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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Vas belgische Rriegsziel unddieFriedenserklärungdesReichstages

verstorbenen Generalgouverneurs von Bissing*). Belgien wäre für uns ein
schwer verdaulicher Bissen. Die Annexion würde einen schweren Streit unter
unseren politischen Parteien hervorrufen, unter denen es nun einmal grund¬
sätzliche Gegner eines solchen Schrittes gibt, über die man nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen darf. Sie würde wahrscheinlich sogar in das Ver¬
hältnis der Bundesstaaten untereinander störend eingreifen. Eine einseitige
Vergrößerung Preußens ist nicht wünschenswert, ebensowenig die Schaffung
eines neuen Neichslandes, das früher oder später einmal eine bundesstaatartige
Stellung erhalten müßte und das Stimmenverhältnis im Bundesrat aus dem
Gleichgewicht brächte. Und was würde aus dem deutschen Nationalstaat, den
wir doch für ein kostbares Gut angesehen haben, wenn auf einmal sieben Mil¬
lionen halb oder ganz Volksfreude mit unter unserem Dache wohnen müßten,
unter dem uns schon die Polen nicht immer angenehme Gesellen waren! Man
könnte die Annektierten doch nicht auf die Dauer zu Heloten machen, man
müßte ihnen das Neichstagswahlrecht eines Tages geben. Es hieße fast die
nationale Zukunft unserer Politik gefährden, wenn wir dazu die Hand bieten
wollten. Nun kommt aber zu diesen inneren Gründen, die uns eine Annexion
Belgiens an sich schon nicht wünschenswert machen, noch die jüngste Erklärung
unseres Reichstages hinzu, in der es heißt: "Der Reichstag erstrebt einen
Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker. Mit
einem solchen Frieden sind erzwungene Gebietserwerbungen und politische, wirt¬
schaftliche oder finanzielle Vergewaltigungen unvereinbar." Es ist klar, daß
nach dieser Formel eine einseitige Annexion Belgiens unmöglich ist, aber es ist
ebenso klar, daß damit die deutsche Sache in keiner Weise geschädigt wird, da
wir ohnedies Gründe genug haben, unsere belgischen Kriegsziele auf andere
Weise zu erreichen. In der konservativen und alldeutschen Presse hat sich gegen
die Erklärung des Reichstages ein gewaltiger Sturm erhoben. Man tat, als
sollte das deutsche Volk um sämtliche Früchte seines Kampfes gebracht werden.
Dieser Feldzug mag möglicherweise innerpolitisch für die alldeutschen Preß"
strategen lohnend gewesen sein: für unsere Kriegszielpolitik war sie vollständig
überflüssig. In der Formel des Reichstages ist von Verzweiflung an der
deutschen Sache in keinem Worte die Rede. Vielmehr wird den Feinden aus¬
drücklich unerschütterlicher Kampf angesagt, wenn sie auf den Frieden der Ver¬
ständigung und Versöhnung nicht eingehen, sondern fortfahren, Deutschland oder
seine Verbündeten mit Eroberung und Vergewaltigung zu bedrohen. Nicht
das ist irgendwie schädlich oder bedenklich, daß der deutsche Reichstag einen
Frieden der Verständigung und dauernden Versöhnung erstrebt, sondern daß
bei uns sich namhafte Parteien finden, die dieser selbstverständlichen Forderung
feierlich widersprechen. Ein Friede möglichster Verständigung und Versöhnung



*) "Das größere Deutschland/' herausgegeben von W. Bncmeister, Ur. 20 vom
19. Mai 1917.
Vas belgische Rriegsziel unddieFriedenserklärungdesReichstages

verstorbenen Generalgouverneurs von Bissing*). Belgien wäre für uns ein
schwer verdaulicher Bissen. Die Annexion würde einen schweren Streit unter
unseren politischen Parteien hervorrufen, unter denen es nun einmal grund¬
sätzliche Gegner eines solchen Schrittes gibt, über die man nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen darf. Sie würde wahrscheinlich sogar in das Ver¬
hältnis der Bundesstaaten untereinander störend eingreifen. Eine einseitige
Vergrößerung Preußens ist nicht wünschenswert, ebensowenig die Schaffung
eines neuen Neichslandes, das früher oder später einmal eine bundesstaatartige
Stellung erhalten müßte und das Stimmenverhältnis im Bundesrat aus dem
Gleichgewicht brächte. Und was würde aus dem deutschen Nationalstaat, den
wir doch für ein kostbares Gut angesehen haben, wenn auf einmal sieben Mil¬
lionen halb oder ganz Volksfreude mit unter unserem Dache wohnen müßten,
unter dem uns schon die Polen nicht immer angenehme Gesellen waren! Man
könnte die Annektierten doch nicht auf die Dauer zu Heloten machen, man
müßte ihnen das Neichstagswahlrecht eines Tages geben. Es hieße fast die
nationale Zukunft unserer Politik gefährden, wenn wir dazu die Hand bieten
wollten. Nun kommt aber zu diesen inneren Gründen, die uns eine Annexion
Belgiens an sich schon nicht wünschenswert machen, noch die jüngste Erklärung
unseres Reichstages hinzu, in der es heißt: „Der Reichstag erstrebt einen
Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker. Mit
einem solchen Frieden sind erzwungene Gebietserwerbungen und politische, wirt¬
schaftliche oder finanzielle Vergewaltigungen unvereinbar." Es ist klar, daß
nach dieser Formel eine einseitige Annexion Belgiens unmöglich ist, aber es ist
ebenso klar, daß damit die deutsche Sache in keiner Weise geschädigt wird, da
wir ohnedies Gründe genug haben, unsere belgischen Kriegsziele auf andere
Weise zu erreichen. In der konservativen und alldeutschen Presse hat sich gegen
die Erklärung des Reichstages ein gewaltiger Sturm erhoben. Man tat, als
sollte das deutsche Volk um sämtliche Früchte seines Kampfes gebracht werden.
Dieser Feldzug mag möglicherweise innerpolitisch für die alldeutschen Preß«
strategen lohnend gewesen sein: für unsere Kriegszielpolitik war sie vollständig
überflüssig. In der Formel des Reichstages ist von Verzweiflung an der
deutschen Sache in keinem Worte die Rede. Vielmehr wird den Feinden aus¬
drücklich unerschütterlicher Kampf angesagt, wenn sie auf den Frieden der Ver¬
ständigung und Versöhnung nicht eingehen, sondern fortfahren, Deutschland oder
seine Verbündeten mit Eroberung und Vergewaltigung zu bedrohen. Nicht
das ist irgendwie schädlich oder bedenklich, daß der deutsche Reichstag einen
Frieden der Verständigung und dauernden Versöhnung erstrebt, sondern daß
bei uns sich namhafte Parteien finden, die dieser selbstverständlichen Forderung
feierlich widersprechen. Ein Friede möglichster Verständigung und Versöhnung



*) „Das größere Deutschland/' herausgegeben von W. Bncmeister, Ur. 20 vom
19. Mai 1917.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/142>, abgerufen am 29.06.2024.