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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Zur baltischen Frage

Werte Ehe- und Zeugungsfreudigkeit wieder erwecken zu können. Nur auf die
Herausarbeitung des eigentlichen Problems kam es hier an. "Eine wirkliche
und gründliche Veredelung des Menschengeschlechtes möchte nicht sowohl. . . -
durch Lehre und Bildung, als vielmehr auf dem Wege der Generation zu er.
langen sein", hat ja schon Schopenhauer betont. ("Die Welt als Wille und
Borstellung". Bd. II.)




Zur baltischen Frage
(Ein Sammelbericht)
Dr. Max Hildebert ZZoehm von

as Deutschtum der baltischen Provinzen Rußlands war in
Deutschland, wie der Krieg es vorfand, nahezu vergessen. Gründe
von mancherlei Art sind es, die diese in völkischem Betracht so
bedauerliche Tatsache erklären. Es ist heute nicht der Zeitpunkt,
Anklagen zu erheben. Auch der gutbaltische Sondersinn wäre da
nicht freizusprechen. Auf reichsdeutscher Seite war dafür der deutsche Erb¬
fehler nationaler Würdclosigkeit auch hier im Spiel. Und doch läßt sich die Hal¬
tung des Deutschen Reiches zur baltischen Frage recht wohl verstehen. Eingeschränkt
auf die oft so kleinlichen Fragen der innerpolitischen Parteiung, das welt¬
politische Interesse durch überseeische Gründungen gefesselt: so brachte der
moderne Deutsche keinen wirklichen Anteil für die harten Kämpfe auf, die das
eigene Volkstum außerhalb der Reichsgrenze zu seiner Selbstbehauptung durch-
zufechten hatte. Aber was so in erster Linie aus einem Negativen, aus lauer
Gleichgültigkeit gegenüber den Lebensaufgaben des eigenen Volkstumes, zu er¬
wachen scheint, das ist doch andererseits mit den positiven Leistungen der ersten
Reichsjahrzehnte eng verknüpft. Nichts entkräftet wirksamer die Formel unserer
Feinde, Deutschland habe versteckte europäische Expansionspolitik getrieben, als
gerade unsere Haltung zum baltischen Deutschtum. Mit vollem Bewußtsein
faßte die russische Regierung seit den Zeiten Alexanders des Dritten ihre
Russifizierungspolitik in den baltischen Provinzen als eine Antwort auf die
deutsche Reichsgründung auf. Denn was dem Nufsentum von staatlicher
Gesundheit unabtrennbar ist: der schrankenlose Ausdehnungstrieb, das traute
es unbedenklich auch diesem jungen politischen Gebilde zu. Zugleich konnte
Rußland nicht umhin, ein wohlbegründetes geschichtliches Recht Deutschlands


Zur baltischen Frage

Werte Ehe- und Zeugungsfreudigkeit wieder erwecken zu können. Nur auf die
Herausarbeitung des eigentlichen Problems kam es hier an. „Eine wirkliche
und gründliche Veredelung des Menschengeschlechtes möchte nicht sowohl. . . -
durch Lehre und Bildung, als vielmehr auf dem Wege der Generation zu er.
langen sein", hat ja schon Schopenhauer betont. („Die Welt als Wille und
Borstellung". Bd. II.)




Zur baltischen Frage
(Ein Sammelbericht)
Dr. Max Hildebert ZZoehm von

as Deutschtum der baltischen Provinzen Rußlands war in
Deutschland, wie der Krieg es vorfand, nahezu vergessen. Gründe
von mancherlei Art sind es, die diese in völkischem Betracht so
bedauerliche Tatsache erklären. Es ist heute nicht der Zeitpunkt,
Anklagen zu erheben. Auch der gutbaltische Sondersinn wäre da
nicht freizusprechen. Auf reichsdeutscher Seite war dafür der deutsche Erb¬
fehler nationaler Würdclosigkeit auch hier im Spiel. Und doch läßt sich die Hal¬
tung des Deutschen Reiches zur baltischen Frage recht wohl verstehen. Eingeschränkt
auf die oft so kleinlichen Fragen der innerpolitischen Parteiung, das welt¬
politische Interesse durch überseeische Gründungen gefesselt: so brachte der
moderne Deutsche keinen wirklichen Anteil für die harten Kämpfe auf, die das
eigene Volkstum außerhalb der Reichsgrenze zu seiner Selbstbehauptung durch-
zufechten hatte. Aber was so in erster Linie aus einem Negativen, aus lauer
Gleichgültigkeit gegenüber den Lebensaufgaben des eigenen Volkstumes, zu er¬
wachen scheint, das ist doch andererseits mit den positiven Leistungen der ersten
Reichsjahrzehnte eng verknüpft. Nichts entkräftet wirksamer die Formel unserer
Feinde, Deutschland habe versteckte europäische Expansionspolitik getrieben, als
gerade unsere Haltung zum baltischen Deutschtum. Mit vollem Bewußtsein
faßte die russische Regierung seit den Zeiten Alexanders des Dritten ihre
Russifizierungspolitik in den baltischen Provinzen als eine Antwort auf die
deutsche Reichsgründung auf. Denn was dem Nufsentum von staatlicher
Gesundheit unabtrennbar ist: der schrankenlose Ausdehnungstrieb, das traute
es unbedenklich auch diesem jungen politischen Gebilde zu. Zugleich konnte
Rußland nicht umhin, ein wohlbegründetes geschichtliches Recht Deutschlands


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[0101] Zur baltischen Frage Werte Ehe- und Zeugungsfreudigkeit wieder erwecken zu können. Nur auf die Herausarbeitung des eigentlichen Problems kam es hier an. „Eine wirkliche und gründliche Veredelung des Menschengeschlechtes möchte nicht sowohl. . . - durch Lehre und Bildung, als vielmehr auf dem Wege der Generation zu er. langen sein", hat ja schon Schopenhauer betont. („Die Welt als Wille und Borstellung". Bd. II.) Zur baltischen Frage (Ein Sammelbericht) Dr. Max Hildebert ZZoehm von as Deutschtum der baltischen Provinzen Rußlands war in Deutschland, wie der Krieg es vorfand, nahezu vergessen. Gründe von mancherlei Art sind es, die diese in völkischem Betracht so bedauerliche Tatsache erklären. Es ist heute nicht der Zeitpunkt, Anklagen zu erheben. Auch der gutbaltische Sondersinn wäre da nicht freizusprechen. Auf reichsdeutscher Seite war dafür der deutsche Erb¬ fehler nationaler Würdclosigkeit auch hier im Spiel. Und doch läßt sich die Hal¬ tung des Deutschen Reiches zur baltischen Frage recht wohl verstehen. Eingeschränkt auf die oft so kleinlichen Fragen der innerpolitischen Parteiung, das welt¬ politische Interesse durch überseeische Gründungen gefesselt: so brachte der moderne Deutsche keinen wirklichen Anteil für die harten Kämpfe auf, die das eigene Volkstum außerhalb der Reichsgrenze zu seiner Selbstbehauptung durch- zufechten hatte. Aber was so in erster Linie aus einem Negativen, aus lauer Gleichgültigkeit gegenüber den Lebensaufgaben des eigenen Volkstumes, zu er¬ wachen scheint, das ist doch andererseits mit den positiven Leistungen der ersten Reichsjahrzehnte eng verknüpft. Nichts entkräftet wirksamer die Formel unserer Feinde, Deutschland habe versteckte europäische Expansionspolitik getrieben, als gerade unsere Haltung zum baltischen Deutschtum. Mit vollem Bewußtsein faßte die russische Regierung seit den Zeiten Alexanders des Dritten ihre Russifizierungspolitik in den baltischen Provinzen als eine Antwort auf die deutsche Reichsgründung auf. Denn was dem Nufsentum von staatlicher Gesundheit unabtrennbar ist: der schrankenlose Ausdehnungstrieb, das traute es unbedenklich auch diesem jungen politischen Gebilde zu. Zugleich konnte Rußland nicht umhin, ein wohlbegründetes geschichtliches Recht Deutschlands

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/101>, abgerufen am 11.01.2025.