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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Goethe-Forschung in Frankreich

der Stael hatte F. B. Hoffmann Gefahr gewittert und gewehrt: "IXl'ayons pas
^ sottiss ac nous kairs ullemanäs!" Nun deckte Gaston Paris in seiner
schönen Rede, über das Rolandslied und die französische Nationalität, die er
belagerten Paris hielt, abermals die berühmten Zusammenhänge in noch
stärkeren Worten-) auf: vor den anderen Großen seines Jahrhunderts hat
Goethe, der Kosmopolit, die deutsche Nation aus der Taufe gehoben!

Was hier ein ernster Forscher in streng sachlicher Feststellung vortrug,
konnte von den Franzosen, zumal in kritischen Tagen, kaum unkommentiert hin¬
genommen werden. Wenn Lomönie auch früh schon festgestellt hatte, daß die
Goethe-Kultur in Frankreich keinen Boden gewonnen habe, und Daniel Stern
gar gemeint hatte, es kenne Goethe bei ihnen überhaupt niemand, so war doch
anderseits von Akkon bereits 1826 hervorgehoben worden, daß der deutsche
Halbgott auch unter den Franzosen Nachahmer und Verehrer besitze, und seit-
dem schienen in der Tat auch jenseits des Rheins die Köpfe nicht ausgestorben
su sein, in deren Gehirn ein Verständnis für Goethe zentralisiert war. Somit
doar für einen winzigen Bruchteil zwar des französischen Volkes, aber doch für
den geistig bedeutsamsten die Frage der Angehörigkeit und Stellung Goethes
sum deutschen Volke ein Problem geworden.

Wir besitzen in den Veröffentlichungen Baldenspergers. °) die gleich Baro-
nietertabellen auch den kleinsten Stimmungswechsel noch vorzüglich registrieren,
^n unschätzbares Anschauungsmaterial, doch soll nur für die entscheidensten
Kurven die Linienführung hier verdeutlicht werden.

Es gab. die angedeuteten Schwierigkeiten zu beseitigen, vor die Renan
und vornehmlich Gaston Paris mit dem engeren Kreis letzten Endes auch die
^vrnrnumZ opinio gestellt hatten, zwei Möglichkeiten: entweder trennte man
Goethe von der gegenwärtigen Generation Deutschlands, oder man anerkannte
d>e Zusammenhänge, und dann blieb nichts weiter übrig, als ihn gleich dem
augenblicklichen Feind von sich zu stoßen. Jener Weg schien auf alle Weise
ehrlicher und bequemer; so ward er zuerst beschritten. Wiederum noch während
der Belagerung, im Januarheft 1871 der "Ksvue clss veux ^oncles", er¬
schien ein Aufsatz Müziöres, der die mouflon prugsiemiö von 1792 mit der
von 1870 in Vergleich stellte und sofort eine hohe, nicht mehr übersteigbare
Mauer errichtete zwischen Goethe und den ^IIemAncl8 ä'aujourä'tink, indem
die Aufzeichnungen der "Kampagne in Frankreich" den "Organisatoren me¬
thodischer Plünderung, den Theoretikern der Eroberung und Beraubung" vor
Augen führen sollten, mit welchen Gefühlen der Menschlichkeit und welchem
Seelenadel "der größte Schriftsteller Deutschlands" einst von den Franzosen
gesprochen habe. Möziöres lag tatsächlich der Gedanke an eine mögliche Em-




2) "r>a poösie ein mo^en ÄZs", Paris 188S, 1° sSris, S. 101.
^) "Qoettie en Trance", Paris 1901. -- "IZiblioLi-ÄpKis critique as OoetKe en ?rancL"
Paris 1907.
Goethe-Forschung in Frankreich

der Stael hatte F. B. Hoffmann Gefahr gewittert und gewehrt: „IXl'ayons pas
^ sottiss ac nous kairs ullemanäs!« Nun deckte Gaston Paris in seiner
schönen Rede, über das Rolandslied und die französische Nationalität, die er
belagerten Paris hielt, abermals die berühmten Zusammenhänge in noch
stärkeren Worten-) auf: vor den anderen Großen seines Jahrhunderts hat
Goethe, der Kosmopolit, die deutsche Nation aus der Taufe gehoben!

Was hier ein ernster Forscher in streng sachlicher Feststellung vortrug,
konnte von den Franzosen, zumal in kritischen Tagen, kaum unkommentiert hin¬
genommen werden. Wenn Lomönie auch früh schon festgestellt hatte, daß die
Goethe-Kultur in Frankreich keinen Boden gewonnen habe, und Daniel Stern
gar gemeint hatte, es kenne Goethe bei ihnen überhaupt niemand, so war doch
anderseits von Akkon bereits 1826 hervorgehoben worden, daß der deutsche
Halbgott auch unter den Franzosen Nachahmer und Verehrer besitze, und seit-
dem schienen in der Tat auch jenseits des Rheins die Köpfe nicht ausgestorben
su sein, in deren Gehirn ein Verständnis für Goethe zentralisiert war. Somit
doar für einen winzigen Bruchteil zwar des französischen Volkes, aber doch für
den geistig bedeutsamsten die Frage der Angehörigkeit und Stellung Goethes
sum deutschen Volke ein Problem geworden.

Wir besitzen in den Veröffentlichungen Baldenspergers. °) die gleich Baro-
nietertabellen auch den kleinsten Stimmungswechsel noch vorzüglich registrieren,
^n unschätzbares Anschauungsmaterial, doch soll nur für die entscheidensten
Kurven die Linienführung hier verdeutlicht werden.

Es gab. die angedeuteten Schwierigkeiten zu beseitigen, vor die Renan
und vornehmlich Gaston Paris mit dem engeren Kreis letzten Endes auch die
^vrnrnumZ opinio gestellt hatten, zwei Möglichkeiten: entweder trennte man
Goethe von der gegenwärtigen Generation Deutschlands, oder man anerkannte
d>e Zusammenhänge, und dann blieb nichts weiter übrig, als ihn gleich dem
augenblicklichen Feind von sich zu stoßen. Jener Weg schien auf alle Weise
ehrlicher und bequemer; so ward er zuerst beschritten. Wiederum noch während
der Belagerung, im Januarheft 1871 der „Ksvue clss veux ^oncles", er¬
schien ein Aufsatz Müziöres, der die mouflon prugsiemiö von 1792 mit der
von 1870 in Vergleich stellte und sofort eine hohe, nicht mehr übersteigbare
Mauer errichtete zwischen Goethe und den ^IIemAncl8 ä'aujourä'tink, indem
die Aufzeichnungen der „Kampagne in Frankreich" den „Organisatoren me¬
thodischer Plünderung, den Theoretikern der Eroberung und Beraubung" vor
Augen führen sollten, mit welchen Gefühlen der Menschlichkeit und welchem
Seelenadel „der größte Schriftsteller Deutschlands" einst von den Franzosen
gesprochen habe. Möziöres lag tatsächlich der Gedanke an eine mögliche Em-




2) „r>a poösie ein mo^en ÄZs", Paris 188S, 1° sSris, S. 101.
^) »Qoettie en Trance", Paris 1901. — „IZiblioLi-ÄpKis critique as OoetKe en ?rancL«
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[0127] Goethe-Forschung in Frankreich der Stael hatte F. B. Hoffmann Gefahr gewittert und gewehrt: „IXl'ayons pas ^ sottiss ac nous kairs ullemanäs!« Nun deckte Gaston Paris in seiner schönen Rede, über das Rolandslied und die französische Nationalität, die er belagerten Paris hielt, abermals die berühmten Zusammenhänge in noch stärkeren Worten-) auf: vor den anderen Großen seines Jahrhunderts hat Goethe, der Kosmopolit, die deutsche Nation aus der Taufe gehoben! Was hier ein ernster Forscher in streng sachlicher Feststellung vortrug, konnte von den Franzosen, zumal in kritischen Tagen, kaum unkommentiert hin¬ genommen werden. Wenn Lomönie auch früh schon festgestellt hatte, daß die Goethe-Kultur in Frankreich keinen Boden gewonnen habe, und Daniel Stern gar gemeint hatte, es kenne Goethe bei ihnen überhaupt niemand, so war doch anderseits von Akkon bereits 1826 hervorgehoben worden, daß der deutsche Halbgott auch unter den Franzosen Nachahmer und Verehrer besitze, und seit- dem schienen in der Tat auch jenseits des Rheins die Köpfe nicht ausgestorben su sein, in deren Gehirn ein Verständnis für Goethe zentralisiert war. Somit doar für einen winzigen Bruchteil zwar des französischen Volkes, aber doch für den geistig bedeutsamsten die Frage der Angehörigkeit und Stellung Goethes sum deutschen Volke ein Problem geworden. Wir besitzen in den Veröffentlichungen Baldenspergers. °) die gleich Baro- nietertabellen auch den kleinsten Stimmungswechsel noch vorzüglich registrieren, ^n unschätzbares Anschauungsmaterial, doch soll nur für die entscheidensten Kurven die Linienführung hier verdeutlicht werden. Es gab. die angedeuteten Schwierigkeiten zu beseitigen, vor die Renan und vornehmlich Gaston Paris mit dem engeren Kreis letzten Endes auch die ^vrnrnumZ opinio gestellt hatten, zwei Möglichkeiten: entweder trennte man Goethe von der gegenwärtigen Generation Deutschlands, oder man anerkannte d>e Zusammenhänge, und dann blieb nichts weiter übrig, als ihn gleich dem augenblicklichen Feind von sich zu stoßen. Jener Weg schien auf alle Weise ehrlicher und bequemer; so ward er zuerst beschritten. Wiederum noch während der Belagerung, im Januarheft 1871 der „Ksvue clss veux ^oncles", er¬ schien ein Aufsatz Müziöres, der die mouflon prugsiemiö von 1792 mit der von 1870 in Vergleich stellte und sofort eine hohe, nicht mehr übersteigbare Mauer errichtete zwischen Goethe und den ^IIemAncl8 ä'aujourä'tink, indem die Aufzeichnungen der „Kampagne in Frankreich" den „Organisatoren me¬ thodischer Plünderung, den Theoretikern der Eroberung und Beraubung" vor Augen führen sollten, mit welchen Gefühlen der Menschlichkeit und welchem Seelenadel „der größte Schriftsteller Deutschlands" einst von den Franzosen gesprochen habe. Möziöres lag tatsächlich der Gedanke an eine mögliche Em- 2) „r>a poösie ein mo^en ÄZs", Paris 188S, 1° sSris, S. 101. ^) »Qoettie en Trance", Paris 1901. — „IZiblioLi-ÄpKis critique as OoetKe en ?rancL« Paris 1907.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/127>, abgerufen am 04.07.2024.