen werden, sondern es muß überhaupt stark bezweifelt werden, ob es
ratsam ist. die Zukunft der Gestaltung unseres höheren Schulwesens einzig
(oder auch nur vorwiegend) von den besonderen Anforderungen einzelner aka¬
demischer Studienfächer bzw. Gruppen solcher abhängig zu machen. Denn
wollte man — amtlich oder halbamtlich — die eine oder die andere Art der
Schulvorbildung kurzerhand als „die beste" erklären, so ergäben sich alsbald
unüberwindliche theoretische und praktische Schwierigkeiten, von denen nur einige
kurz angedeutet seien. Wie ist im Bereich der sprachlichen, historischen, mathe¬
matischen, naturwissenschaftlichen und anderen Schulbildungsaufgaben die Grenze
zu ziehen zwischen den Anforderungen einer darauf zu gründenden Fachausbildung
und dem für die Allgemeinheit pädagogisch Wertvollen und notwendigen? Werden
bei nicht wenigen Studiengebieten für die realistische wie für die gymnasiale
Vorbildung im ganzen nicht annähernd gleichgewichtige Gründe sich anführen
lassen, je nachdem, welche Seite des betreffenden Studiums man besonders
berücksichtigt? (Man denke z. B. an die Philosophie, die Geographie, die
romanische Philologie.)

Die jüngste Vergangenheit mit ihren starken und hoffentlich nachhaltigen
Eindrücken nationalpolitischer Art dürfte der allgemeinen Erkenntnis förderlich
sein, daß die — 1900 in Preußen amtlich zugestandene — „Pflege der Eigen¬
art" unserer gegenwärtigen drei Hauptgattungen höherer Schulen ihre engen
Schranken findet an dem höheren Ziele der deutsch-nationalen Bildung. Nicht
als ob bis dahin Gymnasien und Nealanstalten „antinational" oder doch in
diesem Betracht gleichgültig gewesen wären; aber man sollte doch ehrlich ein¬
gestehen wollen, daß es vielfach an der Schulerziehung zu dem gebrach, was
man nicht unpassend „bewußtes Deutschtum" genannt hat.

Je mehr sich die Wege zur höheren Allgemeinbildung verbreitern, muß
ein starkes Gemeinsames in allen höheren Schulen in den Vordergrund treten;
das gilt für die inhaltliche Seite des Unterrichts, das gilt nicht minder für die
formale. überhaupt für die obersten Grundsätze der Bildung und Schulerziehung.

Und je mehr für die wissenschaftliche Arbeit deutscher Hochschulen die Losung
„Qualitätsarbeit" zur Geltung gelangt, ist Vorsorge zu tragen, daß dem ein¬
seitigen, schon rein menschlich bedenklichen Spezialistentum nicht noch das Wort
geredet werde. — „Pflicht und Arbeit sind der positive, nationale Richtungs-
lofigkeit der negative Pol deutschen Schaffens" (Paul Rohrbach). Daß dem
nicht ewig so sein möge, wird die deutsche höhere Schule an ihrem Teil wesentlich
beitragen können: eine im einzelnen unterschiedliche, in den leitenden Ideen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/183>, abgerufen am 01.07.2024.