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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Das belgischeKriegsziel und die Friedenserklärung des Reichstages

Mit der Friedenserklärung des Reichstages ein freies Belgien, das mit einem
freien und mächtigen Deutschen Reiche versöhnt für gemeinsame Kultur- und
Wirtschaftsziele arbeitet; nicht ein Belgien, das im Fahrwasser eines feindlichen
England und Frankreich segelnd unsere westliche Flanke ewig bedroht, sondern
ein Belgien, von dem wir die Bürgschaft haben, daß es seinen Gewerbfleiß
mit unserem in friedlichem Einvernehmen entwickelt und ihn mit dem unseren
in gemeinsamer Abwehr künftig zum Wohl der ganzen Kultur zu verteidigen
bereit ist. Diese Bürgschaft werden wir uns natürlich, wenn wir gut beraten
sind, zu verschaffen wissen. Wir dürfen uns nicht von unserer Michelstimmnng
hinreißen lassen und nicht denken, wir müßten die Steine zu unserem
politischen Haus möglichst gleich mit dem Schwerte beHauen. Der kunst¬
fertige politische Steinmetz arbeitet vielmehr mit zierlichen Meißeln, und er
weiß die Fugen und Löcher des Gesteins mit dem sorgsam gemischten Mörtel
des Staats- und Völkerrechts zu verschmieren. Alle unsere nationalpolitische
Arbeit vollzieht sich im Nahmen der allgemein menschlichen Ordnung und muß
auf deren Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Das verstehen viele Leute bei uns
nicht, die sich für vorzügliche Politiker und Patrioten halten; sie bemühen sich
auch gar nicht, es zu lernen. Den Engländern sagt man nach, daß ihre
Politik lediglich von dem Grundsatze: KiM or xvronZ. eountr^I geleitet
sei. Englischen Staatsmännern aber fällt es nicht ein, diesen Grundsatz zu
verkünden. Da hören wir vielmehr von der Sache der Kultur, für die sie
eintreten, von der wohlverstandenen Unabhängigkeit der kleinen Nationen.
Man kann das schnell fertig für Heuchelei erklären und wird dem Kern der
Sache doch nicht gerecht damit. Nur bei uns in Deutschland gelten Leute
sur was Gescheites, die es für "realpolitisch" halten, das Völkerrecht eitel
blauen Dunst zu nennen und immer wieder laut zu sagen, daß für unser
politisches Handeln nichts, aber auch gar nichts anderes als das deutsche
Interesse maßgebend sein dürfe. Demgegenüber erwirbt sich der Reichstag
staatsmännisches Verdienst, wenn er einen Frieden der Verständigung erstrebt,
der auch den Rechten und Ansprüchen anderer Völker Raum gewährt, selbst¬
verständlich insoweit die Bedürfnisse unseres Volkes dies gestatten. Mit unserem
Dasein und unserem weltpolitischen und -wirtschaftlichen Selbstbestimmungs¬
anspruch muß sich die Welt abfinden. Darum führen wir ja eben diesen
Krieg. So wollen wir denn auch unser künftiges Verhältnis zu Belgien so
gestalten, daß unsere militärische, politische und wirtschaftliche Sicherheit nach
dieser Seite gewährleistet ist, im übrigen aber den beiden Völkern dieses Landes
ihr Recht und ihre Wohlfahrt verbürgen, ja sogar beide in gemeinsamer Kultur¬
arbeit mit ihnen wesentlich fördern.

Der belgische Staat muß uns also zunächst die nötige militärische Sicherung
leisten. Belgien darf seine geographische Lage, seine Festungen, seine Armee
weder selber zu unserer Bedrohung ausnutzen, noch sie von irgend jemand anders
ausnutzen lassen. Vielmehr müssen umgekehrt die Hilfsmittel des Landes unseren


Das belgischeKriegsziel und die Friedenserklärung des Reichstages

Mit der Friedenserklärung des Reichstages ein freies Belgien, das mit einem
freien und mächtigen Deutschen Reiche versöhnt für gemeinsame Kultur- und
Wirtschaftsziele arbeitet; nicht ein Belgien, das im Fahrwasser eines feindlichen
England und Frankreich segelnd unsere westliche Flanke ewig bedroht, sondern
ein Belgien, von dem wir die Bürgschaft haben, daß es seinen Gewerbfleiß
mit unserem in friedlichem Einvernehmen entwickelt und ihn mit dem unseren
in gemeinsamer Abwehr künftig zum Wohl der ganzen Kultur zu verteidigen
bereit ist. Diese Bürgschaft werden wir uns natürlich, wenn wir gut beraten
sind, zu verschaffen wissen. Wir dürfen uns nicht von unserer Michelstimmnng
hinreißen lassen und nicht denken, wir müßten die Steine zu unserem
politischen Haus möglichst gleich mit dem Schwerte beHauen. Der kunst¬
fertige politische Steinmetz arbeitet vielmehr mit zierlichen Meißeln, und er
weiß die Fugen und Löcher des Gesteins mit dem sorgsam gemischten Mörtel
des Staats- und Völkerrechts zu verschmieren. Alle unsere nationalpolitische
Arbeit vollzieht sich im Nahmen der allgemein menschlichen Ordnung und muß
auf deren Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Das verstehen viele Leute bei uns
nicht, die sich für vorzügliche Politiker und Patrioten halten; sie bemühen sich
auch gar nicht, es zu lernen. Den Engländern sagt man nach, daß ihre
Politik lediglich von dem Grundsatze: KiM or xvronZ. eountr^I geleitet
sei. Englischen Staatsmännern aber fällt es nicht ein, diesen Grundsatz zu
verkünden. Da hören wir vielmehr von der Sache der Kultur, für die sie
eintreten, von der wohlverstandenen Unabhängigkeit der kleinen Nationen.
Man kann das schnell fertig für Heuchelei erklären und wird dem Kern der
Sache doch nicht gerecht damit. Nur bei uns in Deutschland gelten Leute
sur was Gescheites, die es für „realpolitisch" halten, das Völkerrecht eitel
blauen Dunst zu nennen und immer wieder laut zu sagen, daß für unser
politisches Handeln nichts, aber auch gar nichts anderes als das deutsche
Interesse maßgebend sein dürfe. Demgegenüber erwirbt sich der Reichstag
staatsmännisches Verdienst, wenn er einen Frieden der Verständigung erstrebt,
der auch den Rechten und Ansprüchen anderer Völker Raum gewährt, selbst¬
verständlich insoweit die Bedürfnisse unseres Volkes dies gestatten. Mit unserem
Dasein und unserem weltpolitischen und -wirtschaftlichen Selbstbestimmungs¬
anspruch muß sich die Welt abfinden. Darum führen wir ja eben diesen
Krieg. So wollen wir denn auch unser künftiges Verhältnis zu Belgien so
gestalten, daß unsere militärische, politische und wirtschaftliche Sicherheit nach
dieser Seite gewährleistet ist, im übrigen aber den beiden Völkern dieses Landes
ihr Recht und ihre Wohlfahrt verbürgen, ja sogar beide in gemeinsamer Kultur¬
arbeit mit ihnen wesentlich fördern.

Der belgische Staat muß uns also zunächst die nötige militärische Sicherung
leisten. Belgien darf seine geographische Lage, seine Festungen, seine Armee
weder selber zu unserer Bedrohung ausnutzen, noch sie von irgend jemand anders
ausnutzen lassen. Vielmehr müssen umgekehrt die Hilfsmittel des Landes unseren


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[0145] Das belgischeKriegsziel und die Friedenserklärung des Reichstages Mit der Friedenserklärung des Reichstages ein freies Belgien, das mit einem freien und mächtigen Deutschen Reiche versöhnt für gemeinsame Kultur- und Wirtschaftsziele arbeitet; nicht ein Belgien, das im Fahrwasser eines feindlichen England und Frankreich segelnd unsere westliche Flanke ewig bedroht, sondern ein Belgien, von dem wir die Bürgschaft haben, daß es seinen Gewerbfleiß mit unserem in friedlichem Einvernehmen entwickelt und ihn mit dem unseren in gemeinsamer Abwehr künftig zum Wohl der ganzen Kultur zu verteidigen bereit ist. Diese Bürgschaft werden wir uns natürlich, wenn wir gut beraten sind, zu verschaffen wissen. Wir dürfen uns nicht von unserer Michelstimmnng hinreißen lassen und nicht denken, wir müßten die Steine zu unserem politischen Haus möglichst gleich mit dem Schwerte beHauen. Der kunst¬ fertige politische Steinmetz arbeitet vielmehr mit zierlichen Meißeln, und er weiß die Fugen und Löcher des Gesteins mit dem sorgsam gemischten Mörtel des Staats- und Völkerrechts zu verschmieren. Alle unsere nationalpolitische Arbeit vollzieht sich im Nahmen der allgemein menschlichen Ordnung und muß auf deren Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Das verstehen viele Leute bei uns nicht, die sich für vorzügliche Politiker und Patrioten halten; sie bemühen sich auch gar nicht, es zu lernen. Den Engländern sagt man nach, daß ihre Politik lediglich von dem Grundsatze: KiM or xvronZ. eountr^I geleitet sei. Englischen Staatsmännern aber fällt es nicht ein, diesen Grundsatz zu verkünden. Da hören wir vielmehr von der Sache der Kultur, für die sie eintreten, von der wohlverstandenen Unabhängigkeit der kleinen Nationen. Man kann das schnell fertig für Heuchelei erklären und wird dem Kern der Sache doch nicht gerecht damit. Nur bei uns in Deutschland gelten Leute sur was Gescheites, die es für „realpolitisch" halten, das Völkerrecht eitel blauen Dunst zu nennen und immer wieder laut zu sagen, daß für unser politisches Handeln nichts, aber auch gar nichts anderes als das deutsche Interesse maßgebend sein dürfe. Demgegenüber erwirbt sich der Reichstag staatsmännisches Verdienst, wenn er einen Frieden der Verständigung erstrebt, der auch den Rechten und Ansprüchen anderer Völker Raum gewährt, selbst¬ verständlich insoweit die Bedürfnisse unseres Volkes dies gestatten. Mit unserem Dasein und unserem weltpolitischen und -wirtschaftlichen Selbstbestimmungs¬ anspruch muß sich die Welt abfinden. Darum führen wir ja eben diesen Krieg. So wollen wir denn auch unser künftiges Verhältnis zu Belgien so gestalten, daß unsere militärische, politische und wirtschaftliche Sicherheit nach dieser Seite gewährleistet ist, im übrigen aber den beiden Völkern dieses Landes ihr Recht und ihre Wohlfahrt verbürgen, ja sogar beide in gemeinsamer Kultur¬ arbeit mit ihnen wesentlich fördern. Der belgische Staat muß uns also zunächst die nötige militärische Sicherung leisten. Belgien darf seine geographische Lage, seine Festungen, seine Armee weder selber zu unserer Bedrohung ausnutzen, noch sie von irgend jemand anders ausnutzen lassen. Vielmehr müssen umgekehrt die Hilfsmittel des Landes unseren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/145>, abgerufen am 01.07.2024.