Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häupter

sonst erschien er zuweilen unter der Maske des Schwerenöters. Einst hatte er
sich bei einer der Fürstinnen Esterhazy angesagt, während deren Gatte auf
einem Ausfluge begriffen war. AIs ihm nun die Liste der Damen, die an¬
wesend sein sollten, mit der Bitte überreicht wurde, die weniger angenehmen
zu streichen, ließ er nur den Namen der Hausfrau stehen, worauf biesa
schleunigst ihren Gemahl herbeizitierte. Ja auf einem Balle beim Fürsten
Franz Palffy sprach der verliebte Herrscher aller Reußen der Gräfin Szechenyi
gegenüber naiv genug den Wunsch aus, provisorisch den Platz ihres abwesenden
Gatten einnehmen zu dürfen, worauf er von der resoluter Dame mit bezug
auf den durch die Kongreßdiplomaten eifrig betriebenen Ländertaufch die Ant¬
wort erhielt: "Lst-co que V. ^. ins prenöl pour uns provineo?"

Ganz besonders und über das sonst bei ihm übliche Maß hinaus
interessierte Alexander sich aber für die Fürstin Gabriele Auersperg. die, seit
1312 Witwe, zurzeit des Kongresses kaum zwanzig Jahre zählte. Sie ist die
unter den sechs oben erwähnten, durch den Zaren proklamierten Schönheiten
der Wiener Gesellschaft genannte Dame, soll freilich nach einem Urteil von
anderer Seite mehr tugendhaft als schön und dazu nicht gerade hervorragenden
Verstandes gewesen sein. Doch gehen auch über diesen letzten Punkt die Am
sichten auseinander. Sicher besaß sie leuchtenden Teint, wundervolle blonde
Haare und eine sehr niedliche Figur, und ebenso fest steht, daß man über Ge¬
schmacksrichtungen nicht streiten soll. Alexander äußerte einst: "IZIIe s'sppeNe
LabriölL, et eile est cliZne 6'un ttenri IV.", bezugnehmend auf die reizende
Gabriele d'Eftrees, die Geliebte des genannten Königs, und ein andermal
meinte der in dieser Zeit für "heilige" Allianzen schwärmende Fürst: "Ich habe
die Gabriele so lieb; hätte ich nicht eine Frau, ich würde sie heiraten." Bei
der vom Hofe am 22. Januar 1815 arrangierten Schlittenfahrt fuhr der Zar
denn auch die Fürstin Auersperg. und auf dem oben erwähnten Balle vom
1- Februar ging er mehrere Polonaisen mit ihr. Für den liebenswürdigen
Charakter der Dame spricht, daß sie trotz ihrer kaiserlichen Eroberung bescheiden
blieb. Auch konnte sich der Verehrer keiner stärkeren Erfolge rühmen: die be¬
lagerte Festung kapitulierte nicht. Manche Damen, vermutlich solche, die die
Taktik des Widerstandes selbst nicht kannten, behaupteten freilich, Alexander
habe niemals ernstlich versucht, sie zu nehmen; andere glaubten, auf sie die
Worte ihres Landsmannes Bauernfeld anwenden zu dürfen:

Und doch hat die Fürstin des Zaren wegen, der ihr vielleicht keineswegs
so gleichgültig war, wie es den Anschein hatte, möglicherweise schwere Seelen¬
kämpfe durchgefochten; am Tage seiner Abreise überraschte eine Freundin sie
in ihrem Toilettenzimmer, wo sie tränenüberströmt auf den Knieen lag. Die
Gräfin Fifi Palffy, des zur Kongreßzeit viel genannten Fürsten v. Ligne
welterfahrene Tochter -- ihm selbst freilich soll seine Vaterschaft nicht über


Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häupter

sonst erschien er zuweilen unter der Maske des Schwerenöters. Einst hatte er
sich bei einer der Fürstinnen Esterhazy angesagt, während deren Gatte auf
einem Ausfluge begriffen war. AIs ihm nun die Liste der Damen, die an¬
wesend sein sollten, mit der Bitte überreicht wurde, die weniger angenehmen
zu streichen, ließ er nur den Namen der Hausfrau stehen, worauf biesa
schleunigst ihren Gemahl herbeizitierte. Ja auf einem Balle beim Fürsten
Franz Palffy sprach der verliebte Herrscher aller Reußen der Gräfin Szechenyi
gegenüber naiv genug den Wunsch aus, provisorisch den Platz ihres abwesenden
Gatten einnehmen zu dürfen, worauf er von der resoluter Dame mit bezug
auf den durch die Kongreßdiplomaten eifrig betriebenen Ländertaufch die Ant¬
wort erhielt: „Lst-co que V. ^. ins prenöl pour uns provineo?"

Ganz besonders und über das sonst bei ihm übliche Maß hinaus
interessierte Alexander sich aber für die Fürstin Gabriele Auersperg. die, seit
1312 Witwe, zurzeit des Kongresses kaum zwanzig Jahre zählte. Sie ist die
unter den sechs oben erwähnten, durch den Zaren proklamierten Schönheiten
der Wiener Gesellschaft genannte Dame, soll freilich nach einem Urteil von
anderer Seite mehr tugendhaft als schön und dazu nicht gerade hervorragenden
Verstandes gewesen sein. Doch gehen auch über diesen letzten Punkt die Am
sichten auseinander. Sicher besaß sie leuchtenden Teint, wundervolle blonde
Haare und eine sehr niedliche Figur, und ebenso fest steht, daß man über Ge¬
schmacksrichtungen nicht streiten soll. Alexander äußerte einst: „IZIIe s'sppeNe
LabriölL, et eile est cliZne 6'un ttenri IV.", bezugnehmend auf die reizende
Gabriele d'Eftrees, die Geliebte des genannten Königs, und ein andermal
meinte der in dieser Zeit für „heilige" Allianzen schwärmende Fürst: „Ich habe
die Gabriele so lieb; hätte ich nicht eine Frau, ich würde sie heiraten." Bei
der vom Hofe am 22. Januar 1815 arrangierten Schlittenfahrt fuhr der Zar
denn auch die Fürstin Auersperg. und auf dem oben erwähnten Balle vom
1- Februar ging er mehrere Polonaisen mit ihr. Für den liebenswürdigen
Charakter der Dame spricht, daß sie trotz ihrer kaiserlichen Eroberung bescheiden
blieb. Auch konnte sich der Verehrer keiner stärkeren Erfolge rühmen: die be¬
lagerte Festung kapitulierte nicht. Manche Damen, vermutlich solche, die die
Taktik des Widerstandes selbst nicht kannten, behaupteten freilich, Alexander
habe niemals ernstlich versucht, sie zu nehmen; andere glaubten, auf sie die
Worte ihres Landsmannes Bauernfeld anwenden zu dürfen:

Und doch hat die Fürstin des Zaren wegen, der ihr vielleicht keineswegs
so gleichgültig war, wie es den Anschein hatte, möglicherweise schwere Seelen¬
kämpfe durchgefochten; am Tage seiner Abreise überraschte eine Freundin sie
in ihrem Toilettenzimmer, wo sie tränenüberströmt auf den Knieen lag. Die
Gräfin Fifi Palffy, des zur Kongreßzeit viel genannten Fürsten v. Ligne
welterfahrene Tochter — ihm selbst freilich soll seine Vaterschaft nicht über


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332006"/>
          <fw type="header" place="top"> Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häupter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_427" prev="#ID_426"> sonst erschien er zuweilen unter der Maske des Schwerenöters. Einst hatte er<lb/>
sich bei einer der Fürstinnen Esterhazy angesagt, während deren Gatte auf<lb/>
einem Ausfluge begriffen war. AIs ihm nun die Liste der Damen, die an¬<lb/>
wesend sein sollten, mit der Bitte überreicht wurde, die weniger angenehmen<lb/>
zu streichen, ließ er nur den Namen der Hausfrau stehen, worauf biesa<lb/>
schleunigst ihren Gemahl herbeizitierte. Ja auf einem Balle beim Fürsten<lb/>
Franz Palffy sprach der verliebte Herrscher aller Reußen der Gräfin Szechenyi<lb/>
gegenüber naiv genug den Wunsch aus, provisorisch den Platz ihres abwesenden<lb/>
Gatten einnehmen zu dürfen, worauf er von der resoluter Dame mit bezug<lb/>
auf den durch die Kongreßdiplomaten eifrig betriebenen Ländertaufch die Ant¬<lb/>
wort erhielt: &#x201E;Lst-co que V. ^. ins prenöl pour uns provineo?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_428"> Ganz besonders und über das sonst bei ihm übliche Maß hinaus<lb/>
interessierte Alexander sich aber für die Fürstin Gabriele Auersperg. die, seit<lb/>
1312 Witwe, zurzeit des Kongresses kaum zwanzig Jahre zählte. Sie ist die<lb/>
unter den sechs oben erwähnten, durch den Zaren proklamierten Schönheiten<lb/>
der Wiener Gesellschaft genannte Dame, soll freilich nach einem Urteil von<lb/>
anderer Seite mehr tugendhaft als schön und dazu nicht gerade hervorragenden<lb/>
Verstandes gewesen sein. Doch gehen auch über diesen letzten Punkt die Am<lb/>
sichten auseinander. Sicher besaß sie leuchtenden Teint, wundervolle blonde<lb/>
Haare und eine sehr niedliche Figur, und ebenso fest steht, daß man über Ge¬<lb/>
schmacksrichtungen nicht streiten soll. Alexander äußerte einst: &#x201E;IZIIe s'sppeNe<lb/>
LabriölL, et eile est cliZne 6'un ttenri IV.", bezugnehmend auf die reizende<lb/>
Gabriele d'Eftrees, die Geliebte des genannten Königs, und ein andermal<lb/>
meinte der in dieser Zeit für &#x201E;heilige" Allianzen schwärmende Fürst: &#x201E;Ich habe<lb/>
die Gabriele so lieb; hätte ich nicht eine Frau, ich würde sie heiraten." Bei<lb/>
der vom Hofe am 22. Januar 1815 arrangierten Schlittenfahrt fuhr der Zar<lb/>
denn auch die Fürstin Auersperg. und auf dem oben erwähnten Balle vom<lb/>
1- Februar ging er mehrere Polonaisen mit ihr. Für den liebenswürdigen<lb/>
Charakter der Dame spricht, daß sie trotz ihrer kaiserlichen Eroberung bescheiden<lb/>
blieb. Auch konnte sich der Verehrer keiner stärkeren Erfolge rühmen: die be¬<lb/>
lagerte Festung kapitulierte nicht. Manche Damen, vermutlich solche, die die<lb/>
Taktik des Widerstandes selbst nicht kannten, behaupteten freilich, Alexander<lb/>
habe niemals ernstlich versucht, sie zu nehmen; andere glaubten, auf sie die<lb/>
Worte ihres Landsmannes Bauernfeld anwenden zu dürfen:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_3" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_429" next="#ID_430"> Und doch hat die Fürstin des Zaren wegen, der ihr vielleicht keineswegs<lb/>
so gleichgültig war, wie es den Anschein hatte, möglicherweise schwere Seelen¬<lb/>
kämpfe durchgefochten; am Tage seiner Abreise überraschte eine Freundin sie<lb/>
in ihrem Toilettenzimmer, wo sie tränenüberströmt auf den Knieen lag. Die<lb/>
Gräfin Fifi Palffy, des zur Kongreßzeit viel genannten Fürsten v. Ligne<lb/>
welterfahrene Tochter &#x2014; ihm selbst freilich soll seine Vaterschaft nicht über</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0164] Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häupter sonst erschien er zuweilen unter der Maske des Schwerenöters. Einst hatte er sich bei einer der Fürstinnen Esterhazy angesagt, während deren Gatte auf einem Ausfluge begriffen war. AIs ihm nun die Liste der Damen, die an¬ wesend sein sollten, mit der Bitte überreicht wurde, die weniger angenehmen zu streichen, ließ er nur den Namen der Hausfrau stehen, worauf biesa schleunigst ihren Gemahl herbeizitierte. Ja auf einem Balle beim Fürsten Franz Palffy sprach der verliebte Herrscher aller Reußen der Gräfin Szechenyi gegenüber naiv genug den Wunsch aus, provisorisch den Platz ihres abwesenden Gatten einnehmen zu dürfen, worauf er von der resoluter Dame mit bezug auf den durch die Kongreßdiplomaten eifrig betriebenen Ländertaufch die Ant¬ wort erhielt: „Lst-co que V. ^. ins prenöl pour uns provineo?" Ganz besonders und über das sonst bei ihm übliche Maß hinaus interessierte Alexander sich aber für die Fürstin Gabriele Auersperg. die, seit 1312 Witwe, zurzeit des Kongresses kaum zwanzig Jahre zählte. Sie ist die unter den sechs oben erwähnten, durch den Zaren proklamierten Schönheiten der Wiener Gesellschaft genannte Dame, soll freilich nach einem Urteil von anderer Seite mehr tugendhaft als schön und dazu nicht gerade hervorragenden Verstandes gewesen sein. Doch gehen auch über diesen letzten Punkt die Am sichten auseinander. Sicher besaß sie leuchtenden Teint, wundervolle blonde Haare und eine sehr niedliche Figur, und ebenso fest steht, daß man über Ge¬ schmacksrichtungen nicht streiten soll. Alexander äußerte einst: „IZIIe s'sppeNe LabriölL, et eile est cliZne 6'un ttenri IV.", bezugnehmend auf die reizende Gabriele d'Eftrees, die Geliebte des genannten Königs, und ein andermal meinte der in dieser Zeit für „heilige" Allianzen schwärmende Fürst: „Ich habe die Gabriele so lieb; hätte ich nicht eine Frau, ich würde sie heiraten." Bei der vom Hofe am 22. Januar 1815 arrangierten Schlittenfahrt fuhr der Zar denn auch die Fürstin Auersperg. und auf dem oben erwähnten Balle vom 1- Februar ging er mehrere Polonaisen mit ihr. Für den liebenswürdigen Charakter der Dame spricht, daß sie trotz ihrer kaiserlichen Eroberung bescheiden blieb. Auch konnte sich der Verehrer keiner stärkeren Erfolge rühmen: die be¬ lagerte Festung kapitulierte nicht. Manche Damen, vermutlich solche, die die Taktik des Widerstandes selbst nicht kannten, behaupteten freilich, Alexander habe niemals ernstlich versucht, sie zu nehmen; andere glaubten, auf sie die Worte ihres Landsmannes Bauernfeld anwenden zu dürfen: Und doch hat die Fürstin des Zaren wegen, der ihr vielleicht keineswegs so gleichgültig war, wie es den Anschein hatte, möglicherweise schwere Seelen¬ kämpfe durchgefochten; am Tage seiner Abreise überraschte eine Freundin sie in ihrem Toilettenzimmer, wo sie tränenüberströmt auf den Knieen lag. Die Gräfin Fifi Palffy, des zur Kongreßzeit viel genannten Fürsten v. Ligne welterfahrene Tochter — ihm selbst freilich soll seine Vaterschaft nicht über

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/164
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/164>, abgerufen am 16.01.2025.