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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Untersuchungen des holländischen Gelehrten Steinmetz scharf beleuchtet wird,
keineswegs mehr bezweifeln. Die Tatsache, daß die rückläufigen Erscheinungen
in der Bevölkerungsbewegung unserer Zeit -- die Zunahme der Ehelosigkeit
wie die der Ehescheidungen, die für die Fruchtbarkeit der Gatten so nachteilige
erhebliche Heraufsetzung des Heiratsalters; das künstliche Ein- und Zwei-Kinder¬
system sowie die mancherlei sonstigen Grundlagen für den Absturz der Ge¬
burtenhäufigkeit -- in vorherrschendem Maße bei den sogenannten oberen
Gesellschaftskreisen Boden gefunden haben, sollte hier ja auch nur in einem
besonderen Zusammenhange von neuem nachdrücklichst betont werden. Sie ist
im übrigen aber schon längst zur Genüge bekannt, als daß man sie immer
wieder durch die vorhandenen statistischen Belege erst noch erhärten müßte.
Gerade die zunehmende Kenntnis dieser, mit der modernen ökonomischen Ent¬
wicklung wie mit dem geistigen Rationalismus unserer Zeit ja so fest ver¬
knoteten Zusammenhänge; gerade die wachsende Einsicht in die Gefahr, die es
für die Zukunft eines Volkes bedeuten muß. daß bei solcher ungleichmäßigen
Fortpflanzung seiner verschiedenen Typen die Erben der Tüchtigkeit einen immer
geringeren Einfluß auf die Geschicke der Gesamtheit werden ausüben können,
haben ja schließlich das öffentliche Gewissen doch aufzurütteln verstanden. Und
gerade auf diesem Grunde war ja schon vor dem blutigen Mene-Tekel unserer
Tage jener Plan entstanden, der gewissermaßen durch soziale Adoption begabter
Kinder aus unteren Volksschichten die Ebbe verdecken möchte, die die führenden
Gesellschaftskreise durch ihre Sterilität verursacht haben.

Und nun bedenke man den Raubbau, der getrieben werden soll, indem
usu mit scharfem Auge jetzt die bisher übersehenen wertvollen Keime vom
Mutterboden auflesen will, um sie Lebensbevtngungen zuzuführen, die er¬
fahrungsgemäß nur auf Kosten der Vermehrungsfähigkeit eine prächtigere Blute
begünstigen. Auch auf diesem Gebiete möchte man also (um einen heute nahe¬
liegenden Vergleich zu benutzen!) sich mit einem systematischeren Erfassen der
vorhandenen Werte, gewissermaßen mit einer "Bestandsaufnahme" und mit einer
"Rationierung" der überdurchschnittlichen Tüchtigkeit für die Bedürfnisse der
Gegenwart begnügen, ohne zugleich mit weiterschauendem Blick in gleichem
Maße für die so notwendige Steigerung der Produktion Sorge zu tragen.
Kein Zweifel natürlich, daß die Forderungen des Tages jene Maßnahmen
"heischen. Aber ebenso wenig kann übersehen werden, daß der Aufstieg der
Begabten in einem ebenso planmäßig und großzügig geförderten Nachwuchs
der Begabten feine Ergänzung finden muß. wenn für die Zukunft einer nicht
wieder gut zu machenden Erschöpfung unserer Gemeinschaft in ihren wertvollsten
^harakteranlagen vorgebeugt werden soll.

Es versteht sich, daß am allerwenigsten auf diesem Gebiete von einem
"Zwang zur Produktion" die Rede sein kann. Überhaupt soll hier nicht der
Ort sein, die mancherlei bevölkerungspolitischen Maßnahmen zu erörtern, die
vorgeschlagen find und mehr oder weniger Aussicht darauf bieten, die wünschend


Untersuchungen des holländischen Gelehrten Steinmetz scharf beleuchtet wird,
keineswegs mehr bezweifeln. Die Tatsache, daß die rückläufigen Erscheinungen
in der Bevölkerungsbewegung unserer Zeit — die Zunahme der Ehelosigkeit
wie die der Ehescheidungen, die für die Fruchtbarkeit der Gatten so nachteilige
erhebliche Heraufsetzung des Heiratsalters; das künstliche Ein- und Zwei-Kinder¬
system sowie die mancherlei sonstigen Grundlagen für den Absturz der Ge¬
burtenhäufigkeit — in vorherrschendem Maße bei den sogenannten oberen
Gesellschaftskreisen Boden gefunden haben, sollte hier ja auch nur in einem
besonderen Zusammenhange von neuem nachdrücklichst betont werden. Sie ist
im übrigen aber schon längst zur Genüge bekannt, als daß man sie immer
wieder durch die vorhandenen statistischen Belege erst noch erhärten müßte.
Gerade die zunehmende Kenntnis dieser, mit der modernen ökonomischen Ent¬
wicklung wie mit dem geistigen Rationalismus unserer Zeit ja so fest ver¬
knoteten Zusammenhänge; gerade die wachsende Einsicht in die Gefahr, die es
für die Zukunft eines Volkes bedeuten muß. daß bei solcher ungleichmäßigen
Fortpflanzung seiner verschiedenen Typen die Erben der Tüchtigkeit einen immer
geringeren Einfluß auf die Geschicke der Gesamtheit werden ausüben können,
haben ja schließlich das öffentliche Gewissen doch aufzurütteln verstanden. Und
gerade auf diesem Grunde war ja schon vor dem blutigen Mene-Tekel unserer
Tage jener Plan entstanden, der gewissermaßen durch soziale Adoption begabter
Kinder aus unteren Volksschichten die Ebbe verdecken möchte, die die führenden
Gesellschaftskreise durch ihre Sterilität verursacht haben.

Und nun bedenke man den Raubbau, der getrieben werden soll, indem
usu mit scharfem Auge jetzt die bisher übersehenen wertvollen Keime vom
Mutterboden auflesen will, um sie Lebensbevtngungen zuzuführen, die er¬
fahrungsgemäß nur auf Kosten der Vermehrungsfähigkeit eine prächtigere Blute
begünstigen. Auch auf diesem Gebiete möchte man also (um einen heute nahe¬
liegenden Vergleich zu benutzen!) sich mit einem systematischeren Erfassen der
vorhandenen Werte, gewissermaßen mit einer „Bestandsaufnahme" und mit einer
»Rationierung" der überdurchschnittlichen Tüchtigkeit für die Bedürfnisse der
Gegenwart begnügen, ohne zugleich mit weiterschauendem Blick in gleichem
Maße für die so notwendige Steigerung der Produktion Sorge zu tragen.
Kein Zweifel natürlich, daß die Forderungen des Tages jene Maßnahmen
«heischen. Aber ebenso wenig kann übersehen werden, daß der Aufstieg der
Begabten in einem ebenso planmäßig und großzügig geförderten Nachwuchs
der Begabten feine Ergänzung finden muß. wenn für die Zukunft einer nicht
wieder gut zu machenden Erschöpfung unserer Gemeinschaft in ihren wertvollsten
^harakteranlagen vorgebeugt werden soll.

Es versteht sich, daß am allerwenigsten auf diesem Gebiete von einem
»Zwang zur Produktion" die Rede sein kann. Überhaupt soll hier nicht der
Ort sein, die mancherlei bevölkerungspolitischen Maßnahmen zu erörtern, die
vorgeschlagen find und mehr oder weniger Aussicht darauf bieten, die wünschend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/100>, abgerufen am 11.01.2025.