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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Lark Ientsch f

um -- Pfarrer zu werden. Am 22. April 1870 aber veröffentlichte er, nun¬
mehr Kaplan in Liegnitz, eine Erklärung gegen das Jnfallibilitätsdognm und
das damit zusammenhängende kirchenpolitische System. Der Antiultramontanist
begann sich erstmalig in ihm zu offenbaren. Er geriet bald in noch stärkere
oppositionelle Stellung, da ihm das Wirken der katholischen Presse gegen die
Staatsregierung sowohl die Existenz des Deutschen Reiches als auch die Preußens
zu gefährden schien. Aus dieser staatstreuen Gesinnung heraus unterzeichnete
er auch die Staatskatholikenadresse. Schließlich wurde der unruhige, unbequem
selbständige Geist exkommuniziert. Dem Ausgestoßenen bot der Altkatholizismus
eine Zuflucht: die Pfarre in Offenburg, später Konstanz und zuletzt in Reiße.
Aber der Altkatholizismus errang geringe Ausdehnung und wurde schließlich
zu einem "verdünnten Katholizismus", "der ebenso kritiklos genossen wird, wie
der inhaltreichere der alten Kirche" ("Wandlungen", S. 394). Deshalb gab
Ientsch 1882 nicht allzu schweren Herzens das Pfarramt auf und wurde Re¬
dakteur an der liberalen "Reißer Presse", um schließlich auch diese Tätigkeit
mit der des freien Schriftstellers zu vertauschen.

Zwei Hauptmotive des Handelns weist der Lebensgang von Carl Ientsch
auf: Treues Staatsbürgertum und das "Katholiksein trotz allem". Diese
Wesensgrundlage, verbunden mit einem starken Gerechtigkeitssinn, der all und
jedes wirklich objektiv zu erfassen und zu werten strebt, geben eine zwingende
Erklärung für Jentschs stets besondere Stellungnahme zu den Dingen des
Tages, der inneren und äußeren Politik. -- Wenn Ientsch in der Kultur¬
kampfzeit oppositionell zur Kirche auftrat, ,so erstrebte er doch nicht etwa den
Sieg des Staates über sie. Er sah vielmehr für den Staat unter den heutigen
Umständen eine Lebensfrage darin, daß die Kirche unabhängig bleibt und dem
Volke die reine Religion erhält. Die Gleichgewichtslage, wie sie zwischen den
verschiedenen Konfesstonen und den weltlichen Behörden in Schlesien vor 1870
bestand, bedeutete ihm das Ideal (s. "Geschichtsphilosophische Gedanken"). Er
wünschte in dieser Beziehung unter Hinweis auf Fichte, der der Meinung ist,
daß die Johanneskirche die vetrinische und paulinische ablösen würde, es möchten
die Konfessionen sich finden in johanneischer Gesinnung: Liebe und Innerlichkeit.
Weder soll der Protestantismus siegen, noch der Katholizismus. Die kon¬
servative Grundstimmung im Wesen Jentschs achtet das historisch Gewordene
gut und recht. Und so weist er ebenso energisch klerikale Übergriffe zurück, wie
er die Gründung des Evangelischen Bundes für bedauerlich hält, oder in
"Christentum und Kirche" an Schäden des Papsttums ebenso wie an denen
des Luthertums Kritik übt. In solchem Streben konnte Ientsch den Umschwung
der Politik Bismarcks nach 1880 nur willkommen heißen. Mit der Aufhebung
der Maigesetze begann die Periode des Fanatismus abzuebben und das Zentrum
sich aus der reichsfeindlichen, vaterlandslosen Opposition zum positiven Mit'
arbeiter, wenn auch noch nicht zur Negierungsstütze umzubilden. Doktrinär
sprach Ientsch zwar dem Zentrum die Existenzberechtigung ab, weil es den


Lark Ientsch f

um — Pfarrer zu werden. Am 22. April 1870 aber veröffentlichte er, nun¬
mehr Kaplan in Liegnitz, eine Erklärung gegen das Jnfallibilitätsdognm und
das damit zusammenhängende kirchenpolitische System. Der Antiultramontanist
begann sich erstmalig in ihm zu offenbaren. Er geriet bald in noch stärkere
oppositionelle Stellung, da ihm das Wirken der katholischen Presse gegen die
Staatsregierung sowohl die Existenz des Deutschen Reiches als auch die Preußens
zu gefährden schien. Aus dieser staatstreuen Gesinnung heraus unterzeichnete
er auch die Staatskatholikenadresse. Schließlich wurde der unruhige, unbequem
selbständige Geist exkommuniziert. Dem Ausgestoßenen bot der Altkatholizismus
eine Zuflucht: die Pfarre in Offenburg, später Konstanz und zuletzt in Reiße.
Aber der Altkatholizismus errang geringe Ausdehnung und wurde schließlich
zu einem „verdünnten Katholizismus", „der ebenso kritiklos genossen wird, wie
der inhaltreichere der alten Kirche" („Wandlungen", S. 394). Deshalb gab
Ientsch 1882 nicht allzu schweren Herzens das Pfarramt auf und wurde Re¬
dakteur an der liberalen „Reißer Presse", um schließlich auch diese Tätigkeit
mit der des freien Schriftstellers zu vertauschen.

Zwei Hauptmotive des Handelns weist der Lebensgang von Carl Ientsch
auf: Treues Staatsbürgertum und das „Katholiksein trotz allem". Diese
Wesensgrundlage, verbunden mit einem starken Gerechtigkeitssinn, der all und
jedes wirklich objektiv zu erfassen und zu werten strebt, geben eine zwingende
Erklärung für Jentschs stets besondere Stellungnahme zu den Dingen des
Tages, der inneren und äußeren Politik. — Wenn Ientsch in der Kultur¬
kampfzeit oppositionell zur Kirche auftrat, ,so erstrebte er doch nicht etwa den
Sieg des Staates über sie. Er sah vielmehr für den Staat unter den heutigen
Umständen eine Lebensfrage darin, daß die Kirche unabhängig bleibt und dem
Volke die reine Religion erhält. Die Gleichgewichtslage, wie sie zwischen den
verschiedenen Konfesstonen und den weltlichen Behörden in Schlesien vor 1870
bestand, bedeutete ihm das Ideal (s. „Geschichtsphilosophische Gedanken"). Er
wünschte in dieser Beziehung unter Hinweis auf Fichte, der der Meinung ist,
daß die Johanneskirche die vetrinische und paulinische ablösen würde, es möchten
die Konfessionen sich finden in johanneischer Gesinnung: Liebe und Innerlichkeit.
Weder soll der Protestantismus siegen, noch der Katholizismus. Die kon¬
servative Grundstimmung im Wesen Jentschs achtet das historisch Gewordene
gut und recht. Und so weist er ebenso energisch klerikale Übergriffe zurück, wie
er die Gründung des Evangelischen Bundes für bedauerlich hält, oder in
„Christentum und Kirche" an Schäden des Papsttums ebenso wie an denen
des Luthertums Kritik übt. In solchem Streben konnte Ientsch den Umschwung
der Politik Bismarcks nach 1880 nur willkommen heißen. Mit der Aufhebung
der Maigesetze begann die Periode des Fanatismus abzuebben und das Zentrum
sich aus der reichsfeindlichen, vaterlandslosen Opposition zum positiven Mit'
arbeiter, wenn auch noch nicht zur Negierungsstütze umzubilden. Doktrinär
sprach Ientsch zwar dem Zentrum die Existenzberechtigung ab, weil es den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/174>, abgerufen am 01.07.2024.