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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Deutsch-Russischen Handelsverträge

Grundsatz, der den Kaufmann auf beiden Seiten vor gewaltsamer Beschlag¬
nahmung seiner Person und Ware sichern sollte, aber nie durchgeführt, sondern
immer verletzt wurde, war der, daß kein Unbeteiligter unter dem Vergehen
oder der Verschuldung eines anderen leiden, daß die eine Klagepartei sich an
die andere halten solle. Ferner sind allgemeine Rechtsgrundsätze in den
Grundverträgen, daß der Streit da enden soll, wo er beginnt, daß der
Fremde wie der eigene Landsmann zu behüten ist. Aus strafrechtlichen Ge¬
biet haben wir Strafandrohungen für Tötung, Körperverletzung, kleinere
Streitigkeiten, Vergewaltigung von Frauen, Diebstahl, Sachbeschädigung. Aus
dem Zivilrecht ist natürlich besonders die Eintreibung der Schulden, die Pfän¬
dung des Schuldners, behandelt, das Vorrecht der fremden Gläubiger vor den
einheimischen festgestellt. Dazu kommen prozessuale Vorschriften über Abhaltung
des Gast- und Handelsgerichts.

Diese allgemeine Regelung der deutsch-russischen Handelsbeziehungen in
den Grundverträgen wird dann in späterer Zeit, im vierzehnten und fünf¬
zehnten Jahrhundert, durch eine große Zahl von Sonderverträgen genauer
bestimmt. Diese Sonderverträge sind also natürlich nicht so umfassend wie
die Grundverträge. Sie knüpfen an einzelne Streitigkeiten an, die sich über
den Handelsbetrieb wie über persönliche Rechte der Kaufleute entspannen,
regeln diese und stellen dabei allerdings auch die allgemeinen Grundsätze für
diesen und jenen Punkt auf. Wir können auch sagen, daß die Grundverträge
mehr theoretischer Natur sind, d. h. daß sie die sich in Zukunft vielleicht er¬
gebenden Fälle besprechen, daß dagegen die Sonderverträge mehr praktischen
Charakter haben, daß sie die tatsächlich vorgekommenen Fälle von Verkehrs¬
störung nach den von alters her feststehenden Grundsätzen zu lösen versuchen.
Die Grundverträge stellen die Regel aus, die in den Sonderverträgen ange¬
wendet wird. Oder, das Gebiet der Ahndung von Straftaten ins Auge ge¬
faßt: der Grundvertrag enthält die jeweilige Strafandrohung, der Sonder¬
vertrag bietet für die schon begangene Tat die Bestrafung.

Solche Grundhandelsverträge haben wir für das Nowgoroder Handels¬
gebiet aus den Jahren 1189. 1259, 1268 bis 1269, für das Dünahaudelsgebiet
aus den Jahren 1229 und 1250. Die letzten Sonderverträge aus dieser
Periode des deutsch-russischen Handels stammen ans dem Jahre 1493 für das
Nowgoroder und aus dem Jahr 1498 für das Dünahandelsgebiet.

Nach der Blütezeit des hansisch-russischen Handels bis Ende des fünf¬
zehnten Jahrhunderts verfiel er im sechszehnten Jahrhundert immer mehr und
mehr; er hatte mit großen Schwierigkeiten, der Konkurrenz durch Engländer,
Holländer, vor allem aber Livländer, zu kämpfen. Aus dieser Zeit haben wir
noch einige Handelsverträge oder Handelsprivilegien, die für die Hanse von
Moskaner Zaren ausgestellt wurden, so z. B. einen Vertrag vom Jahre 1514
mit Wassilij Jwanowitsch dem Dritten, der zu einer Wiedereröffnung des 1494
durch Iwan Wassiliewitsch den Dritten gewaltsam geschlossenen Kontors in


Die Deutsch-Russischen Handelsverträge

Grundsatz, der den Kaufmann auf beiden Seiten vor gewaltsamer Beschlag¬
nahmung seiner Person und Ware sichern sollte, aber nie durchgeführt, sondern
immer verletzt wurde, war der, daß kein Unbeteiligter unter dem Vergehen
oder der Verschuldung eines anderen leiden, daß die eine Klagepartei sich an
die andere halten solle. Ferner sind allgemeine Rechtsgrundsätze in den
Grundverträgen, daß der Streit da enden soll, wo er beginnt, daß der
Fremde wie der eigene Landsmann zu behüten ist. Aus strafrechtlichen Ge¬
biet haben wir Strafandrohungen für Tötung, Körperverletzung, kleinere
Streitigkeiten, Vergewaltigung von Frauen, Diebstahl, Sachbeschädigung. Aus
dem Zivilrecht ist natürlich besonders die Eintreibung der Schulden, die Pfän¬
dung des Schuldners, behandelt, das Vorrecht der fremden Gläubiger vor den
einheimischen festgestellt. Dazu kommen prozessuale Vorschriften über Abhaltung
des Gast- und Handelsgerichts.

Diese allgemeine Regelung der deutsch-russischen Handelsbeziehungen in
den Grundverträgen wird dann in späterer Zeit, im vierzehnten und fünf¬
zehnten Jahrhundert, durch eine große Zahl von Sonderverträgen genauer
bestimmt. Diese Sonderverträge sind also natürlich nicht so umfassend wie
die Grundverträge. Sie knüpfen an einzelne Streitigkeiten an, die sich über
den Handelsbetrieb wie über persönliche Rechte der Kaufleute entspannen,
regeln diese und stellen dabei allerdings auch die allgemeinen Grundsätze für
diesen und jenen Punkt auf. Wir können auch sagen, daß die Grundverträge
mehr theoretischer Natur sind, d. h. daß sie die sich in Zukunft vielleicht er¬
gebenden Fälle besprechen, daß dagegen die Sonderverträge mehr praktischen
Charakter haben, daß sie die tatsächlich vorgekommenen Fälle von Verkehrs¬
störung nach den von alters her feststehenden Grundsätzen zu lösen versuchen.
Die Grundverträge stellen die Regel aus, die in den Sonderverträgen ange¬
wendet wird. Oder, das Gebiet der Ahndung von Straftaten ins Auge ge¬
faßt: der Grundvertrag enthält die jeweilige Strafandrohung, der Sonder¬
vertrag bietet für die schon begangene Tat die Bestrafung.

Solche Grundhandelsverträge haben wir für das Nowgoroder Handels¬
gebiet aus den Jahren 1189. 1259, 1268 bis 1269, für das Dünahaudelsgebiet
aus den Jahren 1229 und 1250. Die letzten Sonderverträge aus dieser
Periode des deutsch-russischen Handels stammen ans dem Jahre 1493 für das
Nowgoroder und aus dem Jahr 1498 für das Dünahandelsgebiet.

Nach der Blütezeit des hansisch-russischen Handels bis Ende des fünf¬
zehnten Jahrhunderts verfiel er im sechszehnten Jahrhundert immer mehr und
mehr; er hatte mit großen Schwierigkeiten, der Konkurrenz durch Engländer,
Holländer, vor allem aber Livländer, zu kämpfen. Aus dieser Zeit haben wir
noch einige Handelsverträge oder Handelsprivilegien, die für die Hanse von
Moskaner Zaren ausgestellt wurden, so z. B. einen Vertrag vom Jahre 1514
mit Wassilij Jwanowitsch dem Dritten, der zu einer Wiedereröffnung des 1494
durch Iwan Wassiliewitsch den Dritten gewaltsam geschlossenen Kontors in


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[0056] Die Deutsch-Russischen Handelsverträge Grundsatz, der den Kaufmann auf beiden Seiten vor gewaltsamer Beschlag¬ nahmung seiner Person und Ware sichern sollte, aber nie durchgeführt, sondern immer verletzt wurde, war der, daß kein Unbeteiligter unter dem Vergehen oder der Verschuldung eines anderen leiden, daß die eine Klagepartei sich an die andere halten solle. Ferner sind allgemeine Rechtsgrundsätze in den Grundverträgen, daß der Streit da enden soll, wo er beginnt, daß der Fremde wie der eigene Landsmann zu behüten ist. Aus strafrechtlichen Ge¬ biet haben wir Strafandrohungen für Tötung, Körperverletzung, kleinere Streitigkeiten, Vergewaltigung von Frauen, Diebstahl, Sachbeschädigung. Aus dem Zivilrecht ist natürlich besonders die Eintreibung der Schulden, die Pfän¬ dung des Schuldners, behandelt, das Vorrecht der fremden Gläubiger vor den einheimischen festgestellt. Dazu kommen prozessuale Vorschriften über Abhaltung des Gast- und Handelsgerichts. Diese allgemeine Regelung der deutsch-russischen Handelsbeziehungen in den Grundverträgen wird dann in späterer Zeit, im vierzehnten und fünf¬ zehnten Jahrhundert, durch eine große Zahl von Sonderverträgen genauer bestimmt. Diese Sonderverträge sind also natürlich nicht so umfassend wie die Grundverträge. Sie knüpfen an einzelne Streitigkeiten an, die sich über den Handelsbetrieb wie über persönliche Rechte der Kaufleute entspannen, regeln diese und stellen dabei allerdings auch die allgemeinen Grundsätze für diesen und jenen Punkt auf. Wir können auch sagen, daß die Grundverträge mehr theoretischer Natur sind, d. h. daß sie die sich in Zukunft vielleicht er¬ gebenden Fälle besprechen, daß dagegen die Sonderverträge mehr praktischen Charakter haben, daß sie die tatsächlich vorgekommenen Fälle von Verkehrs¬ störung nach den von alters her feststehenden Grundsätzen zu lösen versuchen. Die Grundverträge stellen die Regel aus, die in den Sonderverträgen ange¬ wendet wird. Oder, das Gebiet der Ahndung von Straftaten ins Auge ge¬ faßt: der Grundvertrag enthält die jeweilige Strafandrohung, der Sonder¬ vertrag bietet für die schon begangene Tat die Bestrafung. Solche Grundhandelsverträge haben wir für das Nowgoroder Handels¬ gebiet aus den Jahren 1189. 1259, 1268 bis 1269, für das Dünahaudelsgebiet aus den Jahren 1229 und 1250. Die letzten Sonderverträge aus dieser Periode des deutsch-russischen Handels stammen ans dem Jahre 1493 für das Nowgoroder und aus dem Jahr 1498 für das Dünahandelsgebiet. Nach der Blütezeit des hansisch-russischen Handels bis Ende des fünf¬ zehnten Jahrhunderts verfiel er im sechszehnten Jahrhundert immer mehr und mehr; er hatte mit großen Schwierigkeiten, der Konkurrenz durch Engländer, Holländer, vor allem aber Livländer, zu kämpfen. Aus dieser Zeit haben wir noch einige Handelsverträge oder Handelsprivilegien, die für die Hanse von Moskaner Zaren ausgestellt wurden, so z. B. einen Vertrag vom Jahre 1514 mit Wassilij Jwanowitsch dem Dritten, der zu einer Wiedereröffnung des 1494 durch Iwan Wassiliewitsch den Dritten gewaltsam geschlossenen Kontors in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/56>, abgerufen am 24.07.2024.