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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Das Wahlrecht im Lichte der Philosophie
Professor Dr. Veto von der ofordten von

Die folgende Studie war vollendet, ehe der Verfasser von dem
Erlaß des Kaisers an den Reichskanzler vom 8. April irgendetwas
gehört hatte.

ktive Politiker pflegen zu behaupten, sie handelten fern von aller
grauen Theorie lediglich nach den Erfordernissen der Stunde,
uno nun gar Wahlrechtsfragen vertrügen keine philosophische
Behandlung. Nun gibt es niemals vernünftige Praxis ohne
zugrunde liegende Theorie; nur ein lHandeln aufs Geratewohl
ohne Überlegung wäre rein praktisch, denn das Leben antwortet überhaupt
"ur, wenn man es auf Grund von Gedanken nach seinem Sinn befragt. Die
^wxis, genauer der Erfolg, ist der große Schulmeister, durch den das Leben
die Fehler der Theorie mit roter Tinte anstreicht und verbessert; aber ein voller
"UtilitariLmus" ist unmöglich, höchstens ein teilweiser. Eine politische Partei
^übt gewiß nicht allein auf ihrem gedruckten Programm; zahlreiche Ideen,
^chlagworte, Phrasen, endlich die Macht persönlichen Einflusses halten sie zu¬
sammen, und sicher gehören sehr viele dazu, die sich über das Programm nicht
nar, noch mit den Führern einig find. Dennoch ist es Theorie und nichts
anderes, was eine Partei als solche bestimmt und von anderen unterscheidet,
da man doch weder in sie hinein geboren wird, noch sie sich lediglich durch
Praxis im politischen Kampf erhalten kann.

Tatsächlich kann man gerade umgekehrt bemerken, daß eifrige Parteipolitiker
die größten Dogmatiker und schroffe Doktrinäre sind; nur häufig unbewußt.
^>le nennen einfach "Praxis", was von ihren Überzeugungen, Ansichten oder
Tagesmeinungen geleitet wird, und der Streit bestärkt sie nur darin. Es hat
niemals z. B. ein Wahlrecht gegeben, das nicht vorher lediglich Gedanke oder
Theorie war -- ehe irgendjemand danach wählen konnte: schließlich ist die
ganze Idee, durch Wählen statt durch Ernennung Menschen zu Einfluß und


Grenzboten II 1917 7


Das Wahlrecht im Lichte der Philosophie
Professor Dr. Veto von der ofordten von

Die folgende Studie war vollendet, ehe der Verfasser von dem
Erlaß des Kaisers an den Reichskanzler vom 8. April irgendetwas
gehört hatte.

ktive Politiker pflegen zu behaupten, sie handelten fern von aller
grauen Theorie lediglich nach den Erfordernissen der Stunde,
uno nun gar Wahlrechtsfragen vertrügen keine philosophische
Behandlung. Nun gibt es niemals vernünftige Praxis ohne
zugrunde liegende Theorie; nur ein lHandeln aufs Geratewohl
ohne Überlegung wäre rein praktisch, denn das Leben antwortet überhaupt
"ur, wenn man es auf Grund von Gedanken nach seinem Sinn befragt. Die
^wxis, genauer der Erfolg, ist der große Schulmeister, durch den das Leben
die Fehler der Theorie mit roter Tinte anstreicht und verbessert; aber ein voller
"UtilitariLmus" ist unmöglich, höchstens ein teilweiser. Eine politische Partei
^übt gewiß nicht allein auf ihrem gedruckten Programm; zahlreiche Ideen,
^chlagworte, Phrasen, endlich die Macht persönlichen Einflusses halten sie zu¬
sammen, und sicher gehören sehr viele dazu, die sich über das Programm nicht
nar, noch mit den Führern einig find. Dennoch ist es Theorie und nichts
anderes, was eine Partei als solche bestimmt und von anderen unterscheidet,
da man doch weder in sie hinein geboren wird, noch sie sich lediglich durch
Praxis im politischen Kampf erhalten kann.

Tatsächlich kann man gerade umgekehrt bemerken, daß eifrige Parteipolitiker
die größten Dogmatiker und schroffe Doktrinäre sind; nur häufig unbewußt.
^>le nennen einfach „Praxis", was von ihren Überzeugungen, Ansichten oder
Tagesmeinungen geleitet wird, und der Streit bestärkt sie nur darin. Es hat
niemals z. B. ein Wahlrecht gegeben, das nicht vorher lediglich Gedanke oder
Theorie war — ehe irgendjemand danach wählen konnte: schließlich ist die
ganze Idee, durch Wählen statt durch Ernennung Menschen zu Einfluß und


Grenzboten II 1917 7
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[0110] [Abbildung] Das Wahlrecht im Lichte der Philosophie Professor Dr. Veto von der ofordten von Die folgende Studie war vollendet, ehe der Verfasser von dem Erlaß des Kaisers an den Reichskanzler vom 8. April irgendetwas gehört hatte. ktive Politiker pflegen zu behaupten, sie handelten fern von aller grauen Theorie lediglich nach den Erfordernissen der Stunde, uno nun gar Wahlrechtsfragen vertrügen keine philosophische Behandlung. Nun gibt es niemals vernünftige Praxis ohne zugrunde liegende Theorie; nur ein lHandeln aufs Geratewohl ohne Überlegung wäre rein praktisch, denn das Leben antwortet überhaupt "ur, wenn man es auf Grund von Gedanken nach seinem Sinn befragt. Die ^wxis, genauer der Erfolg, ist der große Schulmeister, durch den das Leben die Fehler der Theorie mit roter Tinte anstreicht und verbessert; aber ein voller "UtilitariLmus" ist unmöglich, höchstens ein teilweiser. Eine politische Partei ^übt gewiß nicht allein auf ihrem gedruckten Programm; zahlreiche Ideen, ^chlagworte, Phrasen, endlich die Macht persönlichen Einflusses halten sie zu¬ sammen, und sicher gehören sehr viele dazu, die sich über das Programm nicht nar, noch mit den Führern einig find. Dennoch ist es Theorie und nichts anderes, was eine Partei als solche bestimmt und von anderen unterscheidet, da man doch weder in sie hinein geboren wird, noch sie sich lediglich durch Praxis im politischen Kampf erhalten kann. Tatsächlich kann man gerade umgekehrt bemerken, daß eifrige Parteipolitiker die größten Dogmatiker und schroffe Doktrinäre sind; nur häufig unbewußt. ^>le nennen einfach „Praxis", was von ihren Überzeugungen, Ansichten oder Tagesmeinungen geleitet wird, und der Streit bestärkt sie nur darin. Es hat niemals z. B. ein Wahlrecht gegeben, das nicht vorher lediglich Gedanke oder Theorie war — ehe irgendjemand danach wählen konnte: schließlich ist die ganze Idee, durch Wählen statt durch Ernennung Menschen zu Einfluß und Grenzboten II 1917 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/110>, abgerufen am 08.01.2025.