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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Der Plan der Nationalisierung der englischen Eisenbahnen

Wesens hinzugekommen und den Eisenbahngesellschaften vollkommen freie Hand
gelassen worden wäre.

Die englische Überwachungsbehörde, die für alle Transportdinge und damit
auch für das Eisenbahnwesen maßgebend ist, ist der "boarZ traäe", das
Handelsamt mit seinen technischen und kommerziellen Abteilungen. In diesem
Amte, vielleicht der ultrakonservativsten Regierungsbehörde Englands, kommt so
recht der englische kurzsichtige Merkantilismus zum Ausdruck, der in der alleinigen
Ansehung des augenblicklichen größten Gewinnes hübsch alles beim alten läßt
und seine Verfügungen stets nach den engsten Gesichtspunkten der Direktoren
der verschiedenen Transportunternehmungen geregelt hat, die beständig große
Summen für die Wahlfonds beider Parteien zahlten und sich daher in der
Sicherheit wiegen konnten, daß ihnen keine der beiden Parteien, welche immer
zur Regierung gelange, wehe tun würde. An der Spitze dieses "boarä ol
traäs" steht immer ein der jeweiligen Regierungspartei angehöriger Politiker,
dem die festbesoldeten Beamten der Behörden unterstellt sind. Diese Herren
aber kennen das mit Geldinteressen so eng verwobene englische Parteisystem zu
gut, um Neuerungen, die ihnen ihr in diesen Kreisen unleugbar vorhandenes
Fachwissen eingibt, vorzuschlagen und auf ihre Einführung zu dringen.
So wird diese nominelle "Überwachungsbehörde" zur Dienerin der großen
Transportverbände, deren engherziger Gewinnpolitik demnach kein Gegen¬
gewicht geboten wird und die durch gegenseitiges Einverständnis auch den
durch den Wettbewerb gegebenen Antrieb zu zweckmäßigen Neuerungen und
von der Entwicklung geforderten Ausgestaltungen des Verkehrswesens nicht
verspüren, so daß sie sich in geschlossener Stellung dem Publikum gegenüber¬
stellen konnten.

Seit Beginn des Krieges wurde nun über dieses verrottete Eisenbahnsystem
die Konttolle der Regierung gelegt, die das Chaos nur noch vergrößert hat,
da an die Eisenbahnen ungleich größere Anforderungen gestellt wurden, denen
keine einheitliche Organisation nach großen Gesichtspunkten an die Seite trat.
Die Verwirrung wurde immer ärger, führte zu den eingangs skizzierten Zu¬
ständen und dennoch fand ein Asquith, kurze Zeit bevor er den Ministersessel
verließ, den Mut, die Leistungen der englischen Eisenbahnen und insbesondere
die Arbeit jenes "boarä ok kranke" zu rühmen, der einfach zugesehen und nichts
getan hatte, um der allgemeinen Transportverwirrung und dem selbstherrlichen
Regime der einzelnen Eisenbahnverwaltungen zu steuern. Bleiben doch heute
noch die Waggons jeder der vielen einzelnen Gesellschaften sorgsam getrennt
und werden als gesonderte Zubehöre behandelt, statt sie, wie es nach Über¬
nahme der Kontrolle der Eisenbahnen durch den Staat hätte geschehen sollen,
nach einem einheitlichen Gesamtplan zu behandeln. Auch hier scheiterten alle
Organisationsbesttebungen an dem System des konservativen englischen Indi¬
vidualismus, der auf feinem Standpunkt beharrt und im englischen Charakter
seinen stärksten Nährboden findet.


Der Plan der Nationalisierung der englischen Eisenbahnen

Wesens hinzugekommen und den Eisenbahngesellschaften vollkommen freie Hand
gelassen worden wäre.

Die englische Überwachungsbehörde, die für alle Transportdinge und damit
auch für das Eisenbahnwesen maßgebend ist, ist der „boarZ traäe", das
Handelsamt mit seinen technischen und kommerziellen Abteilungen. In diesem
Amte, vielleicht der ultrakonservativsten Regierungsbehörde Englands, kommt so
recht der englische kurzsichtige Merkantilismus zum Ausdruck, der in der alleinigen
Ansehung des augenblicklichen größten Gewinnes hübsch alles beim alten läßt
und seine Verfügungen stets nach den engsten Gesichtspunkten der Direktoren
der verschiedenen Transportunternehmungen geregelt hat, die beständig große
Summen für die Wahlfonds beider Parteien zahlten und sich daher in der
Sicherheit wiegen konnten, daß ihnen keine der beiden Parteien, welche immer
zur Regierung gelange, wehe tun würde. An der Spitze dieses „boarä ol
traäs" steht immer ein der jeweiligen Regierungspartei angehöriger Politiker,
dem die festbesoldeten Beamten der Behörden unterstellt sind. Diese Herren
aber kennen das mit Geldinteressen so eng verwobene englische Parteisystem zu
gut, um Neuerungen, die ihnen ihr in diesen Kreisen unleugbar vorhandenes
Fachwissen eingibt, vorzuschlagen und auf ihre Einführung zu dringen.
So wird diese nominelle „Überwachungsbehörde" zur Dienerin der großen
Transportverbände, deren engherziger Gewinnpolitik demnach kein Gegen¬
gewicht geboten wird und die durch gegenseitiges Einverständnis auch den
durch den Wettbewerb gegebenen Antrieb zu zweckmäßigen Neuerungen und
von der Entwicklung geforderten Ausgestaltungen des Verkehrswesens nicht
verspüren, so daß sie sich in geschlossener Stellung dem Publikum gegenüber¬
stellen konnten.

Seit Beginn des Krieges wurde nun über dieses verrottete Eisenbahnsystem
die Konttolle der Regierung gelegt, die das Chaos nur noch vergrößert hat,
da an die Eisenbahnen ungleich größere Anforderungen gestellt wurden, denen
keine einheitliche Organisation nach großen Gesichtspunkten an die Seite trat.
Die Verwirrung wurde immer ärger, führte zu den eingangs skizzierten Zu¬
ständen und dennoch fand ein Asquith, kurze Zeit bevor er den Ministersessel
verließ, den Mut, die Leistungen der englischen Eisenbahnen und insbesondere
die Arbeit jenes „boarä ok kranke" zu rühmen, der einfach zugesehen und nichts
getan hatte, um der allgemeinen Transportverwirrung und dem selbstherrlichen
Regime der einzelnen Eisenbahnverwaltungen zu steuern. Bleiben doch heute
noch die Waggons jeder der vielen einzelnen Gesellschaften sorgsam getrennt
und werden als gesonderte Zubehöre behandelt, statt sie, wie es nach Über¬
nahme der Kontrolle der Eisenbahnen durch den Staat hätte geschehen sollen,
nach einem einheitlichen Gesamtplan zu behandeln. Auch hier scheiterten alle
Organisationsbesttebungen an dem System des konservativen englischen Indi¬
vidualismus, der auf feinem Standpunkt beharrt und im englischen Charakter
seinen stärksten Nährboden findet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/97>, abgerufen am 25.08.2024.