Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.Zur Erklärung des französischen Einflusses auf Holland Ilcrthe Miethe von er unaufhaltsam strömende Einfluß des französischen Geisteslebens Die Ähnlichkeit, die die deutsche Sprache mit der holländischen verbindet, Zur Erklärung des französischen Einflusses auf Holland Ilcrthe Miethe von er unaufhaltsam strömende Einfluß des französischen Geisteslebens Die Ähnlichkeit, die die deutsche Sprache mit der holländischen verbindet, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0135" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331977"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341905_331841/figures/grenzboten_341905_331841_331977_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Zur Erklärung des französischen Einflusses<lb/> auf Holland<lb/><note type="byline"> Ilcrthe Miethe</note> von </head><lb/> <p xml:id="ID_324"> er unaufhaltsam strömende Einfluß des französischen Geisteslebens<lb/> auf Holland beruht auf einem psychologischen Faktum, das der<lb/> französischen Propaganda in Holland die Arbeit sehr erleichtert,<lb/> ihr eigentlich direkt in die Hände spielt. Die Tragweite und die<lb/> Selbstverständlichkeit dieser Erscheinung ist wohl nur einem Aus¬<lb/> länder, der jetzt in Holland lebt, ersichtlich und ihre Erklärung kann von einem<lb/> Deutschen nur dann in ihrem ganzen Umfange und ihrer Berechtigung an¬<lb/> erkannt werden, wenn dieser den Glauben an unbedingtes Zusammengehörigkeits¬<lb/> gefühl und den naturgemäßen Zusammenschluß der germanischen Völker nicht<lb/> vertritt. Das Ideologische dieses Wunsches hat der jetzige Krieg genügend be¬<lb/> wiesen, und doch ist die Erkenntnis der Tatsache, daß die Sympathien der<lb/> Nationen nicht von Rasscninstinkten geleitet werden, immer noch viel zu wenig<lb/> durchgedrungen. Hollands tiefgehende Sympathie für Frankreich wäre eigentlich<lb/> Beispiel genug. Denn trotzdem deutsche Kunst und deutsche Wissenschaft in<lb/> Holland einen hohen Platz einnehmen, und viele Holländer zu Studienzwecken<lb/> nach Deutschland gehen, werden wir Deutschen doch für den Holländer immer<lb/> der „östliche Nachbar" bleiben, mit dem gleichen Klang im Worte, den wir<lb/> ihm selber verleihen, wenn wir von unseren eigenen östlichen Nachbarn, den<lb/> Russen, sprechen. In den Augen des Holländers ist Deutschland immer noch<lb/> -in seiner Gesamtheit eine kulturlose Nation, die zwar einzelne hochstehende,<lb/> künstlerisch und wissenschaftlich hervorragende Persönlichkeiten hervorgebracht hat,<lb/> in ihrer Allgemeinheit aber ein Parvenüvolk mit gröberen Instinkten ge¬<lb/> blieben ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_325" next="#ID_326"> Die Ähnlichkeit, die die deutsche Sprache mit der holländischen verbindet,<lb/> nimmt ihr für den Holländer den Reiz der Fremdheit. Wer eine der beiden<lb/> Sprachen, sei es deutsch oder holländisch als seine Muttersprache kennt, und<lb/> die korrespondierende Sprache dazu später hört und lernt, wird niemals das<lb/> Erfrischende und Anreizende empfinden, sich in einem anderen Kulturkreis und<lb/> in einer neuen Atmosphäre zu bewegen. Denn mit dem Grad der Ver¬<lb/> schiedenheit in Ausdrucksmöglichkeiten und Klang wachsen Genuß und Be¬<lb/> reicherung, die die Beherrschung einer fremden Sprache gewähren. Diese be¬<lb/> deutenden Vorteile hat die französische Sprache und mit ihr das gesamte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0135]
[Abbildung]
Zur Erklärung des französischen Einflusses
auf Holland
Ilcrthe Miethe von
er unaufhaltsam strömende Einfluß des französischen Geisteslebens
auf Holland beruht auf einem psychologischen Faktum, das der
französischen Propaganda in Holland die Arbeit sehr erleichtert,
ihr eigentlich direkt in die Hände spielt. Die Tragweite und die
Selbstverständlichkeit dieser Erscheinung ist wohl nur einem Aus¬
länder, der jetzt in Holland lebt, ersichtlich und ihre Erklärung kann von einem
Deutschen nur dann in ihrem ganzen Umfange und ihrer Berechtigung an¬
erkannt werden, wenn dieser den Glauben an unbedingtes Zusammengehörigkeits¬
gefühl und den naturgemäßen Zusammenschluß der germanischen Völker nicht
vertritt. Das Ideologische dieses Wunsches hat der jetzige Krieg genügend be¬
wiesen, und doch ist die Erkenntnis der Tatsache, daß die Sympathien der
Nationen nicht von Rasscninstinkten geleitet werden, immer noch viel zu wenig
durchgedrungen. Hollands tiefgehende Sympathie für Frankreich wäre eigentlich
Beispiel genug. Denn trotzdem deutsche Kunst und deutsche Wissenschaft in
Holland einen hohen Platz einnehmen, und viele Holländer zu Studienzwecken
nach Deutschland gehen, werden wir Deutschen doch für den Holländer immer
der „östliche Nachbar" bleiben, mit dem gleichen Klang im Worte, den wir
ihm selber verleihen, wenn wir von unseren eigenen östlichen Nachbarn, den
Russen, sprechen. In den Augen des Holländers ist Deutschland immer noch
-in seiner Gesamtheit eine kulturlose Nation, die zwar einzelne hochstehende,
künstlerisch und wissenschaftlich hervorragende Persönlichkeiten hervorgebracht hat,
in ihrer Allgemeinheit aber ein Parvenüvolk mit gröberen Instinkten ge¬
blieben ist.
Die Ähnlichkeit, die die deutsche Sprache mit der holländischen verbindet,
nimmt ihr für den Holländer den Reiz der Fremdheit. Wer eine der beiden
Sprachen, sei es deutsch oder holländisch als seine Muttersprache kennt, und
die korrespondierende Sprache dazu später hört und lernt, wird niemals das
Erfrischende und Anreizende empfinden, sich in einem anderen Kulturkreis und
in einer neuen Atmosphäre zu bewegen. Denn mit dem Grad der Ver¬
schiedenheit in Ausdrucksmöglichkeiten und Klang wachsen Genuß und Be¬
reicherung, die die Beherrschung einer fremden Sprache gewähren. Diese be¬
deutenden Vorteile hat die französische Sprache und mit ihr das gesamte
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