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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Griechenland

wahrscheinlich bis vor kurzem von den Vereinigten Staaten verdrängt worden
ist. kann nicht Wunder nehmen. Deutschland und Österreich-Ungarn folgen
dann in Ein- und Ausfuhr. Immerhin war Griechenland vor dem Krieg
auf uns und unsern Verbündeten nahezu ebenso stark angewiesen wie auf unsere
Feinde. Aber solche wirtschaftlichen Beziehungen der Friedenszeit bedeuten für
politische Erwägungen wenig, wenn sie, wie im Kriege, nur noch ein¬
seitig (zu unsern Feinden und den Neutralen) entfaltet werden können. Viel
ausschlaggebender ist dagegen die Erkenntnis, daß der Bestand dieser Be¬
ziehungen durch die britisch-französische Vorherrschaft im Mittelmeer jederzeit be¬
droht und die griechische Bevölkerung somit dem Hungertod preisgegeben werden
kann. Darin ist die Möglichkeit eines ungeheuren politischen Zwangs zu sehen,
der bei jeder Wendung Griechenlands auf unsere Seite von den uns feindlichen
Seemächten mit durchschlagenden Erfolg angewandt werden konnte.

Auch auf die kulturellen Beziehungen ist die Verkehrslage Griechenlands
nicht ohne Einfluß geblieben. Zweifellos besitzt die Vorrangstellung der fran¬
zösischen Kultur im östlichen Mittelmeer noch heute tiefgreifenden Einfluß auf
den griechischen Gebildeten und Halbgebildeten. In diesen oberen Schichten
hat nur die französische Sprache neben der griechischen Geltung. Auf dieser
Grundlage wirken Presse und Schule im Sinne der Entente. Naturgemäß ist
auf dem Gebiet von Kunst und Wissenschaft die Verknüpfung mit Frankreich
eine ungleich festere als mit Deutschland, wenn auch bedeutende Beziehungen
auf wissenschaftlichem Gebiet zu Deutschland nicht geleugnet werden dürfen.
Aber ohne Zweifel darf Deutschland in bezug auf die Lösung kulturpolitischer
Aufgaben in Griechenland wie im Orient überhaupt bisher starke Versäumnisse
hundelt und darf sich beeilen, das Versäumte nachzuholen. Im Volk weiß man
von Deutschland wenig. Der starke Auswandererstrom nach Amerika hat ihm
das englische Wesen näher gebracht als das deutsche. Es darf daher niemand
Wunder nehmen, wenn weite Kreise in Griechenland antideutsch gesinnt
waren und eigentlich nur der König, gestützt auf sein Heer, dem er als
siegreicher Führer in den Balkankriegen gilt, und ein Teil der Geschäfts- und
Gelehrtenwelt mit Vertrauen auf Mitteleuropa hinblickte. Diese Grundzüge
kennzeichnen den Zustand vor dem Kriege und beim Beginn des Krieges; die
Niederlagen Frankreichs haben darum aufrichtigste Teilnahme für die bewunderte
französische Nation, die bisher auch stets mit vollster Sympathie für das Hellenen"
Volk eingetreten ist, und Erbitterung gegenüber Deutschland bei den Griechen
hervorgerufen. Doch hat sich Frankreich diese Stimmung seitdem völlig ver¬
scherzt. Der empfindliche Druck der Ententemaßregeln haben die Liebe zu der
einst vergötterten Nation nahezu völlig erstickt; wahrscheinlich wird auch unser
siegreiches Ausharren gegenüber einer Welt von Feinden nicht wenig zur Be¬
wunderung für uns beigetragen haben. So kann man sicher sagen, daß trotz der
eifrigen Bemühungen und Verleumdungen der gegnerischen Presse heute in Griechen-
land ein großer, vielleicht sogar der größte Teil des Volkes auf unserer Seite steht.


Grenzboten II 1917 6
Griechenland

wahrscheinlich bis vor kurzem von den Vereinigten Staaten verdrängt worden
ist. kann nicht Wunder nehmen. Deutschland und Österreich-Ungarn folgen
dann in Ein- und Ausfuhr. Immerhin war Griechenland vor dem Krieg
auf uns und unsern Verbündeten nahezu ebenso stark angewiesen wie auf unsere
Feinde. Aber solche wirtschaftlichen Beziehungen der Friedenszeit bedeuten für
politische Erwägungen wenig, wenn sie, wie im Kriege, nur noch ein¬
seitig (zu unsern Feinden und den Neutralen) entfaltet werden können. Viel
ausschlaggebender ist dagegen die Erkenntnis, daß der Bestand dieser Be¬
ziehungen durch die britisch-französische Vorherrschaft im Mittelmeer jederzeit be¬
droht und die griechische Bevölkerung somit dem Hungertod preisgegeben werden
kann. Darin ist die Möglichkeit eines ungeheuren politischen Zwangs zu sehen,
der bei jeder Wendung Griechenlands auf unsere Seite von den uns feindlichen
Seemächten mit durchschlagenden Erfolg angewandt werden konnte.

Auch auf die kulturellen Beziehungen ist die Verkehrslage Griechenlands
nicht ohne Einfluß geblieben. Zweifellos besitzt die Vorrangstellung der fran¬
zösischen Kultur im östlichen Mittelmeer noch heute tiefgreifenden Einfluß auf
den griechischen Gebildeten und Halbgebildeten. In diesen oberen Schichten
hat nur die französische Sprache neben der griechischen Geltung. Auf dieser
Grundlage wirken Presse und Schule im Sinne der Entente. Naturgemäß ist
auf dem Gebiet von Kunst und Wissenschaft die Verknüpfung mit Frankreich
eine ungleich festere als mit Deutschland, wenn auch bedeutende Beziehungen
auf wissenschaftlichem Gebiet zu Deutschland nicht geleugnet werden dürfen.
Aber ohne Zweifel darf Deutschland in bezug auf die Lösung kulturpolitischer
Aufgaben in Griechenland wie im Orient überhaupt bisher starke Versäumnisse
hundelt und darf sich beeilen, das Versäumte nachzuholen. Im Volk weiß man
von Deutschland wenig. Der starke Auswandererstrom nach Amerika hat ihm
das englische Wesen näher gebracht als das deutsche. Es darf daher niemand
Wunder nehmen, wenn weite Kreise in Griechenland antideutsch gesinnt
waren und eigentlich nur der König, gestützt auf sein Heer, dem er als
siegreicher Führer in den Balkankriegen gilt, und ein Teil der Geschäfts- und
Gelehrtenwelt mit Vertrauen auf Mitteleuropa hinblickte. Diese Grundzüge
kennzeichnen den Zustand vor dem Kriege und beim Beginn des Krieges; die
Niederlagen Frankreichs haben darum aufrichtigste Teilnahme für die bewunderte
französische Nation, die bisher auch stets mit vollster Sympathie für das Hellenen»
Volk eingetreten ist, und Erbitterung gegenüber Deutschland bei den Griechen
hervorgerufen. Doch hat sich Frankreich diese Stimmung seitdem völlig ver¬
scherzt. Der empfindliche Druck der Ententemaßregeln haben die Liebe zu der
einst vergötterten Nation nahezu völlig erstickt; wahrscheinlich wird auch unser
siegreiches Ausharren gegenüber einer Welt von Feinden nicht wenig zur Be¬
wunderung für uns beigetragen haben. So kann man sicher sagen, daß trotz der
eifrigen Bemühungen und Verleumdungen der gegnerischen Presse heute in Griechen-
land ein großer, vielleicht sogar der größte Teil des Volkes auf unserer Seite steht.


Grenzboten II 1917 6
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[0094] Griechenland wahrscheinlich bis vor kurzem von den Vereinigten Staaten verdrängt worden ist. kann nicht Wunder nehmen. Deutschland und Österreich-Ungarn folgen dann in Ein- und Ausfuhr. Immerhin war Griechenland vor dem Krieg auf uns und unsern Verbündeten nahezu ebenso stark angewiesen wie auf unsere Feinde. Aber solche wirtschaftlichen Beziehungen der Friedenszeit bedeuten für politische Erwägungen wenig, wenn sie, wie im Kriege, nur noch ein¬ seitig (zu unsern Feinden und den Neutralen) entfaltet werden können. Viel ausschlaggebender ist dagegen die Erkenntnis, daß der Bestand dieser Be¬ ziehungen durch die britisch-französische Vorherrschaft im Mittelmeer jederzeit be¬ droht und die griechische Bevölkerung somit dem Hungertod preisgegeben werden kann. Darin ist die Möglichkeit eines ungeheuren politischen Zwangs zu sehen, der bei jeder Wendung Griechenlands auf unsere Seite von den uns feindlichen Seemächten mit durchschlagenden Erfolg angewandt werden konnte. Auch auf die kulturellen Beziehungen ist die Verkehrslage Griechenlands nicht ohne Einfluß geblieben. Zweifellos besitzt die Vorrangstellung der fran¬ zösischen Kultur im östlichen Mittelmeer noch heute tiefgreifenden Einfluß auf den griechischen Gebildeten und Halbgebildeten. In diesen oberen Schichten hat nur die französische Sprache neben der griechischen Geltung. Auf dieser Grundlage wirken Presse und Schule im Sinne der Entente. Naturgemäß ist auf dem Gebiet von Kunst und Wissenschaft die Verknüpfung mit Frankreich eine ungleich festere als mit Deutschland, wenn auch bedeutende Beziehungen auf wissenschaftlichem Gebiet zu Deutschland nicht geleugnet werden dürfen. Aber ohne Zweifel darf Deutschland in bezug auf die Lösung kulturpolitischer Aufgaben in Griechenland wie im Orient überhaupt bisher starke Versäumnisse hundelt und darf sich beeilen, das Versäumte nachzuholen. Im Volk weiß man von Deutschland wenig. Der starke Auswandererstrom nach Amerika hat ihm das englische Wesen näher gebracht als das deutsche. Es darf daher niemand Wunder nehmen, wenn weite Kreise in Griechenland antideutsch gesinnt waren und eigentlich nur der König, gestützt auf sein Heer, dem er als siegreicher Führer in den Balkankriegen gilt, und ein Teil der Geschäfts- und Gelehrtenwelt mit Vertrauen auf Mitteleuropa hinblickte. Diese Grundzüge kennzeichnen den Zustand vor dem Kriege und beim Beginn des Krieges; die Niederlagen Frankreichs haben darum aufrichtigste Teilnahme für die bewunderte französische Nation, die bisher auch stets mit vollster Sympathie für das Hellenen» Volk eingetreten ist, und Erbitterung gegenüber Deutschland bei den Griechen hervorgerufen. Doch hat sich Frankreich diese Stimmung seitdem völlig ver¬ scherzt. Der empfindliche Druck der Ententemaßregeln haben die Liebe zu der einst vergötterten Nation nahezu völlig erstickt; wahrscheinlich wird auch unser siegreiches Ausharren gegenüber einer Welt von Feinden nicht wenig zur Be¬ wunderung für uns beigetragen haben. So kann man sicher sagen, daß trotz der eifrigen Bemühungen und Verleumdungen der gegnerischen Presse heute in Griechen- land ein großer, vielleicht sogar der größte Teil des Volkes auf unserer Seite steht. Grenzboten II 1917 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/94>, abgerufen am 11.01.2025.