Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine speziellere Frage behandelt eine anonym erschienene Schrift eines
Ballen "Die deutsch-lettischen Beziehungen in den baltischen Provinzen", die
nicht nur durch den Ort ihres Erscheinens (Sammlung "Zwischen Krieg und
Frieden" Ur. 32, S. Hirzel, Leipzig 1916), sondern auch durch ein Vorwort des
kürzlich verstorbenen baltischen Psychologen Oswald Külpe in München vor dem
Mißtrauen geschützt ist, das man anonymen Veröffentlichungen unwillkürlich
entgegenbringt. Gerade das Verhältnis der deutschen Oberschicht des Landes
zu der zahlenmäßig so weit überlegenen eingeborenen Bevölkerung ist in Deutsch¬
land wenig bekannt und in seinen letzten Motiven schwer verständlich. So
steht hier auch die Darstellung vor einer schwierigen Aufgabe. Sie hat mit
gewissen festen Vorurteilen zu rechnen, die dem liberalisierten Mittel- und West¬
europäer das Verständnis für die Selbstbehauptungs-Notwendigkeiten einer
dünnen deutschen Oberschicht so sehr erschweren. So bekommt die Darstellung
leicht einen apologetischen Charakter, dem immer der mißliche Beigeschmack des
()ni 8'oxLU8e, s'aLcuss anhaftet. Die baltische Geschichte bietet aber seit der
Bauernbefreiung auf freie Initiative des baltischen Adels Beispiele genug, die
der Anklage entgegentreten, das baltische Deutschtum hätte durch brutale Unter¬
drückung der Unterschicht dem deutschen Namen wenig Ehre gemacht. Die
Schrift sammelt weitere Belege, die in gleicher Richtung Zeugnis ablegen, und
dürfte wesentlich dazu beitragen, weit verbreitete Vorurteile aus der Welt zu
schaffen und die eigentlichen schwerwiegenden Fragen des baltischen Nationalitäten¬
problems klarzustellen.

Dieser ersten hier zusammengefaßten Gruppe von Aufklärungsschriften, die
von außen her an das Baltentum herantreten, steht eine zweite gegenüber, die
als Selbstdarstellungen der baltischen Kultur aufgefaßt werden können. Hier
wird nicht sowohl über das Baltentum gesprochen, als seine Eigenart durch
Proben seiner Kultur veranschaulicht. Dabei bringt es selbstverständlich die
Eigenart der verschiedenen Kulturgebiete mit sich, daß das Literarische gewisser¬
maßen quellenmäßig im Original geboten werden kann, während die bildenden
Künste sich durch Abbildungen vertreten lassen müssen. Trotz dieser sach-
bedmgten Unterschiede ist in all diesen Veröffentlichungen baltische Kultur selber
dem Blick und dem Urteil vorgelegt.

Ein Gesamtbild des schöpferischen Baltentums sucht auf diesem Wege
Paul Rohrbach in seinem "Baltenbuch" (Gelber Verlag, Dachau 1916) vor
uns aufzurollen. Das Buch bietet eine in ihrer Art einzige Zusammenstellung
geschickt ausgewählter Proben nicht nur aus der Dichtkunst, sondern auch aus
der gelehrten und essayistischen Literatur der Ballen mit einem reichen Bilder-
material. das Kultur, Landschaft und Volkstum gleichmäßig berücksichtigt. Be¬
sonders reizvoll ist, daß im literarischen Teil eine Reihe Essays über bedeutende
Ballen aus baltischer Feder vertreten sind, so daß sich hier baltische Art ge¬
wissermaßen in baltischer Betrachtung widerspiegelt. Zugleich äußert sich darin
der Zug zum Historischen, zum Heimatkundlichen, der der gewachsenen Kultur


Eine speziellere Frage behandelt eine anonym erschienene Schrift eines
Ballen „Die deutsch-lettischen Beziehungen in den baltischen Provinzen", die
nicht nur durch den Ort ihres Erscheinens (Sammlung „Zwischen Krieg und
Frieden" Ur. 32, S. Hirzel, Leipzig 1916), sondern auch durch ein Vorwort des
kürzlich verstorbenen baltischen Psychologen Oswald Külpe in München vor dem
Mißtrauen geschützt ist, das man anonymen Veröffentlichungen unwillkürlich
entgegenbringt. Gerade das Verhältnis der deutschen Oberschicht des Landes
zu der zahlenmäßig so weit überlegenen eingeborenen Bevölkerung ist in Deutsch¬
land wenig bekannt und in seinen letzten Motiven schwer verständlich. So
steht hier auch die Darstellung vor einer schwierigen Aufgabe. Sie hat mit
gewissen festen Vorurteilen zu rechnen, die dem liberalisierten Mittel- und West¬
europäer das Verständnis für die Selbstbehauptungs-Notwendigkeiten einer
dünnen deutschen Oberschicht so sehr erschweren. So bekommt die Darstellung
leicht einen apologetischen Charakter, dem immer der mißliche Beigeschmack des
()ni 8'oxLU8e, s'aLcuss anhaftet. Die baltische Geschichte bietet aber seit der
Bauernbefreiung auf freie Initiative des baltischen Adels Beispiele genug, die
der Anklage entgegentreten, das baltische Deutschtum hätte durch brutale Unter¬
drückung der Unterschicht dem deutschen Namen wenig Ehre gemacht. Die
Schrift sammelt weitere Belege, die in gleicher Richtung Zeugnis ablegen, und
dürfte wesentlich dazu beitragen, weit verbreitete Vorurteile aus der Welt zu
schaffen und die eigentlichen schwerwiegenden Fragen des baltischen Nationalitäten¬
problems klarzustellen.

Dieser ersten hier zusammengefaßten Gruppe von Aufklärungsschriften, die
von außen her an das Baltentum herantreten, steht eine zweite gegenüber, die
als Selbstdarstellungen der baltischen Kultur aufgefaßt werden können. Hier
wird nicht sowohl über das Baltentum gesprochen, als seine Eigenart durch
Proben seiner Kultur veranschaulicht. Dabei bringt es selbstverständlich die
Eigenart der verschiedenen Kulturgebiete mit sich, daß das Literarische gewisser¬
maßen quellenmäßig im Original geboten werden kann, während die bildenden
Künste sich durch Abbildungen vertreten lassen müssen. Trotz dieser sach-
bedmgten Unterschiede ist in all diesen Veröffentlichungen baltische Kultur selber
dem Blick und dem Urteil vorgelegt.

Ein Gesamtbild des schöpferischen Baltentums sucht auf diesem Wege
Paul Rohrbach in seinem „Baltenbuch" (Gelber Verlag, Dachau 1916) vor
uns aufzurollen. Das Buch bietet eine in ihrer Art einzige Zusammenstellung
geschickt ausgewählter Proben nicht nur aus der Dichtkunst, sondern auch aus
der gelehrten und essayistischen Literatur der Ballen mit einem reichen Bilder-
material. das Kultur, Landschaft und Volkstum gleichmäßig berücksichtigt. Be¬
sonders reizvoll ist, daß im literarischen Teil eine Reihe Essays über bedeutende
Ballen aus baltischer Feder vertreten sind, so daß sich hier baltische Art ge¬
wissermaßen in baltischer Betrachtung widerspiegelt. Zugleich äußert sich darin
der Zug zum Historischen, zum Heimatkundlichen, der der gewachsenen Kultur


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331947"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_260"> Eine speziellere Frage behandelt eine anonym erschienene Schrift eines<lb/>
Ballen &#x201E;Die deutsch-lettischen Beziehungen in den baltischen Provinzen", die<lb/>
nicht nur durch den Ort ihres Erscheinens (Sammlung &#x201E;Zwischen Krieg und<lb/>
Frieden" Ur. 32, S. Hirzel, Leipzig 1916), sondern auch durch ein Vorwort des<lb/>
kürzlich verstorbenen baltischen Psychologen Oswald Külpe in München vor dem<lb/>
Mißtrauen geschützt ist, das man anonymen Veröffentlichungen unwillkürlich<lb/>
entgegenbringt. Gerade das Verhältnis der deutschen Oberschicht des Landes<lb/>
zu der zahlenmäßig so weit überlegenen eingeborenen Bevölkerung ist in Deutsch¬<lb/>
land wenig bekannt und in seinen letzten Motiven schwer verständlich. So<lb/>
steht hier auch die Darstellung vor einer schwierigen Aufgabe. Sie hat mit<lb/>
gewissen festen Vorurteilen zu rechnen, die dem liberalisierten Mittel- und West¬<lb/>
europäer das Verständnis für die Selbstbehauptungs-Notwendigkeiten einer<lb/>
dünnen deutschen Oberschicht so sehr erschweren. So bekommt die Darstellung<lb/>
leicht einen apologetischen Charakter, dem immer der mißliche Beigeschmack des<lb/>
()ni 8'oxLU8e, s'aLcuss anhaftet. Die baltische Geschichte bietet aber seit der<lb/>
Bauernbefreiung auf freie Initiative des baltischen Adels Beispiele genug, die<lb/>
der Anklage entgegentreten, das baltische Deutschtum hätte durch brutale Unter¬<lb/>
drückung der Unterschicht dem deutschen Namen wenig Ehre gemacht. Die<lb/>
Schrift sammelt weitere Belege, die in gleicher Richtung Zeugnis ablegen, und<lb/>
dürfte wesentlich dazu beitragen, weit verbreitete Vorurteile aus der Welt zu<lb/>
schaffen und die eigentlichen schwerwiegenden Fragen des baltischen Nationalitäten¬<lb/>
problems klarzustellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_261"> Dieser ersten hier zusammengefaßten Gruppe von Aufklärungsschriften, die<lb/>
von außen her an das Baltentum herantreten, steht eine zweite gegenüber, die<lb/>
als Selbstdarstellungen der baltischen Kultur aufgefaßt werden können. Hier<lb/>
wird nicht sowohl über das Baltentum gesprochen, als seine Eigenart durch<lb/>
Proben seiner Kultur veranschaulicht. Dabei bringt es selbstverständlich die<lb/>
Eigenart der verschiedenen Kulturgebiete mit sich, daß das Literarische gewisser¬<lb/>
maßen quellenmäßig im Original geboten werden kann, während die bildenden<lb/>
Künste sich durch Abbildungen vertreten lassen müssen. Trotz dieser sach-<lb/>
bedmgten Unterschiede ist in all diesen Veröffentlichungen baltische Kultur selber<lb/>
dem Blick und dem Urteil vorgelegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_262" next="#ID_263"> Ein Gesamtbild des schöpferischen Baltentums sucht auf diesem Wege<lb/>
Paul Rohrbach in seinem &#x201E;Baltenbuch" (Gelber Verlag, Dachau 1916) vor<lb/>
uns aufzurollen. Das Buch bietet eine in ihrer Art einzige Zusammenstellung<lb/>
geschickt ausgewählter Proben nicht nur aus der Dichtkunst, sondern auch aus<lb/>
der gelehrten und essayistischen Literatur der Ballen mit einem reichen Bilder-<lb/>
material. das Kultur, Landschaft und Volkstum gleichmäßig berücksichtigt. Be¬<lb/>
sonders reizvoll ist, daß im literarischen Teil eine Reihe Essays über bedeutende<lb/>
Ballen aus baltischer Feder vertreten sind, so daß sich hier baltische Art ge¬<lb/>
wissermaßen in baltischer Betrachtung widerspiegelt. Zugleich äußert sich darin<lb/>
der Zug zum Historischen, zum Heimatkundlichen, der der gewachsenen Kultur</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0105] Eine speziellere Frage behandelt eine anonym erschienene Schrift eines Ballen „Die deutsch-lettischen Beziehungen in den baltischen Provinzen", die nicht nur durch den Ort ihres Erscheinens (Sammlung „Zwischen Krieg und Frieden" Ur. 32, S. Hirzel, Leipzig 1916), sondern auch durch ein Vorwort des kürzlich verstorbenen baltischen Psychologen Oswald Külpe in München vor dem Mißtrauen geschützt ist, das man anonymen Veröffentlichungen unwillkürlich entgegenbringt. Gerade das Verhältnis der deutschen Oberschicht des Landes zu der zahlenmäßig so weit überlegenen eingeborenen Bevölkerung ist in Deutsch¬ land wenig bekannt und in seinen letzten Motiven schwer verständlich. So steht hier auch die Darstellung vor einer schwierigen Aufgabe. Sie hat mit gewissen festen Vorurteilen zu rechnen, die dem liberalisierten Mittel- und West¬ europäer das Verständnis für die Selbstbehauptungs-Notwendigkeiten einer dünnen deutschen Oberschicht so sehr erschweren. So bekommt die Darstellung leicht einen apologetischen Charakter, dem immer der mißliche Beigeschmack des ()ni 8'oxLU8e, s'aLcuss anhaftet. Die baltische Geschichte bietet aber seit der Bauernbefreiung auf freie Initiative des baltischen Adels Beispiele genug, die der Anklage entgegentreten, das baltische Deutschtum hätte durch brutale Unter¬ drückung der Unterschicht dem deutschen Namen wenig Ehre gemacht. Die Schrift sammelt weitere Belege, die in gleicher Richtung Zeugnis ablegen, und dürfte wesentlich dazu beitragen, weit verbreitete Vorurteile aus der Welt zu schaffen und die eigentlichen schwerwiegenden Fragen des baltischen Nationalitäten¬ problems klarzustellen. Dieser ersten hier zusammengefaßten Gruppe von Aufklärungsschriften, die von außen her an das Baltentum herantreten, steht eine zweite gegenüber, die als Selbstdarstellungen der baltischen Kultur aufgefaßt werden können. Hier wird nicht sowohl über das Baltentum gesprochen, als seine Eigenart durch Proben seiner Kultur veranschaulicht. Dabei bringt es selbstverständlich die Eigenart der verschiedenen Kulturgebiete mit sich, daß das Literarische gewisser¬ maßen quellenmäßig im Original geboten werden kann, während die bildenden Künste sich durch Abbildungen vertreten lassen müssen. Trotz dieser sach- bedmgten Unterschiede ist in all diesen Veröffentlichungen baltische Kultur selber dem Blick und dem Urteil vorgelegt. Ein Gesamtbild des schöpferischen Baltentums sucht auf diesem Wege Paul Rohrbach in seinem „Baltenbuch" (Gelber Verlag, Dachau 1916) vor uns aufzurollen. Das Buch bietet eine in ihrer Art einzige Zusammenstellung geschickt ausgewählter Proben nicht nur aus der Dichtkunst, sondern auch aus der gelehrten und essayistischen Literatur der Ballen mit einem reichen Bilder- material. das Kultur, Landschaft und Volkstum gleichmäßig berücksichtigt. Be¬ sonders reizvoll ist, daß im literarischen Teil eine Reihe Essays über bedeutende Ballen aus baltischer Feder vertreten sind, so daß sich hier baltische Art ge¬ wissermaßen in baltischer Betrachtung widerspiegelt. Zugleich äußert sich darin der Zug zum Historischen, zum Heimatkundlichen, der der gewachsenen Kultur

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/105
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/105>, abgerufen am 10.01.2025.