Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.Das Deutschtum im Auslande tieferstehende Umgebung gerufen worden waren, wie im Mittelalter die deutschen Im neunzehnten Jahrhundert haben in weit stärkerem Maße, als schon Einzelne sind auch aus gesundheitlichen Gründen in wärmere Gebiete Nun ist freilich zuzugeben, daß die Auslandsdeutschen häufiger ihr Volkstum Das Deutschtum im Auslande tieferstehende Umgebung gerufen worden waren, wie im Mittelalter die deutschen Im neunzehnten Jahrhundert haben in weit stärkerem Maße, als schon Einzelne sind auch aus gesundheitlichen Gründen in wärmere Gebiete Nun ist freilich zuzugeben, daß die Auslandsdeutschen häufiger ihr Volkstum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332399"/> <fw type="header" place="top"> Das Deutschtum im Auslande</fw><lb/> <p xml:id="ID_378" prev="#ID_377"> tieferstehende Umgebung gerufen worden waren, wie im Mittelalter die deutschen<lb/> Einwanderer in Böhmen, Galizien, Polen, Ungarn, Siebenbürgen, im acht¬<lb/> zehnten Jahrhundert in Rußland, in Galizien und der Bukowina. Wohl<lb/> hatten die besonderen Vorrechte, die den Einwanderern zunächst gewährt worden<lb/> waren, deren Einwurzeln und Emporkommen erleichtert; aber früher oder später<lb/> sind sie ihnen wieder genommen worden, nachdem der Neid und die Mißgunst<lb/> der umgebenden einheimischen Bevölkerung geweckt waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_379"> Im neunzehnten Jahrhundert haben in weit stärkerem Maße, als schon<lb/> früher gelegentlich, religiöse, politische und wirtschaftliche Beweggründe Aus¬<lb/> wanderungen bei uns veranlaßt. Zur ersten Klasse von Auswanderern gehören<lb/> z. B. die schwäbischen Templer in Palästina oder die altlutheranischen Bauern<lb/> in Australien, die gegen die Union in Preußen gewesen waren. Politische<lb/> Motive hatten namentlich in der Zeit vor und um 1848 viele tüchtige und<lb/> geistig hervorragende Persönlichkeiten aus der Heimat gedrängt. Die aller¬<lb/> meisten sind aber aus wirtschaftlichen Gründen aus der Heimat gegangen, teils<lb/> Bauern, die in fremden Ländern unentgeltlich oder zu billigen Preisen Land<lb/> bekommen konnten, teils Handwerker und Arbeiter, die auf reichlicheren Verdienst<lb/> rechneten, teils Kaufleute, Unternehmer und Angehörige freier Berufe, die im<lb/> fremden Lande erfolgversprechende Arbeitsstätten für ihr Kapital, ihre Intelligenz<lb/> suchten.</p><lb/> <p xml:id="ID_380"> Einzelne sind auch aus gesundheitlichen Gründen in wärmere Gebiete<lb/> gewandert und haben dort dauernden Aufenthalt genommen; manche hat<lb/> Abenteuerlust ins Ausland geführt, indes wieder andere, durch fremde Werber<lb/> verleitet (im achtzehnten Jahrhundert auch zuweilen durch Fürstenwillen genötigt),<lb/> unter fremder Fahne Kriegsdienste leisteten und dann in fernen Ländern ansässig<lb/> wurden. Nicht selten haben auch geschäftliche Mißerfolge oder Konflikte mit<lb/> den Gesetzen zur Auswanderung gedrängt und Vorkommnisse dieser Art waren<lb/> namentlich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts sehr häufig,<lb/> so daß man vielfach von einem, der „nach Amerika" ging, geradezu voraus¬<lb/> setzte, daß er etwas auf dem Kerbholz haben mußte. Dies Mißtrauen gegen<lb/> die Beweggründe der deutschen Auswanderer ist auch dann noch nicht geschwunden,<lb/> als mit der Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in der Heimat gegen<lb/> Ende des neunzehnten Jahrhunderts die deutsche Auswanderung immer geringer<lb/> wurde; ihm ist es zuzuschreiben, daß die Auslandsdeutschen bei uns vielfach<lb/> nicht nach ihrem richtigen Werte als Pioniere und Vorposten deutscher Sprache<lb/> und Kultur eingeschätzt, sondern oft geradezu als Abtrünnige bezeichnet werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_381" next="#ID_382"> Nun ist freilich zuzugeben, daß die Auslandsdeutschen häufiger ihr Volkstum<lb/> aufgeben, als etwa Engländer, Franzosen, Spanier und Russen, aber die Ursache<lb/> dieser Erscheinung beruht (neben dem Mangel einer Auswanderungsorganisation<lb/> auf deutscher Seite) hauptsächlich darin, daß diese reichlich Gelegenheit haben,<lb/> in politisch oder wenigstens sprachlich zugehörigen Außenländern sich nieder¬<lb/> lassen zu können, womit eine Loslösung vom heimatlichen Volkstum ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0120]
Das Deutschtum im Auslande
tieferstehende Umgebung gerufen worden waren, wie im Mittelalter die deutschen
Einwanderer in Böhmen, Galizien, Polen, Ungarn, Siebenbürgen, im acht¬
zehnten Jahrhundert in Rußland, in Galizien und der Bukowina. Wohl
hatten die besonderen Vorrechte, die den Einwanderern zunächst gewährt worden
waren, deren Einwurzeln und Emporkommen erleichtert; aber früher oder später
sind sie ihnen wieder genommen worden, nachdem der Neid und die Mißgunst
der umgebenden einheimischen Bevölkerung geweckt waren.
Im neunzehnten Jahrhundert haben in weit stärkerem Maße, als schon
früher gelegentlich, religiöse, politische und wirtschaftliche Beweggründe Aus¬
wanderungen bei uns veranlaßt. Zur ersten Klasse von Auswanderern gehören
z. B. die schwäbischen Templer in Palästina oder die altlutheranischen Bauern
in Australien, die gegen die Union in Preußen gewesen waren. Politische
Motive hatten namentlich in der Zeit vor und um 1848 viele tüchtige und
geistig hervorragende Persönlichkeiten aus der Heimat gedrängt. Die aller¬
meisten sind aber aus wirtschaftlichen Gründen aus der Heimat gegangen, teils
Bauern, die in fremden Ländern unentgeltlich oder zu billigen Preisen Land
bekommen konnten, teils Handwerker und Arbeiter, die auf reichlicheren Verdienst
rechneten, teils Kaufleute, Unternehmer und Angehörige freier Berufe, die im
fremden Lande erfolgversprechende Arbeitsstätten für ihr Kapital, ihre Intelligenz
suchten.
Einzelne sind auch aus gesundheitlichen Gründen in wärmere Gebiete
gewandert und haben dort dauernden Aufenthalt genommen; manche hat
Abenteuerlust ins Ausland geführt, indes wieder andere, durch fremde Werber
verleitet (im achtzehnten Jahrhundert auch zuweilen durch Fürstenwillen genötigt),
unter fremder Fahne Kriegsdienste leisteten und dann in fernen Ländern ansässig
wurden. Nicht selten haben auch geschäftliche Mißerfolge oder Konflikte mit
den Gesetzen zur Auswanderung gedrängt und Vorkommnisse dieser Art waren
namentlich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts sehr häufig,
so daß man vielfach von einem, der „nach Amerika" ging, geradezu voraus¬
setzte, daß er etwas auf dem Kerbholz haben mußte. Dies Mißtrauen gegen
die Beweggründe der deutschen Auswanderer ist auch dann noch nicht geschwunden,
als mit der Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in der Heimat gegen
Ende des neunzehnten Jahrhunderts die deutsche Auswanderung immer geringer
wurde; ihm ist es zuzuschreiben, daß die Auslandsdeutschen bei uns vielfach
nicht nach ihrem richtigen Werte als Pioniere und Vorposten deutscher Sprache
und Kultur eingeschätzt, sondern oft geradezu als Abtrünnige bezeichnet werden.
Nun ist freilich zuzugeben, daß die Auslandsdeutschen häufiger ihr Volkstum
aufgeben, als etwa Engländer, Franzosen, Spanier und Russen, aber die Ursache
dieser Erscheinung beruht (neben dem Mangel einer Auswanderungsorganisation
auf deutscher Seite) hauptsächlich darin, daß diese reichlich Gelegenheit haben,
in politisch oder wenigstens sprachlich zugehörigen Außenländern sich nieder¬
lassen zu können, womit eine Loslösung vom heimatlichen Volkstum ver-
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