Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häupter über erscheinen mag, vervollständigt doch das Gesamtbild; unter einem solchen Auch die gekrönten Häupter verlebten während des Kongresses meist Doch beschäftigen wir uns zunächst mit demjenigen Manne, der zweifellos Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häupter über erscheinen mag, vervollständigt doch das Gesamtbild; unter einem solchen Auch die gekrönten Häupter verlebten während des Kongresses meist Doch beschäftigen wir uns zunächst mit demjenigen Manne, der zweifellos <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0161" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332003"/> <fw type="header" place="top"> Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häupter</fw><lb/> <p xml:id="ID_421" prev="#ID_420"> über erscheinen mag, vervollständigt doch das Gesamtbild; unter einem solchen<lb/> Gesichtswinkel betrachtet, darf es Anspruch auf Berücksichtigung und damit auch<lb/> auf Schilderung erheben.</p><lb/> <p xml:id="ID_422"> Auch die gekrönten Häupter verlebten während des Kongresses meist<lb/> goldene Stunden; der drohenden „Götterdämmerung" entronnen, gaben sie sich<lb/> völlig dem Genusse des Augenblicks hin und schlürften alle erdenklichen Wonnen<lb/> in vollen Zügen; die Lust am Dasein forderte ihr Recht nach der Sorge und<lb/> Unruhe zweier Jahrzehnte. „Könige in Ferien" sah man hier die Bürde<lb/> konventioneller Fesseln gern abwerfen, um sich als Menschen unter Menschen<lb/> zu fühlen, und das Privatleben dieser sonst hoch über der profanen Menge<lb/> Schwebenden, in das wir. nachdem Purpur und Hermelin ihnen von den<lb/> Schultern geglitten sind, einen hoffentlich nicht allzu indiskret erscheinenden<lb/> Blick zu werfen wagen, bietet des Interessanten genug; denn von Frau Venus<lb/> in Bande geschlagen, sanken seit alten Zeiten auch die Olympier manchmal zu<lb/> Sterblichen herab. Selbst die Tochter des Gastgebers, des Kaisers Franz,<lb/> verschonte Schalk Amor nicht. Es verstand sich von selbst, daß die Erzherzogin<lb/> Marie Luise, die Exkaiserin von Frankreich, obgleich sie damals erst dreiund¬<lb/> zwanzig Jahre zählte und an Schönheit und Frische einer eben erblühten Rose<lb/> glich, an den Freuden des Kongresses nicht teilnahm; die Festfanfaren, die oft<lb/> so laut ertönten, waren schließlich doch nichts anderes als das „Halali", das<lb/> über dem erlegten Wild geblasen wurde, und mit dem zur Strecke Gebrachten<lb/> hatte sie Jahre lang Thron und Bett geteilt. Aber die zur Strohwitwenschaft<lb/> verurteilte Gattin des Titanen wußte sich für das, was ihr entging, schadlos<lb/> zu halten: in der idyllischen Stille des Schönbrunner Schlosses spielte sich ihr<lb/> Oberstallmeister, der Graf Adam Neipperg, im Schlachtengetümmel einäugig<lb/> geworden, aber ein großer Künstler auf dem Klavier, so tief in das Herz der<lb/> musikliebenden Fürstin hinein, daß die staunende Welt diesen Tröster einige<lb/> Jahre später an deren Seite die Rolle des auf dem fernen Se. Helena ver¬<lb/> kümmernder Gemahls vollberechtigt weiterführen sah.</p><lb/> <p xml:id="ID_423" next="#ID_424"> Doch beschäftigen wir uns zunächst mit demjenigen Manne, der zweifellos<lb/> die bei weitem wichtigste Persönlichkeit des ganzen Kongresses war, mit dem<lb/> Zaren Alexander. Seine ritterlich schöne, majestätische Gestalt wurde gekrönt<lb/> von einem Antlitz, dem zwar alles Imposante fehlte, das aber mit seinen leb¬<lb/> haften Augen und dem kleinen wohlgeformten Munde, den blendend weiße<lb/> Zähne schmückten, immerhin sympathisch berührte und die etwas plumpe<lb/> Kalmückennase übersehen ließ. Der Charakter des damals Siebenunddreißig-<lb/> jährigen setzte sich aus sehr verschiedenen, doch so gut amalgamierten Elementen<lb/> zusammen, daß seine Analyse den Historikern bekanntlich immer viele Schwierig¬<lb/> keiten bereitet hat. Zwischen den Polen eines selbstlosen Idealismus und<lb/> einer überaus schlauen Berechnung rotierte das Leben des immer noch nicht<lb/> völlig ausgereiften Selbstherrschers um die Achse stark hervortretender Eitelkeit;<lb/> er hielt sich für eine Art Halbgott, der freilich stets von der heimlichen Sorge</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0161]
Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häupter
über erscheinen mag, vervollständigt doch das Gesamtbild; unter einem solchen
Gesichtswinkel betrachtet, darf es Anspruch auf Berücksichtigung und damit auch
auf Schilderung erheben.
Auch die gekrönten Häupter verlebten während des Kongresses meist
goldene Stunden; der drohenden „Götterdämmerung" entronnen, gaben sie sich
völlig dem Genusse des Augenblicks hin und schlürften alle erdenklichen Wonnen
in vollen Zügen; die Lust am Dasein forderte ihr Recht nach der Sorge und
Unruhe zweier Jahrzehnte. „Könige in Ferien" sah man hier die Bürde
konventioneller Fesseln gern abwerfen, um sich als Menschen unter Menschen
zu fühlen, und das Privatleben dieser sonst hoch über der profanen Menge
Schwebenden, in das wir. nachdem Purpur und Hermelin ihnen von den
Schultern geglitten sind, einen hoffentlich nicht allzu indiskret erscheinenden
Blick zu werfen wagen, bietet des Interessanten genug; denn von Frau Venus
in Bande geschlagen, sanken seit alten Zeiten auch die Olympier manchmal zu
Sterblichen herab. Selbst die Tochter des Gastgebers, des Kaisers Franz,
verschonte Schalk Amor nicht. Es verstand sich von selbst, daß die Erzherzogin
Marie Luise, die Exkaiserin von Frankreich, obgleich sie damals erst dreiund¬
zwanzig Jahre zählte und an Schönheit und Frische einer eben erblühten Rose
glich, an den Freuden des Kongresses nicht teilnahm; die Festfanfaren, die oft
so laut ertönten, waren schließlich doch nichts anderes als das „Halali", das
über dem erlegten Wild geblasen wurde, und mit dem zur Strecke Gebrachten
hatte sie Jahre lang Thron und Bett geteilt. Aber die zur Strohwitwenschaft
verurteilte Gattin des Titanen wußte sich für das, was ihr entging, schadlos
zu halten: in der idyllischen Stille des Schönbrunner Schlosses spielte sich ihr
Oberstallmeister, der Graf Adam Neipperg, im Schlachtengetümmel einäugig
geworden, aber ein großer Künstler auf dem Klavier, so tief in das Herz der
musikliebenden Fürstin hinein, daß die staunende Welt diesen Tröster einige
Jahre später an deren Seite die Rolle des auf dem fernen Se. Helena ver¬
kümmernder Gemahls vollberechtigt weiterführen sah.
Doch beschäftigen wir uns zunächst mit demjenigen Manne, der zweifellos
die bei weitem wichtigste Persönlichkeit des ganzen Kongresses war, mit dem
Zaren Alexander. Seine ritterlich schöne, majestätische Gestalt wurde gekrönt
von einem Antlitz, dem zwar alles Imposante fehlte, das aber mit seinen leb¬
haften Augen und dem kleinen wohlgeformten Munde, den blendend weiße
Zähne schmückten, immerhin sympathisch berührte und die etwas plumpe
Kalmückennase übersehen ließ. Der Charakter des damals Siebenunddreißig-
jährigen setzte sich aus sehr verschiedenen, doch so gut amalgamierten Elementen
zusammen, daß seine Analyse den Historikern bekanntlich immer viele Schwierig¬
keiten bereitet hat. Zwischen den Polen eines selbstlosen Idealismus und
einer überaus schlauen Berechnung rotierte das Leben des immer noch nicht
völlig ausgereiften Selbstherrschers um die Achse stark hervortretender Eitelkeit;
er hielt sich für eine Art Halbgott, der freilich stets von der heimlichen Sorge
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |