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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Das belgischeAriegsziel unddleLriedenserklärungdesAeichstages

ist doch einfach kulturnotwendig; jedermann muß doch wünschen, daß die wahn¬
sinnige nationale Verhetzung und Verfetndung wieder abnimmt, damit dem
alten Europa wenigstens einige Jahrzehnte des Aufbaues und der Besinnung
beschieden sind. Was soll die Welt zu einem Volke sagen, bei dem große
politische Parteien sich gegen einen Frieden der Verständigung und Versöhnung
ereifern! Unsere Feinde sind gewiß machtpolitisch nicht blöde, aber sie wissen
stets die Phrasen von Sittlichkeit und Menschlichkeit im Munde zu führen, auch
wenn sie diesen Idealen ins Gesicht schlagen. Bei uns aber hält man es für
die Quintessenz aller politischen Weisheit, die Machtpolitik als Grundsatz zu
proklamieren, so daß alle Welt mißtrauisch zurückschreckt. Daß wir Feuer und
Schwert zu gebrauchen wissen, macht unsere kriegerische Tüchtigkeit aus. Daß
aber viele von uns Redensarten von Feuer und Schwert fortwährend im Munde
führen müssen, ist ein bedauerliches Zeichen machtpolitischer Unreife gerade bei
denen, die sich im Besitze der größten macht- und weltpolitischen Einsicht zu
befinden meinen. Daß unser Volk sich einen Frieden erstreiten muß, der ihm
Wstenzmöglichkeit und Wohlfahrt sichert, ist aller Einsichtigen selbstverständliches
Kriegsziel. Um so unnötiger und schädlicher aber ist es, wenn man bei uns
den "deutschen" Frieden sofort zur Parteisache stempelt, sämtlichen Gegnern und
Neutralen das Schauspiel gewährt, eine selbstverständliche Kulturforderung wie
einen Frieden möglichster Verständigung und Versöhnung mit Geräusch abzu¬
lehnen und dabei wieder einmal Gelegenheit nimmt, unsere Volksvertretung in
Mißkredit zu bringen. Natürlich kann nicht wieder alles so werden, wie es
vor dem Kriege war. natürlich hat das deutsche Volk das Recht und die Pflicht,
sich verstärkte Sicherungen für seinen Frieden und seine ungestörte Fortent¬
wicklung zu verschaffen. Aber ebenso selbstverständlich ist, daß diese Sicherungen
unter möglichster Verständigung mit unseren Gegnern gefunden werden möchten,
damit das ohnehin rege Nevanchebedürfnis nicht schon am Tage nach Kriegs¬
ende den Frieden wieder zu zernagen beginne. Zum mindesten aber wird man
Verständigung und Versöhnung, wenn sie etwa nicht im erwünschten Umfange
Zustande kämen, doch nicht grundsätzlich ablehnen. Was Belgien anlangt, so
hat der Bonner Rechtslehrer Zitelmann schon vor längerer Zeit Vorschläge ge¬
macht, die aber erst jüngst veröffentlicht worden sind"). Diese Vorschläge
laufen auf möglichste Erhaltung Belgiens als eines selbständigen Staates hinaus;
die nötige Sicherung Deutschlands soll durch einen gültigen Friedensschluß, also
durch Verständigung, mit Belgien festgesetzt werden. Auf diese Weise bleibt
">e belgische Frage -- im vorteilhaften Gegensatz z. B. zur polnischen! -- voll¬
kommen offen bis zum allgemeinen Ausgleich beim Friedensschluß, und das ist
M so. Wir müssen immer bedenken, daß wir es an unserer Westgrenze nicht
^oß mit Belgiern und Franzosen zu tun haben, sondern daß Belgien auch



*) Ernst Zitelmann "Das Schicksal Belgiens beim Friedensschluß". München und
^'PZig, Duncker u. Humblot, 13. erweiterte Auflage, 1917. Preis geh. 2 M.
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Das belgischeAriegsziel unddleLriedenserklärungdesAeichstages

ist doch einfach kulturnotwendig; jedermann muß doch wünschen, daß die wahn¬
sinnige nationale Verhetzung und Verfetndung wieder abnimmt, damit dem
alten Europa wenigstens einige Jahrzehnte des Aufbaues und der Besinnung
beschieden sind. Was soll die Welt zu einem Volke sagen, bei dem große
politische Parteien sich gegen einen Frieden der Verständigung und Versöhnung
ereifern! Unsere Feinde sind gewiß machtpolitisch nicht blöde, aber sie wissen
stets die Phrasen von Sittlichkeit und Menschlichkeit im Munde zu führen, auch
wenn sie diesen Idealen ins Gesicht schlagen. Bei uns aber hält man es für
die Quintessenz aller politischen Weisheit, die Machtpolitik als Grundsatz zu
proklamieren, so daß alle Welt mißtrauisch zurückschreckt. Daß wir Feuer und
Schwert zu gebrauchen wissen, macht unsere kriegerische Tüchtigkeit aus. Daß
aber viele von uns Redensarten von Feuer und Schwert fortwährend im Munde
führen müssen, ist ein bedauerliches Zeichen machtpolitischer Unreife gerade bei
denen, die sich im Besitze der größten macht- und weltpolitischen Einsicht zu
befinden meinen. Daß unser Volk sich einen Frieden erstreiten muß, der ihm
Wstenzmöglichkeit und Wohlfahrt sichert, ist aller Einsichtigen selbstverständliches
Kriegsziel. Um so unnötiger und schädlicher aber ist es, wenn man bei uns
den „deutschen" Frieden sofort zur Parteisache stempelt, sämtlichen Gegnern und
Neutralen das Schauspiel gewährt, eine selbstverständliche Kulturforderung wie
einen Frieden möglichster Verständigung und Versöhnung mit Geräusch abzu¬
lehnen und dabei wieder einmal Gelegenheit nimmt, unsere Volksvertretung in
Mißkredit zu bringen. Natürlich kann nicht wieder alles so werden, wie es
vor dem Kriege war. natürlich hat das deutsche Volk das Recht und die Pflicht,
sich verstärkte Sicherungen für seinen Frieden und seine ungestörte Fortent¬
wicklung zu verschaffen. Aber ebenso selbstverständlich ist, daß diese Sicherungen
unter möglichster Verständigung mit unseren Gegnern gefunden werden möchten,
damit das ohnehin rege Nevanchebedürfnis nicht schon am Tage nach Kriegs¬
ende den Frieden wieder zu zernagen beginne. Zum mindesten aber wird man
Verständigung und Versöhnung, wenn sie etwa nicht im erwünschten Umfange
Zustande kämen, doch nicht grundsätzlich ablehnen. Was Belgien anlangt, so
hat der Bonner Rechtslehrer Zitelmann schon vor längerer Zeit Vorschläge ge¬
macht, die aber erst jüngst veröffentlicht worden sind"). Diese Vorschläge
laufen auf möglichste Erhaltung Belgiens als eines selbständigen Staates hinaus;
die nötige Sicherung Deutschlands soll durch einen gültigen Friedensschluß, also
durch Verständigung, mit Belgien festgesetzt werden. Auf diese Weise bleibt
">e belgische Frage — im vorteilhaften Gegensatz z. B. zur polnischen! — voll¬
kommen offen bis zum allgemeinen Ausgleich beim Friedensschluß, und das ist
M so. Wir müssen immer bedenken, daß wir es an unserer Westgrenze nicht
^oß mit Belgiern und Franzosen zu tun haben, sondern daß Belgien auch



*) Ernst Zitelmann „Das Schicksal Belgiens beim Friedensschluß". München und
^'PZig, Duncker u. Humblot, 13. erweiterte Auflage, 1917. Preis geh. 2 M.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/143>, abgerufen am 01.07.2024.