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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Zustände in Polen

In diesem Programm, das natürlich auf breitesten demokratischen Grund¬
lagen auszuführen gedacht ist, vereinigt sich das politische Denken der Polen.
Mit dieser Tatsache sollten unsere Warschauer Politiker sich endlich abfinden und
ihre Aufgabe nicht darin suchen, erst "alles in Gleichgewicht und Harmonie" zu
bringen. Unsere Aufgabe ist, Polen und die Polen entweder zu einem brauch¬
baren Werkzeug sür unsere Politik oder aber, wenn solches nicht mehr gelingen
sollte, sie unbrauchbar als Werkzeug unserer Gegner zu machen. Wir brauchen
uns dabei noch gar nicht nach dem englischen Muster in Griechenland zu
richten. -- Unsere Verwaltung scheint sich dieser einfachen Aufgabe nicht
bewußt geworden zu sein: seit Ende 1915 scheint sie sich nach dem Sinn
des Massowschen Satzes gerichtet zu haben: "Schließlich kommt es doch darauf
an, worin die Polen ihren Vorteil sehen." (S. 897). Sie hat den Polen alle
Hilfsmittel der Organisation, mit Einschluß einer dem Deutschtum feindlichen
Volksschule, in die Hand gegeben und überläßt es ihnen, die damit neu ge¬
wonnenen Kräfte fo anzuwenden, wie es der Polen Vorteil erheischt, ohne
Rücksicht darauf, ob diese Kraft einmal gegen oder für uns wirken soll. Es
kommt ja "darauf an, worin die Polen ihren Vorteil sehen!"

Mit diesen Feststellungen seien einstweilen die Ausführungen Herrn von Massows
Zurückgewiesen. Da ich meine polnische Bibliothek nicht zur Hand
habe, muß ich leider auf eine eingehende Widerlegung verzichten, behalte
mir aber vor, sobald als möglich die polnische Frage und ihre Entwicklung
nach dem November-Manifest im Zusammenhange zu behandeln. Es wird
dann auch verständlich werden, wie ein in sachlicher Beziehung so gründlich
vorgebildeter Politiker, vom Grade Wilhelm von Massows, scheinbar blind für
das Tatsächliche bleiben konnte. Heute nur so viel: Die deutschen Beamten in
Warschau wissen, nachdem die polnischen Behörden zwischen sie und das polnische
Volk geschoben worden sind, weniger von der Stimmung im Lande wie vor einem
und zwei Jahren; sie sind in dieser Beziehung vollständig in Abhängigkeit von
ihrer nächsten polnischen Umgebung, die sie unfähig gemacht zu haben scheint, die
Dinge und Menschen durch die Brille der deutschen Belange zu sehen. Was
Wunder, wenn nun auch Herr von Massow, der sich ausdrücklich auf "ma߬
gebende" Persönlichkeiten beruft, nichts anderes berichtet, als was man an
maßgebender Stelle in Warschau sich -- wünscht.




Nachwort.

Obige Zeilen sind am 21. Juli aus der Batteriestellung in
Flandern abgegangen. Die inzwischen bekanntgewordenen Vorkommnisse in
Polen, wie die Verhaftung Pilsudskis, die Eidesverweigerung der Legionen, wo¬
bei Vertrauensmänner und nächste Mitarbeiter der deutschen Macht
zu den Eidesverweigern gehören, -- und manches andere bestätigen gründlicher,
als es zu wünschen gewesen wäre, die Tatsache, wie böse Herr von Massow
durch seine Gewährsmänner irregeführt worden ist. -- Nun findet sich im vorigen
Hefte der "Grenzboten" einen Aufsatz, der über die "Garantien für die deutschen


Die Zustände in Polen

In diesem Programm, das natürlich auf breitesten demokratischen Grund¬
lagen auszuführen gedacht ist, vereinigt sich das politische Denken der Polen.
Mit dieser Tatsache sollten unsere Warschauer Politiker sich endlich abfinden und
ihre Aufgabe nicht darin suchen, erst „alles in Gleichgewicht und Harmonie" zu
bringen. Unsere Aufgabe ist, Polen und die Polen entweder zu einem brauch¬
baren Werkzeug sür unsere Politik oder aber, wenn solches nicht mehr gelingen
sollte, sie unbrauchbar als Werkzeug unserer Gegner zu machen. Wir brauchen
uns dabei noch gar nicht nach dem englischen Muster in Griechenland zu
richten. — Unsere Verwaltung scheint sich dieser einfachen Aufgabe nicht
bewußt geworden zu sein: seit Ende 1915 scheint sie sich nach dem Sinn
des Massowschen Satzes gerichtet zu haben: „Schließlich kommt es doch darauf
an, worin die Polen ihren Vorteil sehen." (S. 897). Sie hat den Polen alle
Hilfsmittel der Organisation, mit Einschluß einer dem Deutschtum feindlichen
Volksschule, in die Hand gegeben und überläßt es ihnen, die damit neu ge¬
wonnenen Kräfte fo anzuwenden, wie es der Polen Vorteil erheischt, ohne
Rücksicht darauf, ob diese Kraft einmal gegen oder für uns wirken soll. Es
kommt ja „darauf an, worin die Polen ihren Vorteil sehen!"

Mit diesen Feststellungen seien einstweilen die Ausführungen Herrn von Massows
Zurückgewiesen. Da ich meine polnische Bibliothek nicht zur Hand
habe, muß ich leider auf eine eingehende Widerlegung verzichten, behalte
mir aber vor, sobald als möglich die polnische Frage und ihre Entwicklung
nach dem November-Manifest im Zusammenhange zu behandeln. Es wird
dann auch verständlich werden, wie ein in sachlicher Beziehung so gründlich
vorgebildeter Politiker, vom Grade Wilhelm von Massows, scheinbar blind für
das Tatsächliche bleiben konnte. Heute nur so viel: Die deutschen Beamten in
Warschau wissen, nachdem die polnischen Behörden zwischen sie und das polnische
Volk geschoben worden sind, weniger von der Stimmung im Lande wie vor einem
und zwei Jahren; sie sind in dieser Beziehung vollständig in Abhängigkeit von
ihrer nächsten polnischen Umgebung, die sie unfähig gemacht zu haben scheint, die
Dinge und Menschen durch die Brille der deutschen Belange zu sehen. Was
Wunder, wenn nun auch Herr von Massow, der sich ausdrücklich auf „ma߬
gebende" Persönlichkeiten beruft, nichts anderes berichtet, als was man an
maßgebender Stelle in Warschau sich — wünscht.




Nachwort.

Obige Zeilen sind am 21. Juli aus der Batteriestellung in
Flandern abgegangen. Die inzwischen bekanntgewordenen Vorkommnisse in
Polen, wie die Verhaftung Pilsudskis, die Eidesverweigerung der Legionen, wo¬
bei Vertrauensmänner und nächste Mitarbeiter der deutschen Macht
zu den Eidesverweigern gehören, — und manches andere bestätigen gründlicher,
als es zu wünschen gewesen wäre, die Tatsache, wie böse Herr von Massow
durch seine Gewährsmänner irregeführt worden ist. — Nun findet sich im vorigen
Hefte der „Grenzboten" einen Aufsatz, der über die „Garantien für die deutschen


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[0181] Die Zustände in Polen In diesem Programm, das natürlich auf breitesten demokratischen Grund¬ lagen auszuführen gedacht ist, vereinigt sich das politische Denken der Polen. Mit dieser Tatsache sollten unsere Warschauer Politiker sich endlich abfinden und ihre Aufgabe nicht darin suchen, erst „alles in Gleichgewicht und Harmonie" zu bringen. Unsere Aufgabe ist, Polen und die Polen entweder zu einem brauch¬ baren Werkzeug sür unsere Politik oder aber, wenn solches nicht mehr gelingen sollte, sie unbrauchbar als Werkzeug unserer Gegner zu machen. Wir brauchen uns dabei noch gar nicht nach dem englischen Muster in Griechenland zu richten. — Unsere Verwaltung scheint sich dieser einfachen Aufgabe nicht bewußt geworden zu sein: seit Ende 1915 scheint sie sich nach dem Sinn des Massowschen Satzes gerichtet zu haben: „Schließlich kommt es doch darauf an, worin die Polen ihren Vorteil sehen." (S. 897). Sie hat den Polen alle Hilfsmittel der Organisation, mit Einschluß einer dem Deutschtum feindlichen Volksschule, in die Hand gegeben und überläßt es ihnen, die damit neu ge¬ wonnenen Kräfte fo anzuwenden, wie es der Polen Vorteil erheischt, ohne Rücksicht darauf, ob diese Kraft einmal gegen oder für uns wirken soll. Es kommt ja „darauf an, worin die Polen ihren Vorteil sehen!" Mit diesen Feststellungen seien einstweilen die Ausführungen Herrn von Massows Zurückgewiesen. Da ich meine polnische Bibliothek nicht zur Hand habe, muß ich leider auf eine eingehende Widerlegung verzichten, behalte mir aber vor, sobald als möglich die polnische Frage und ihre Entwicklung nach dem November-Manifest im Zusammenhange zu behandeln. Es wird dann auch verständlich werden, wie ein in sachlicher Beziehung so gründlich vorgebildeter Politiker, vom Grade Wilhelm von Massows, scheinbar blind für das Tatsächliche bleiben konnte. Heute nur so viel: Die deutschen Beamten in Warschau wissen, nachdem die polnischen Behörden zwischen sie und das polnische Volk geschoben worden sind, weniger von der Stimmung im Lande wie vor einem und zwei Jahren; sie sind in dieser Beziehung vollständig in Abhängigkeit von ihrer nächsten polnischen Umgebung, die sie unfähig gemacht zu haben scheint, die Dinge und Menschen durch die Brille der deutschen Belange zu sehen. Was Wunder, wenn nun auch Herr von Massow, der sich ausdrücklich auf „ma߬ gebende" Persönlichkeiten beruft, nichts anderes berichtet, als was man an maßgebender Stelle in Warschau sich — wünscht. Nachwort. Obige Zeilen sind am 21. Juli aus der Batteriestellung in Flandern abgegangen. Die inzwischen bekanntgewordenen Vorkommnisse in Polen, wie die Verhaftung Pilsudskis, die Eidesverweigerung der Legionen, wo¬ bei Vertrauensmänner und nächste Mitarbeiter der deutschen Macht zu den Eidesverweigern gehören, — und manches andere bestätigen gründlicher, als es zu wünschen gewesen wäre, die Tatsache, wie böse Herr von Massow durch seine Gewährsmänner irregeführt worden ist. — Nun findet sich im vorigen Hefte der „Grenzboten" einen Aufsatz, der über die „Garantien für die deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/181>, abgerufen am 01.07.2024.