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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Griechenland

Aber ein schwieriger Punkt bleibt auch fürderhin. Die geographische Ver¬
breitung der Griechen an allen Küsten des Ägäischen Meeres und die
politischen Hoffnungen, die sich an diese Tatsache knüpfen, verhindern sicherlich
bei manchen freilich politisch kurzsichtigen Griechen eine glatte Stellungnahme
für uns. Denn unser Bündnis mit Türken und Bulgaren muß die ersehnte
Bildung eines Großgriechenlands, das sich über sämtliche ägäischen Randländer
erstreckt und Konstantinopel als Hauptstadt wünscht, illusorisch machen. Der
typische Vertreter dieser volkstümlichen maritim-orientalischen Entwicklungsrtchtung
des Griechenstaates ist Venizelos. Man kann dem Schöpfer des heutigen
Griechenlands, wie es aus den Balkankriegen hervorgegangen ist. nicht grimmiger
unrecht tun, als wenn man ihn nur als Puppe der Entente betrachtet. Man
kann aber auch nicht schlimmer die Gefahr, die mit Venizelos emporstieg, ver¬
kennen. Die Idee des Venizelos ist volkstümlich; wie wäre sonst sein immer¬
hin großer Anhang zu erklären? Weil ein Teil des griechischen Volkes nur
in der maritim-orientalischen Richtung ein Größerwerden des griechischen Staates
für wünschenswert erachtet, konnte Venizelos zum Träger der Ententepolitik
und zum Verräter an der Politik seines großen Königs werden. Nur die
Entente konnte solchen Wünschen, die mit der Befreiung der griechischen U"-
erlösten in Kleinasien auf die Zertrümmerung der Türkei abzielen, Gehör
schenken. Doch scheinen in Griechenland selbst die Träume von einem hellenischen
Großreich mit der Hauptstadt Konstantinopel der harten Wirklichkeit gewichen
zu sein. Und wiederum hat gerade die Entente durch ihre Maßnahmen dieser
Idee die Spitze abgebrochen und dadurch einen Eintritt in den Zehnverbanb
als wenig verlockend erscheinen lassen; denn wer die Souveränität eines Staates
antastet, wird sehr schwer den Glauben erwecken, daß er auf die gedeihliche
Entwicklung des gleichen Staats bedacht sei.

Aber auch nur wer im Nationalitätsprinzip den obersten Grundsatz der
staatlichen Entwicklung sieht, kann sich von dem Gedanken an ein maritim-
orientalisches Großgriechenland, das alle Volksgenossen umfaßt, so blenden
lassen, daß er die politische Schwäche, die ein solches Gebiet befallen
muß, völlig übersieht. Weder die thrakischen noch die kleinasiatischen Küsten
sind ohne die Erwerbung des Hinterlandes, zu dessen Besiedlung jedoch
dem heutigen Griechenland die völkische Kraft mangelt, militärisch haltbar.
Und auch Konstantinopel in Griechenlands schwacher Hand müßte dem ersten
russischen Ansturm erliegen. Eine großgriechische Expansion muß sich, wenn
sie die größere Selbständigkeit des Staates im Auge hat, nach Norden, nach
Südmazedonien und Südalbanien, wenden. Nur durch den Anschluß dieser
beiden Landschaften kann derStaateine wesentlichere wirtschaftliche Autarkie erlangen,
die seine politische Stellung stärkt. Allem Anschein nach sieht auch die monarchische
Richtung darin den einzigen gedeihlichen Ausweg aus der bisherigen unglücklichen
Lage Griechenlands. Ein solches Einwachsen des Griechenstaates in den Rumpf der
Südosteuropäischen Halbinsel bringt Griechenland den Mittelmächten näher und


Griechenland

Aber ein schwieriger Punkt bleibt auch fürderhin. Die geographische Ver¬
breitung der Griechen an allen Küsten des Ägäischen Meeres und die
politischen Hoffnungen, die sich an diese Tatsache knüpfen, verhindern sicherlich
bei manchen freilich politisch kurzsichtigen Griechen eine glatte Stellungnahme
für uns. Denn unser Bündnis mit Türken und Bulgaren muß die ersehnte
Bildung eines Großgriechenlands, das sich über sämtliche ägäischen Randländer
erstreckt und Konstantinopel als Hauptstadt wünscht, illusorisch machen. Der
typische Vertreter dieser volkstümlichen maritim-orientalischen Entwicklungsrtchtung
des Griechenstaates ist Venizelos. Man kann dem Schöpfer des heutigen
Griechenlands, wie es aus den Balkankriegen hervorgegangen ist. nicht grimmiger
unrecht tun, als wenn man ihn nur als Puppe der Entente betrachtet. Man
kann aber auch nicht schlimmer die Gefahr, die mit Venizelos emporstieg, ver¬
kennen. Die Idee des Venizelos ist volkstümlich; wie wäre sonst sein immer¬
hin großer Anhang zu erklären? Weil ein Teil des griechischen Volkes nur
in der maritim-orientalischen Richtung ein Größerwerden des griechischen Staates
für wünschenswert erachtet, konnte Venizelos zum Träger der Ententepolitik
und zum Verräter an der Politik seines großen Königs werden. Nur die
Entente konnte solchen Wünschen, die mit der Befreiung der griechischen U«-
erlösten in Kleinasien auf die Zertrümmerung der Türkei abzielen, Gehör
schenken. Doch scheinen in Griechenland selbst die Träume von einem hellenischen
Großreich mit der Hauptstadt Konstantinopel der harten Wirklichkeit gewichen
zu sein. Und wiederum hat gerade die Entente durch ihre Maßnahmen dieser
Idee die Spitze abgebrochen und dadurch einen Eintritt in den Zehnverbanb
als wenig verlockend erscheinen lassen; denn wer die Souveränität eines Staates
antastet, wird sehr schwer den Glauben erwecken, daß er auf die gedeihliche
Entwicklung des gleichen Staats bedacht sei.

Aber auch nur wer im Nationalitätsprinzip den obersten Grundsatz der
staatlichen Entwicklung sieht, kann sich von dem Gedanken an ein maritim-
orientalisches Großgriechenland, das alle Volksgenossen umfaßt, so blenden
lassen, daß er die politische Schwäche, die ein solches Gebiet befallen
muß, völlig übersieht. Weder die thrakischen noch die kleinasiatischen Küsten
sind ohne die Erwerbung des Hinterlandes, zu dessen Besiedlung jedoch
dem heutigen Griechenland die völkische Kraft mangelt, militärisch haltbar.
Und auch Konstantinopel in Griechenlands schwacher Hand müßte dem ersten
russischen Ansturm erliegen. Eine großgriechische Expansion muß sich, wenn
sie die größere Selbständigkeit des Staates im Auge hat, nach Norden, nach
Südmazedonien und Südalbanien, wenden. Nur durch den Anschluß dieser
beiden Landschaften kann derStaateine wesentlichere wirtschaftliche Autarkie erlangen,
die seine politische Stellung stärkt. Allem Anschein nach sieht auch die monarchische
Richtung darin den einzigen gedeihlichen Ausweg aus der bisherigen unglücklichen
Lage Griechenlands. Ein solches Einwachsen des Griechenstaates in den Rumpf der
Südosteuropäischen Halbinsel bringt Griechenland den Mittelmächten näher und


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[0095] Griechenland Aber ein schwieriger Punkt bleibt auch fürderhin. Die geographische Ver¬ breitung der Griechen an allen Küsten des Ägäischen Meeres und die politischen Hoffnungen, die sich an diese Tatsache knüpfen, verhindern sicherlich bei manchen freilich politisch kurzsichtigen Griechen eine glatte Stellungnahme für uns. Denn unser Bündnis mit Türken und Bulgaren muß die ersehnte Bildung eines Großgriechenlands, das sich über sämtliche ägäischen Randländer erstreckt und Konstantinopel als Hauptstadt wünscht, illusorisch machen. Der typische Vertreter dieser volkstümlichen maritim-orientalischen Entwicklungsrtchtung des Griechenstaates ist Venizelos. Man kann dem Schöpfer des heutigen Griechenlands, wie es aus den Balkankriegen hervorgegangen ist. nicht grimmiger unrecht tun, als wenn man ihn nur als Puppe der Entente betrachtet. Man kann aber auch nicht schlimmer die Gefahr, die mit Venizelos emporstieg, ver¬ kennen. Die Idee des Venizelos ist volkstümlich; wie wäre sonst sein immer¬ hin großer Anhang zu erklären? Weil ein Teil des griechischen Volkes nur in der maritim-orientalischen Richtung ein Größerwerden des griechischen Staates für wünschenswert erachtet, konnte Venizelos zum Träger der Ententepolitik und zum Verräter an der Politik seines großen Königs werden. Nur die Entente konnte solchen Wünschen, die mit der Befreiung der griechischen U«- erlösten in Kleinasien auf die Zertrümmerung der Türkei abzielen, Gehör schenken. Doch scheinen in Griechenland selbst die Träume von einem hellenischen Großreich mit der Hauptstadt Konstantinopel der harten Wirklichkeit gewichen zu sein. Und wiederum hat gerade die Entente durch ihre Maßnahmen dieser Idee die Spitze abgebrochen und dadurch einen Eintritt in den Zehnverbanb als wenig verlockend erscheinen lassen; denn wer die Souveränität eines Staates antastet, wird sehr schwer den Glauben erwecken, daß er auf die gedeihliche Entwicklung des gleichen Staats bedacht sei. Aber auch nur wer im Nationalitätsprinzip den obersten Grundsatz der staatlichen Entwicklung sieht, kann sich von dem Gedanken an ein maritim- orientalisches Großgriechenland, das alle Volksgenossen umfaßt, so blenden lassen, daß er die politische Schwäche, die ein solches Gebiet befallen muß, völlig übersieht. Weder die thrakischen noch die kleinasiatischen Küsten sind ohne die Erwerbung des Hinterlandes, zu dessen Besiedlung jedoch dem heutigen Griechenland die völkische Kraft mangelt, militärisch haltbar. Und auch Konstantinopel in Griechenlands schwacher Hand müßte dem ersten russischen Ansturm erliegen. Eine großgriechische Expansion muß sich, wenn sie die größere Selbständigkeit des Staates im Auge hat, nach Norden, nach Südmazedonien und Südalbanien, wenden. Nur durch den Anschluß dieser beiden Landschaften kann derStaateine wesentlichere wirtschaftliche Autarkie erlangen, die seine politische Stellung stärkt. Allem Anschein nach sieht auch die monarchische Richtung darin den einzigen gedeihlichen Ausweg aus der bisherigen unglücklichen Lage Griechenlands. Ein solches Einwachsen des Griechenstaates in den Rumpf der Südosteuropäischen Halbinsel bringt Griechenland den Mittelmächten näher und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/95>, abgerufen am 11.01.2025.