Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.Der j?lan der Nationalisierung der englischen Eisenbahnen Nun aber find die Mißstände so offenbar geworden, daß sich sowohl vom So steht heute die Sache der englischen Eisenbahnen gewissermaßen auf Aber auch dann wird es langer Zeit bedürfen, bis man die tief ein¬ Der j?lan der Nationalisierung der englischen Eisenbahnen Nun aber find die Mißstände so offenbar geworden, daß sich sowohl vom So steht heute die Sache der englischen Eisenbahnen gewissermaßen auf Aber auch dann wird es langer Zeit bedürfen, bis man die tief ein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331508"/> <fw type="header" place="top"> Der j?lan der Nationalisierung der englischen Eisenbahnen</fw><lb/> <p xml:id="ID_284"> Nun aber find die Mißstände so offenbar geworden, daß sich sowohl vom<lb/> radikalen als vom konservativen Flügel aus immer lauter der Ruf nach<lb/> Nationalisierung der englischen Eisenbahnen erhebt, während die liberale Mitte,<lb/> in der das eigentliche Eisenbahninteresse vertreten ist, bisher in dieser für die<lb/> Zukunft Englands überaus wichtigen Frage nicht Farbe bekannt hat. Lloyd<lb/> George wird durch den Zwang der Not getrieben, Maßnahmen zur Entwirrung<lb/> der Verkehrsverhältnisse zu treffen, aber es ist doch sehr die Frage, ob er<lb/> anders als unter dem äußersten Zwange zu einer Nationalisierung, also Über¬<lb/> nahme der gesamten Eisenbahnen Englands in den Staatsbetrieb, schreiten<lb/> wird. So sehr das allerdings in das ganze System zu passen scheint, das<lb/> durch Lloyd George seit Beginn seiner Laufbahn vertreten wurde, so hat doch<lb/> die Geschichte der letzten Jahre nur zu deutlich gezeigt, wie eng auch dieser<lb/> scheinbare Staatssozialist mit dem englischen individualistischen System verknüpft<lb/> ist, das sich mit solchem Eingriff in die Rechte der einzelnen nicht verträgt.<lb/> Der Krieg verlangt aber seine Opfer und drängt Lloyd George von der liberalen<lb/> Mitte immer weiter nach rechts und nach links zu Radikalen und Konservativen,<lb/> die heute die stärksten zur Fortführung des Krieges treibenden Kräfte im eng¬<lb/> lischen Parlamentarismus darstellen, und daß Lloyd George diesen Mahnern<lb/> auch starke Parteiinteressen zu opfern gewillt ist, hat er zu verschiedenen Malen<lb/> bereits gezeigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_285"> So steht heute die Sache der englischen Eisenbahnen gewissermaßen auf<lb/> der Schneide; die Pläne, nach denen die Nationalisierung der Bahnen vor sich<lb/> gehen sollte, find fertiggestellt, die ungeheuren Ersparnisse, die dadurch am<lb/> Volksvermögen gemacht werden könnten, sind ziffernmäßig erhoben und kein<lb/> Geheimnis; von oben und unten wird agitiert und wir können daher eines<lb/> Tages plötzlich mit der Nachricht von einem großen Umschwung im englischen<lb/> Eisenbahnwesen überrascht werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_286"> Aber auch dann wird es langer Zeit bedürfen, bis man die tief ein¬<lb/> gerosteten Mängel des englischen Eisenbahnwesens wird beseitigen können und wir<lb/> können heute schon sagen, daß die eigenartigen Charaktereigenschaften des Eng¬<lb/> länders, die in seinem Eisenbahnwesen zutage treten, uns nicht unwesentliche<lb/> Helfer in unserer gerechten Sache werden. So entsteht oft aus dem Wesen,<lb/> das den Krieg gebar, der Gegenseite ein Helfer und die Ordnung einer höheren<lb/> Gerechtigkeit tut sich damit kund.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0098]
Der j?lan der Nationalisierung der englischen Eisenbahnen
Nun aber find die Mißstände so offenbar geworden, daß sich sowohl vom
radikalen als vom konservativen Flügel aus immer lauter der Ruf nach
Nationalisierung der englischen Eisenbahnen erhebt, während die liberale Mitte,
in der das eigentliche Eisenbahninteresse vertreten ist, bisher in dieser für die
Zukunft Englands überaus wichtigen Frage nicht Farbe bekannt hat. Lloyd
George wird durch den Zwang der Not getrieben, Maßnahmen zur Entwirrung
der Verkehrsverhältnisse zu treffen, aber es ist doch sehr die Frage, ob er
anders als unter dem äußersten Zwange zu einer Nationalisierung, also Über¬
nahme der gesamten Eisenbahnen Englands in den Staatsbetrieb, schreiten
wird. So sehr das allerdings in das ganze System zu passen scheint, das
durch Lloyd George seit Beginn seiner Laufbahn vertreten wurde, so hat doch
die Geschichte der letzten Jahre nur zu deutlich gezeigt, wie eng auch dieser
scheinbare Staatssozialist mit dem englischen individualistischen System verknüpft
ist, das sich mit solchem Eingriff in die Rechte der einzelnen nicht verträgt.
Der Krieg verlangt aber seine Opfer und drängt Lloyd George von der liberalen
Mitte immer weiter nach rechts und nach links zu Radikalen und Konservativen,
die heute die stärksten zur Fortführung des Krieges treibenden Kräfte im eng¬
lischen Parlamentarismus darstellen, und daß Lloyd George diesen Mahnern
auch starke Parteiinteressen zu opfern gewillt ist, hat er zu verschiedenen Malen
bereits gezeigt.
So steht heute die Sache der englischen Eisenbahnen gewissermaßen auf
der Schneide; die Pläne, nach denen die Nationalisierung der Bahnen vor sich
gehen sollte, find fertiggestellt, die ungeheuren Ersparnisse, die dadurch am
Volksvermögen gemacht werden könnten, sind ziffernmäßig erhoben und kein
Geheimnis; von oben und unten wird agitiert und wir können daher eines
Tages plötzlich mit der Nachricht von einem großen Umschwung im englischen
Eisenbahnwesen überrascht werden.
Aber auch dann wird es langer Zeit bedürfen, bis man die tief ein¬
gerosteten Mängel des englischen Eisenbahnwesens wird beseitigen können und wir
können heute schon sagen, daß die eigenartigen Charaktereigenschaften des Eng¬
länders, die in seinem Eisenbahnwesen zutage treten, uns nicht unwesentliche
Helfer in unserer gerechten Sache werden. So entsteht oft aus dem Wesen,
das den Krieg gebar, der Gegenseite ein Helfer und die Ordnung einer höheren
Gerechtigkeit tut sich damit kund.
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