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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Garantie"! für die deutschen Schulen in Polen

Unter dem Schutze der deutschen Okkupation schlössen sich nun die Deutschen
Polens in zunehmendem Maße zusammen und faßten die Lösung von Schul¬
aufgaben entschieden ins Auge. Im März 1916 wurde der Deutsche Verein
für Lodz und Umgebung gegründet, der heute ungefähr Hundertvierzigtausend
Mitglieder zählt; er hat Fortbildungskurse für die Jugend veranstaltet, eine
Schulabteilung eingerichtet und sich eine Jugendabteilung angeschlossen. Ein
deutscher Lehrerverein, im März 1917 ebenfalls in Lodz gegründet, arbeitet
an der Hebung des Lehrerstandes und des deutschen Schulwesens überhaupt.

Natürlich kann nun die deutsche Verwaltung nicht daran denken, diese
Werte, die zum guten Teil mit ihrem Beistand geschaffen worden sind, wieder
preiszugeben in der Annahme etwa, die Polen würden glimpflicher damit ver¬
fahren als die Russen. Zwar bezeichnen sich die Polen bei jeder Gelegenheit,
w Wort und Schrift, als eines der tolerantesten Völker, die es je gegeben,
aber wer sich darauf verließe, müßte die Geschichte, auf die sie sich berufen,
w der Tat nicht kennen. So heißt es z. B. in einem Berichte des Lodzer
deutschen Schul- und Bildungsvereins: "Vor dreißig Jahren hatten die in
Polen lebenden Deutschen noch überall ihre deutschen Schulen, die von ihnen
verwaltet wurden. Als die russische Unterrichtssprache in allen Schulen
obligatorisch eingeführt wurde, wurden die deutschen Schulen mit den polnischen
vereinigt, und jetzt begann ein systematisches Verschieben des Verhält¬
nisses der polnischen und deutschen Schullehrer und Schulkinder zugunsten
der Polen. Vor zwanzig Jahren waren in den städtischen Elementar¬
schulen noch mehr als die Hälfte der Schulkinder Deutsche. Da aber
als Lehrer nur sehr selten Deutsche, sondern stets nationale Polen angestellt
wurden, so bevorzugten diese bei der Aufnahme die Kinder polnischer Nationalität,
was bei dem großen Andrang einen großen Nachteil sür die deutschen Kinder
bildete. Immer mehr verschob sich das Verhältnis zugunsten der Polen, denn
es wurden überhaupt keine deutschen Lehrer mehr angestellt und 1907 war nur
"och ein Viertel der Schüler Deutsche. Dieses Verhältnis war um so krasser,
als die Deutschen in Lodz von der Gesamtsumme der Schulsteuer 60 Prozent
aufbrachten. Wir sehen, daß im Jahre 1897 noch 1238 deutsche Schüler oder
44 Prozent in den vorhandenen Schulen Platz hatten; 1906 war diese Zahl.
Kotz der großen Vermehrung der Einwohnerzahl, auf 1138 oder 27 Prozent
herabgesunken. dagegen die Zahl der polnischen Schüler von 1609 auf 3143
Wiegen; im Jahre 1907 hatten elf Schulen überhaupt keine deutschen Schüler
Mehr. Es hätte keine zehn Jahre mehr gedauert und alle deutschen Schüler
wären ausgesperrt gewesen". Wohlgemerkt, das machten die Polen, nicht
^e Russen.

Neuerdings ist die ganze Schulfrage besonders brennend geworden, da nach
Presseberichten unter den Verwaltungszweigen, die schon in nächster Zeit dem
provisorischen Staatsrat in Warschau übertragen werden sollen. -- das Gerichts¬
wesen soll, wie gemeldet wurde, im August übergeben werden -- auch die


Garantie»! für die deutschen Schulen in Polen

Unter dem Schutze der deutschen Okkupation schlössen sich nun die Deutschen
Polens in zunehmendem Maße zusammen und faßten die Lösung von Schul¬
aufgaben entschieden ins Auge. Im März 1916 wurde der Deutsche Verein
für Lodz und Umgebung gegründet, der heute ungefähr Hundertvierzigtausend
Mitglieder zählt; er hat Fortbildungskurse für die Jugend veranstaltet, eine
Schulabteilung eingerichtet und sich eine Jugendabteilung angeschlossen. Ein
deutscher Lehrerverein, im März 1917 ebenfalls in Lodz gegründet, arbeitet
an der Hebung des Lehrerstandes und des deutschen Schulwesens überhaupt.

Natürlich kann nun die deutsche Verwaltung nicht daran denken, diese
Werte, die zum guten Teil mit ihrem Beistand geschaffen worden sind, wieder
preiszugeben in der Annahme etwa, die Polen würden glimpflicher damit ver¬
fahren als die Russen. Zwar bezeichnen sich die Polen bei jeder Gelegenheit,
w Wort und Schrift, als eines der tolerantesten Völker, die es je gegeben,
aber wer sich darauf verließe, müßte die Geschichte, auf die sie sich berufen,
w der Tat nicht kennen. So heißt es z. B. in einem Berichte des Lodzer
deutschen Schul- und Bildungsvereins: „Vor dreißig Jahren hatten die in
Polen lebenden Deutschen noch überall ihre deutschen Schulen, die von ihnen
verwaltet wurden. Als die russische Unterrichtssprache in allen Schulen
obligatorisch eingeführt wurde, wurden die deutschen Schulen mit den polnischen
vereinigt, und jetzt begann ein systematisches Verschieben des Verhält¬
nisses der polnischen und deutschen Schullehrer und Schulkinder zugunsten
der Polen. Vor zwanzig Jahren waren in den städtischen Elementar¬
schulen noch mehr als die Hälfte der Schulkinder Deutsche. Da aber
als Lehrer nur sehr selten Deutsche, sondern stets nationale Polen angestellt
wurden, so bevorzugten diese bei der Aufnahme die Kinder polnischer Nationalität,
was bei dem großen Andrang einen großen Nachteil sür die deutschen Kinder
bildete. Immer mehr verschob sich das Verhältnis zugunsten der Polen, denn
es wurden überhaupt keine deutschen Lehrer mehr angestellt und 1907 war nur
"och ein Viertel der Schüler Deutsche. Dieses Verhältnis war um so krasser,
als die Deutschen in Lodz von der Gesamtsumme der Schulsteuer 60 Prozent
aufbrachten. Wir sehen, daß im Jahre 1897 noch 1238 deutsche Schüler oder
44 Prozent in den vorhandenen Schulen Platz hatten; 1906 war diese Zahl.
Kotz der großen Vermehrung der Einwohnerzahl, auf 1138 oder 27 Prozent
herabgesunken. dagegen die Zahl der polnischen Schüler von 1609 auf 3143
Wiegen; im Jahre 1907 hatten elf Schulen überhaupt keine deutschen Schüler
Mehr. Es hätte keine zehn Jahre mehr gedauert und alle deutschen Schüler
wären ausgesperrt gewesen". Wohlgemerkt, das machten die Polen, nicht
^e Russen.

Neuerdings ist die ganze Schulfrage besonders brennend geworden, da nach
Presseberichten unter den Verwaltungszweigen, die schon in nächster Zeit dem
provisorischen Staatsrat in Warschau übertragen werden sollen. — das Gerichts¬
wesen soll, wie gemeldet wurde, im August übergeben werden — auch die


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[0161] Garantie»! für die deutschen Schulen in Polen Unter dem Schutze der deutschen Okkupation schlössen sich nun die Deutschen Polens in zunehmendem Maße zusammen und faßten die Lösung von Schul¬ aufgaben entschieden ins Auge. Im März 1916 wurde der Deutsche Verein für Lodz und Umgebung gegründet, der heute ungefähr Hundertvierzigtausend Mitglieder zählt; er hat Fortbildungskurse für die Jugend veranstaltet, eine Schulabteilung eingerichtet und sich eine Jugendabteilung angeschlossen. Ein deutscher Lehrerverein, im März 1917 ebenfalls in Lodz gegründet, arbeitet an der Hebung des Lehrerstandes und des deutschen Schulwesens überhaupt. Natürlich kann nun die deutsche Verwaltung nicht daran denken, diese Werte, die zum guten Teil mit ihrem Beistand geschaffen worden sind, wieder preiszugeben in der Annahme etwa, die Polen würden glimpflicher damit ver¬ fahren als die Russen. Zwar bezeichnen sich die Polen bei jeder Gelegenheit, w Wort und Schrift, als eines der tolerantesten Völker, die es je gegeben, aber wer sich darauf verließe, müßte die Geschichte, auf die sie sich berufen, w der Tat nicht kennen. So heißt es z. B. in einem Berichte des Lodzer deutschen Schul- und Bildungsvereins: „Vor dreißig Jahren hatten die in Polen lebenden Deutschen noch überall ihre deutschen Schulen, die von ihnen verwaltet wurden. Als die russische Unterrichtssprache in allen Schulen obligatorisch eingeführt wurde, wurden die deutschen Schulen mit den polnischen vereinigt, und jetzt begann ein systematisches Verschieben des Verhält¬ nisses der polnischen und deutschen Schullehrer und Schulkinder zugunsten der Polen. Vor zwanzig Jahren waren in den städtischen Elementar¬ schulen noch mehr als die Hälfte der Schulkinder Deutsche. Da aber als Lehrer nur sehr selten Deutsche, sondern stets nationale Polen angestellt wurden, so bevorzugten diese bei der Aufnahme die Kinder polnischer Nationalität, was bei dem großen Andrang einen großen Nachteil sür die deutschen Kinder bildete. Immer mehr verschob sich das Verhältnis zugunsten der Polen, denn es wurden überhaupt keine deutschen Lehrer mehr angestellt und 1907 war nur "och ein Viertel der Schüler Deutsche. Dieses Verhältnis war um so krasser, als die Deutschen in Lodz von der Gesamtsumme der Schulsteuer 60 Prozent aufbrachten. Wir sehen, daß im Jahre 1897 noch 1238 deutsche Schüler oder 44 Prozent in den vorhandenen Schulen Platz hatten; 1906 war diese Zahl. Kotz der großen Vermehrung der Einwohnerzahl, auf 1138 oder 27 Prozent herabgesunken. dagegen die Zahl der polnischen Schüler von 1609 auf 3143 Wiegen; im Jahre 1907 hatten elf Schulen überhaupt keine deutschen Schüler Mehr. Es hätte keine zehn Jahre mehr gedauert und alle deutschen Schüler wären ausgesperrt gewesen". Wohlgemerkt, das machten die Polen, nicht ^e Russen. Neuerdings ist die ganze Schulfrage besonders brennend geworden, da nach Presseberichten unter den Verwaltungszweigen, die schon in nächster Zeit dem provisorischen Staatsrat in Warschau übertragen werden sollen. — das Gerichts¬ wesen soll, wie gemeldet wurde, im August übergeben werden — auch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/161>, abgerufen am 01.07.2024.