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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Deutsch-Russischen Handelsverträge

30--40 Millionen Rubel schätzen. Bismark erklärte, die preußische Regierung
gebe die Hoffnung nicht auf. daß die russische Regierung den Handel von den
auf ihm lastenden Fesseln emanzipieren werde; aber das könne nur aus freiem
Entschluß der russischen Regierung geschehen, die preußische müsse sich darauf
beschränken, das Entgegenkommen zu fördern.

Nach Gründung des Deutschen Reiches schwebten auch Verhandlungen über
eine Erleichterung des Grenzverkehrs, sie scheiterten an dem zu starren russischen
Festhalten an der Schutzzollpolitik. Bismark traf das Wesen der Sache, als
er darüber am Juli 1873 im Reichstag erklärte: "Die Kaiserlich Russische Re-
gierung ist auch zum Abschluß eines Zoll- und Handelsvertrages gegenwärtig
geneigt, sobald sich derselbe der Besprechung und Bestimmung über Zollfragen
ganz enthält. Die Zollfragen wünscht sie davon auszuschließen und ihren Tarif
nicht einem Abkommen mit Nachbarn zu unterwerfen."

Über Einzelpunkte des Handels und Verkehrs wurde im Laufe der Jahre
eine Verständigung erzielt, so haben wir die deutsch' russischen Abkommen vom
28. Juli 1873 über Fabrikmarkenschutz, vom 8. Dezember 1874 über Kon¬
sulate, vom 26. Dezember 1881 über Schiffstonnage, vom 30. Juli 1885 über
Aktiengesellschaften.

Die russische Einführung der Zollzahlung in Gold ließ Bismarck Gegen¬
maßregeln ins Auge fassen. Schon im Dezember 1876 schlug er dem Reichstag
"Retorsionszölle für Getreide, Holz und Vieh" als "vorübergehende wirtschaftliche
Kampfmaßregel" vor. Als 1878 mit Rußland abermals vergeblich über Erleich¬
terung der Zollabfertigung verhandelt wurde, erklärte Bismarck wieder Kampf¬
zölle auf die russischen Hauptaussuhrartikel als einzig wirksame Waffe. Die neue
deutsche Zollpolitik erbitterte natürlich in Rußland; es folgten bis 1862 russische
Zollerhöhungen bis zur doppelten Höhe des Tarifs von 1868. in den achtziger
Jahren bis 1891 kamen neue Steigerungen. Diese starre Schutzzollpolitik fand
in Rußland selbst Gegner, die in ihr eine Schädigung des Landes sahen.

Für diese ganze Periode der deutsch-russischen Handelsbeziehungen seien
die Worte des Freiherrn Marschall von Bieberstein am 26 Februar 1894
anläßlich der Beratung des deutsch-russischen Handelsvertrags im Deutschen
Reichstag angeführt: "Fünfmal hat Rußland in den letzten zwanzig Jahren
seinen Zolltarif allgemein erhöht; dazwischen laufen eine Menge Erhöhungen für
deutsche Artikel; dazwischen trat ein die differentielle Behandlung für deutsches Eisen,
deutsche Kohle. Wir haben in den letzten zwanzig Jahren dagegen reklamiert,
wir haben Beschwerde erhoben, wir haben wiederholt mit Rußland erfolglos
verhandelt, mehr als einmal die Einrichtung von Kampfzöllen in Beratung
genommen, und wir haben endlich dreimal, 1879, 1886 und 1887, die Zölle
ans russische Waren erheblich erhöht." Nach dem Abschluß der deutschen Handels¬
verträge von 1891 mit Österreich und Italien folgten Verhandlungen zwischen
Deutschland und Rußland. Letzteres wünschte Anteilnahme an den diesen zwei
Staaten gewährten Zugeständnissen. Dafür beanspruchte Deutschland Herabsetzung


Die Deutsch-Russischen Handelsverträge

30—40 Millionen Rubel schätzen. Bismark erklärte, die preußische Regierung
gebe die Hoffnung nicht auf. daß die russische Regierung den Handel von den
auf ihm lastenden Fesseln emanzipieren werde; aber das könne nur aus freiem
Entschluß der russischen Regierung geschehen, die preußische müsse sich darauf
beschränken, das Entgegenkommen zu fördern.

Nach Gründung des Deutschen Reiches schwebten auch Verhandlungen über
eine Erleichterung des Grenzverkehrs, sie scheiterten an dem zu starren russischen
Festhalten an der Schutzzollpolitik. Bismark traf das Wesen der Sache, als
er darüber am Juli 1873 im Reichstag erklärte: „Die Kaiserlich Russische Re-
gierung ist auch zum Abschluß eines Zoll- und Handelsvertrages gegenwärtig
geneigt, sobald sich derselbe der Besprechung und Bestimmung über Zollfragen
ganz enthält. Die Zollfragen wünscht sie davon auszuschließen und ihren Tarif
nicht einem Abkommen mit Nachbarn zu unterwerfen."

Über Einzelpunkte des Handels und Verkehrs wurde im Laufe der Jahre
eine Verständigung erzielt, so haben wir die deutsch' russischen Abkommen vom
28. Juli 1873 über Fabrikmarkenschutz, vom 8. Dezember 1874 über Kon¬
sulate, vom 26. Dezember 1881 über Schiffstonnage, vom 30. Juli 1885 über
Aktiengesellschaften.

Die russische Einführung der Zollzahlung in Gold ließ Bismarck Gegen¬
maßregeln ins Auge fassen. Schon im Dezember 1876 schlug er dem Reichstag
„Retorsionszölle für Getreide, Holz und Vieh" als „vorübergehende wirtschaftliche
Kampfmaßregel" vor. Als 1878 mit Rußland abermals vergeblich über Erleich¬
terung der Zollabfertigung verhandelt wurde, erklärte Bismarck wieder Kampf¬
zölle auf die russischen Hauptaussuhrartikel als einzig wirksame Waffe. Die neue
deutsche Zollpolitik erbitterte natürlich in Rußland; es folgten bis 1862 russische
Zollerhöhungen bis zur doppelten Höhe des Tarifs von 1868. in den achtziger
Jahren bis 1891 kamen neue Steigerungen. Diese starre Schutzzollpolitik fand
in Rußland selbst Gegner, die in ihr eine Schädigung des Landes sahen.

Für diese ganze Periode der deutsch-russischen Handelsbeziehungen seien
die Worte des Freiherrn Marschall von Bieberstein am 26 Februar 1894
anläßlich der Beratung des deutsch-russischen Handelsvertrags im Deutschen
Reichstag angeführt: „Fünfmal hat Rußland in den letzten zwanzig Jahren
seinen Zolltarif allgemein erhöht; dazwischen laufen eine Menge Erhöhungen für
deutsche Artikel; dazwischen trat ein die differentielle Behandlung für deutsches Eisen,
deutsche Kohle. Wir haben in den letzten zwanzig Jahren dagegen reklamiert,
wir haben Beschwerde erhoben, wir haben wiederholt mit Rußland erfolglos
verhandelt, mehr als einmal die Einrichtung von Kampfzöllen in Beratung
genommen, und wir haben endlich dreimal, 1879, 1886 und 1887, die Zölle
ans russische Waren erheblich erhöht." Nach dem Abschluß der deutschen Handels¬
verträge von 1891 mit Österreich und Italien folgten Verhandlungen zwischen
Deutschland und Rußland. Letzteres wünschte Anteilnahme an den diesen zwei
Staaten gewährten Zugeständnissen. Dafür beanspruchte Deutschland Herabsetzung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/66>, abgerufen am 23.07.2024.