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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die polnische Frage

mit den bekannten Zugeständnissen der Mittelmächte geantwortet wurde (spätere
Einsetzung eines Regenten, Übergabe einzelner Verwaltungszweige an die
polnischen Ministerien usw.). In der Folge wurden auch beunruhigende Nach¬
richten von Vorgängen an der Warschauer Universität bekannt.

Wie in Polen machten sich auch in Galizien radikalere Strömungen
bemerkbar. Schon oben ist bemerkt worden, daß der Verzicht auf die Er¬
weiterung der Sonderstellung Galiziens von polnischer Seite darauf zurück-
zuführkn ist. Damit hängt ferner der Rücktritt des Klubobmannes Belinski
zusammen (13. Mai) und die Erschütterung der Stellung des polnischen
Ministers Bobrzynski. Am 16. Mai hat der Polenklub die bekannte Resolution
Tetmanrs (I) angenommen, die auf die Sonderstellung Galiziens verzichtete,
dagegen als einziges Streben der polnischen Nation das unabhängige ver¬
einigte Polen mit einem Zugang zum Meere bezeichnete. Zugleich beschlossen
die Polen, zur österreichischen Negierung in Opposition zu treten. Am 26. Mai
traten dieser Entschließung nach einigem Zögern anch die vorsichtigen Krakauer
Konservativen bei. Durch die gleichzeitig bekundete Solidarität mit den Polen
in Schlesien verrieten die Polen, daß sie auch dieses Gebiet in Anspruch
nehmen. Und am 12. Juni hat schließlich der neue Klubobmann' Lazarski
uns mitgeteilt, daß die Polen deshalb in Opposition traten, weil die öster¬
reichische Regierung ihnen ihre Mitwirkung bei der Erreichung ihrer Zukunfts¬
pläne (Polen bis zum Meere!) versagte. Wir ersehen daraus, daß die Polen
in den letzten Wochen in ihren Forderungen immer weiter gegangen waren
und schließlich von der österreichischen Regierung geradezu Dinge begehrten,
die sie in Gegensatz zu Deutschland gestellt hätten. Einige Tage später (15. Juni)
gab der Abgeordnete Daszynski klar zu, daß der Zutritt Polens zum Meere
durch Preußen gehen soll ("durch ein Stück kanalisierte Weichsel zum Hafen
von Danzig"). Wenn die Polen durch Lazarski verkünden lassen, daß ihr
Streben mit dem Interesse der Zukunft Österreichs sich decke, und wenn
Daszynski bemerkt, daß Polens Zugang zum Meere durch preußisches Gebiet
Deutschland nur nütze, so ist kaum nötig zu sagen, daß gerade das Entgegen¬
gesetzte der Fall ist.

Im allgemeinen wird man sagen müssen, daß die polnische Frage durch
die Vorgänge der letzten acht Monate von der angebahnten möglichen Lösung
abgedrängt wurde. Gleichzeitig ist durch dieselben Umstände die Verschärfung
der damit eng verknüpften Ruthenenfrage eingetreten. Ob ein Zurückfinden
auf dem gangbaren Wege möglich ist. wird die Zukunft lehren.




Die polnische Frage

mit den bekannten Zugeständnissen der Mittelmächte geantwortet wurde (spätere
Einsetzung eines Regenten, Übergabe einzelner Verwaltungszweige an die
polnischen Ministerien usw.). In der Folge wurden auch beunruhigende Nach¬
richten von Vorgängen an der Warschauer Universität bekannt.

Wie in Polen machten sich auch in Galizien radikalere Strömungen
bemerkbar. Schon oben ist bemerkt worden, daß der Verzicht auf die Er¬
weiterung der Sonderstellung Galiziens von polnischer Seite darauf zurück-
zuführkn ist. Damit hängt ferner der Rücktritt des Klubobmannes Belinski
zusammen (13. Mai) und die Erschütterung der Stellung des polnischen
Ministers Bobrzynski. Am 16. Mai hat der Polenklub die bekannte Resolution
Tetmanrs (I) angenommen, die auf die Sonderstellung Galiziens verzichtete,
dagegen als einziges Streben der polnischen Nation das unabhängige ver¬
einigte Polen mit einem Zugang zum Meere bezeichnete. Zugleich beschlossen
die Polen, zur österreichischen Negierung in Opposition zu treten. Am 26. Mai
traten dieser Entschließung nach einigem Zögern anch die vorsichtigen Krakauer
Konservativen bei. Durch die gleichzeitig bekundete Solidarität mit den Polen
in Schlesien verrieten die Polen, daß sie auch dieses Gebiet in Anspruch
nehmen. Und am 12. Juni hat schließlich der neue Klubobmann' Lazarski
uns mitgeteilt, daß die Polen deshalb in Opposition traten, weil die öster¬
reichische Regierung ihnen ihre Mitwirkung bei der Erreichung ihrer Zukunfts¬
pläne (Polen bis zum Meere!) versagte. Wir ersehen daraus, daß die Polen
in den letzten Wochen in ihren Forderungen immer weiter gegangen waren
und schließlich von der österreichischen Regierung geradezu Dinge begehrten,
die sie in Gegensatz zu Deutschland gestellt hätten. Einige Tage später (15. Juni)
gab der Abgeordnete Daszynski klar zu, daß der Zutritt Polens zum Meere
durch Preußen gehen soll („durch ein Stück kanalisierte Weichsel zum Hafen
von Danzig"). Wenn die Polen durch Lazarski verkünden lassen, daß ihr
Streben mit dem Interesse der Zukunft Österreichs sich decke, und wenn
Daszynski bemerkt, daß Polens Zugang zum Meere durch preußisches Gebiet
Deutschland nur nütze, so ist kaum nötig zu sagen, daß gerade das Entgegen¬
gesetzte der Fall ist.

Im allgemeinen wird man sagen müssen, daß die polnische Frage durch
die Vorgänge der letzten acht Monate von der angebahnten möglichen Lösung
abgedrängt wurde. Gleichzeitig ist durch dieselben Umstände die Verschärfung
der damit eng verknüpften Ruthenenfrage eingetreten. Ob ein Zurückfinden
auf dem gangbaren Wege möglich ist. wird die Zukunft lehren.




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[0103] Die polnische Frage mit den bekannten Zugeständnissen der Mittelmächte geantwortet wurde (spätere Einsetzung eines Regenten, Übergabe einzelner Verwaltungszweige an die polnischen Ministerien usw.). In der Folge wurden auch beunruhigende Nach¬ richten von Vorgängen an der Warschauer Universität bekannt. Wie in Polen machten sich auch in Galizien radikalere Strömungen bemerkbar. Schon oben ist bemerkt worden, daß der Verzicht auf die Er¬ weiterung der Sonderstellung Galiziens von polnischer Seite darauf zurück- zuführkn ist. Damit hängt ferner der Rücktritt des Klubobmannes Belinski zusammen (13. Mai) und die Erschütterung der Stellung des polnischen Ministers Bobrzynski. Am 16. Mai hat der Polenklub die bekannte Resolution Tetmanrs (I) angenommen, die auf die Sonderstellung Galiziens verzichtete, dagegen als einziges Streben der polnischen Nation das unabhängige ver¬ einigte Polen mit einem Zugang zum Meere bezeichnete. Zugleich beschlossen die Polen, zur österreichischen Negierung in Opposition zu treten. Am 26. Mai traten dieser Entschließung nach einigem Zögern anch die vorsichtigen Krakauer Konservativen bei. Durch die gleichzeitig bekundete Solidarität mit den Polen in Schlesien verrieten die Polen, daß sie auch dieses Gebiet in Anspruch nehmen. Und am 12. Juni hat schließlich der neue Klubobmann' Lazarski uns mitgeteilt, daß die Polen deshalb in Opposition traten, weil die öster¬ reichische Regierung ihnen ihre Mitwirkung bei der Erreichung ihrer Zukunfts¬ pläne (Polen bis zum Meere!) versagte. Wir ersehen daraus, daß die Polen in den letzten Wochen in ihren Forderungen immer weiter gegangen waren und schließlich von der österreichischen Regierung geradezu Dinge begehrten, die sie in Gegensatz zu Deutschland gestellt hätten. Einige Tage später (15. Juni) gab der Abgeordnete Daszynski klar zu, daß der Zutritt Polens zum Meere durch Preußen gehen soll („durch ein Stück kanalisierte Weichsel zum Hafen von Danzig"). Wenn die Polen durch Lazarski verkünden lassen, daß ihr Streben mit dem Interesse der Zukunft Österreichs sich decke, und wenn Daszynski bemerkt, daß Polens Zugang zum Meere durch preußisches Gebiet Deutschland nur nütze, so ist kaum nötig zu sagen, daß gerade das Entgegen¬ gesetzte der Fall ist. Im allgemeinen wird man sagen müssen, daß die polnische Frage durch die Vorgänge der letzten acht Monate von der angebahnten möglichen Lösung abgedrängt wurde. Gleichzeitig ist durch dieselben Umstände die Verschärfung der damit eng verknüpften Ruthenenfrage eingetreten. Ob ein Zurückfinden auf dem gangbaren Wege möglich ist. wird die Zukunft lehren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/103>, abgerufen am 29.06.2024.