Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Noch einmal: Ethik und Politik

Fürsteneitelkeit und Nietzscheschem Übermenschentum. Wenigstens in dem Staat,
in dem wir die unverdiente Ehre haben zu leben.

Spricht man die Politik von jeder ethischen Kritik frei, so stößt man fie
geradezu ins Unmoralische und muß dann konsequent jede Abscheulichkeit gut¬
heißen, wenn sie nur angeblich zum Besten eines Staates geschieht. Denn dann
gibt es keine Schranke mehr, weder was die Ziele noch die Mittel betrifft.
Nein, man darf nie ermatten beide ethisch zu beurteilen; wer das nicht tut,
versündigt sich geradezu am Staat. Man soll festhalten z. B. den Unterschied
von gerechtem Verteidigungs- und ruchlosen Eroberungskrieg; nur muß man
dabei die Vernunft walten lassen und z/B. nicht kindisch "Anfang" nennen, wenn
der erste Schuß sällt. Wer jahrelang bis in die Schulen hinein zum Kriege
hetzt (Frankreich) oder heimlich und heimtückisch mobilisiert (Rußland) oder dem
anderen entwürdigende Zumutungen macht (England), der ist offensiv. Gegen
Englands Tyrannei ist jeder Krieg ein Defensivkrieg noch auf viele Jahre hinaus.
Und Eroberungskrieg heißt ein solcher, der zum Zweck einer Tyranei begonnen
wurde oder um ein Land zu vernichten, wie es unsere Feinde wollten. Wenn sich
aber im Laufe eines großen Krieges Eroberungen als nötig herausstellen, weil fie die
einzig mögliche Sicherung des eigenen Staates bedeuten, so hat das seine sitt¬
liche Rechtfertigung. Das ist von Fall zu Fall zu entscheiden; eine Lebens¬
garantie allen kleinen, verfaulten, unfähigen Staaten für alle Zeiten zuzubilligen,
ist töricht und nicht im Interesse höherer sozialer Gesichtspunkte. Die wert¬
vollere Kultur muß sich ausbreiten und auch einmal eine äußere Selbständigkeit
ohne inneren Wert vernichten dürfen (Serbien); auch im Privatleben verdient
das Morsche und Unfähige keine Erhaltung, sei es Person oder Geschäft. Das
folgt gerade daraus, daß Staatsmacht nicht Selbstzweck, also auch kein ab¬
soluter Wert in jedem Falle ist, den ein Erhaltungsgesetz auf ewig zu be¬
wahren zwänge. So kann ein gerechter Verteidigungskrieg dennoch zu Er¬
oberungen führen; der sich vergrößernde Staat hat dann die ethische Aufgabe,
seine neue Macht in Kulturleistungen für die eroberten Länder zu bewähren.
Sich aber als Ziel eine für das Staatswohl unnötige Eroberung zu setzen (die
Russen und Konstantinopel), lediglich, weil man das fremde Gut gern haben
möchte, ist unmoralisch. Das ist ein echter "Eroberungskrieg".

Soviel von den Zielen, die meist am schwersten zu bestimmen sind, weil
die Regierungen sie verschleiern und selten so offen äußern, wie in dem so¬
genannten Testament Peter des Großen. Noch viel weniger wird man auf
die Kritik der Mittel von Staatslenkung und Kriegführung verzichten wollen;
und es gibt keinen anderen als den ethischen Maßstab dafür. Alles sogenannte
"Völkerrecht" ist vertragsmäßige Ethik, denn zum Recht fehlt ihm die er¬
zwingende Macht. Daß es oft in diesem Kriege verletzt wurde, darf nur ein
Ansporn sein, um so eifriger an dem Neubau zu arbeiten; wir Deutsche
können das um so leichter, als wir wenig Tadel zu fürchten haben, sobald
sich erst der Nebel von Lüge und Verleumdung gelichtet hat. Von welchem


Noch einmal: Ethik und Politik

Fürsteneitelkeit und Nietzscheschem Übermenschentum. Wenigstens in dem Staat,
in dem wir die unverdiente Ehre haben zu leben.

Spricht man die Politik von jeder ethischen Kritik frei, so stößt man fie
geradezu ins Unmoralische und muß dann konsequent jede Abscheulichkeit gut¬
heißen, wenn sie nur angeblich zum Besten eines Staates geschieht. Denn dann
gibt es keine Schranke mehr, weder was die Ziele noch die Mittel betrifft.
Nein, man darf nie ermatten beide ethisch zu beurteilen; wer das nicht tut,
versündigt sich geradezu am Staat. Man soll festhalten z. B. den Unterschied
von gerechtem Verteidigungs- und ruchlosen Eroberungskrieg; nur muß man
dabei die Vernunft walten lassen und z/B. nicht kindisch „Anfang" nennen, wenn
der erste Schuß sällt. Wer jahrelang bis in die Schulen hinein zum Kriege
hetzt (Frankreich) oder heimlich und heimtückisch mobilisiert (Rußland) oder dem
anderen entwürdigende Zumutungen macht (England), der ist offensiv. Gegen
Englands Tyrannei ist jeder Krieg ein Defensivkrieg noch auf viele Jahre hinaus.
Und Eroberungskrieg heißt ein solcher, der zum Zweck einer Tyranei begonnen
wurde oder um ein Land zu vernichten, wie es unsere Feinde wollten. Wenn sich
aber im Laufe eines großen Krieges Eroberungen als nötig herausstellen, weil fie die
einzig mögliche Sicherung des eigenen Staates bedeuten, so hat das seine sitt¬
liche Rechtfertigung. Das ist von Fall zu Fall zu entscheiden; eine Lebens¬
garantie allen kleinen, verfaulten, unfähigen Staaten für alle Zeiten zuzubilligen,
ist töricht und nicht im Interesse höherer sozialer Gesichtspunkte. Die wert¬
vollere Kultur muß sich ausbreiten und auch einmal eine äußere Selbständigkeit
ohne inneren Wert vernichten dürfen (Serbien); auch im Privatleben verdient
das Morsche und Unfähige keine Erhaltung, sei es Person oder Geschäft. Das
folgt gerade daraus, daß Staatsmacht nicht Selbstzweck, also auch kein ab¬
soluter Wert in jedem Falle ist, den ein Erhaltungsgesetz auf ewig zu be¬
wahren zwänge. So kann ein gerechter Verteidigungskrieg dennoch zu Er¬
oberungen führen; der sich vergrößernde Staat hat dann die ethische Aufgabe,
seine neue Macht in Kulturleistungen für die eroberten Länder zu bewähren.
Sich aber als Ziel eine für das Staatswohl unnötige Eroberung zu setzen (die
Russen und Konstantinopel), lediglich, weil man das fremde Gut gern haben
möchte, ist unmoralisch. Das ist ein echter „Eroberungskrieg".

Soviel von den Zielen, die meist am schwersten zu bestimmen sind, weil
die Regierungen sie verschleiern und selten so offen äußern, wie in dem so¬
genannten Testament Peter des Großen. Noch viel weniger wird man auf
die Kritik der Mittel von Staatslenkung und Kriegführung verzichten wollen;
und es gibt keinen anderen als den ethischen Maßstab dafür. Alles sogenannte
„Völkerrecht" ist vertragsmäßige Ethik, denn zum Recht fehlt ihm die er¬
zwingende Macht. Daß es oft in diesem Kriege verletzt wurde, darf nur ein
Ansporn sein, um so eifriger an dem Neubau zu arbeiten; wir Deutsche
können das um so leichter, als wir wenig Tadel zu fürchten haben, sobald
sich erst der Nebel von Lüge und Verleumdung gelichtet hat. Von welchem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331459"/>
          <fw type="header" place="top"> Noch einmal: Ethik und Politik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_115" prev="#ID_114"> Fürsteneitelkeit und Nietzscheschem Übermenschentum. Wenigstens in dem Staat,<lb/>
in dem wir die unverdiente Ehre haben zu leben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_116"> Spricht man die Politik von jeder ethischen Kritik frei, so stößt man fie<lb/>
geradezu ins Unmoralische und muß dann konsequent jede Abscheulichkeit gut¬<lb/>
heißen, wenn sie nur angeblich zum Besten eines Staates geschieht. Denn dann<lb/>
gibt es keine Schranke mehr, weder was die Ziele noch die Mittel betrifft.<lb/>
Nein, man darf nie ermatten beide ethisch zu beurteilen; wer das nicht tut,<lb/>
versündigt sich geradezu am Staat. Man soll festhalten z. B. den Unterschied<lb/>
von gerechtem Verteidigungs- und ruchlosen Eroberungskrieg; nur muß man<lb/>
dabei die Vernunft walten lassen und z/B. nicht kindisch &#x201E;Anfang" nennen, wenn<lb/>
der erste Schuß sällt. Wer jahrelang bis in die Schulen hinein zum Kriege<lb/>
hetzt (Frankreich) oder heimlich und heimtückisch mobilisiert (Rußland) oder dem<lb/>
anderen entwürdigende Zumutungen macht (England), der ist offensiv. Gegen<lb/>
Englands Tyrannei ist jeder Krieg ein Defensivkrieg noch auf viele Jahre hinaus.<lb/>
Und Eroberungskrieg heißt ein solcher, der zum Zweck einer Tyranei begonnen<lb/>
wurde oder um ein Land zu vernichten, wie es unsere Feinde wollten. Wenn sich<lb/>
aber im Laufe eines großen Krieges Eroberungen als nötig herausstellen, weil fie die<lb/>
einzig mögliche Sicherung des eigenen Staates bedeuten, so hat das seine sitt¬<lb/>
liche Rechtfertigung. Das ist von Fall zu Fall zu entscheiden; eine Lebens¬<lb/>
garantie allen kleinen, verfaulten, unfähigen Staaten für alle Zeiten zuzubilligen,<lb/>
ist töricht und nicht im Interesse höherer sozialer Gesichtspunkte. Die wert¬<lb/>
vollere Kultur muß sich ausbreiten und auch einmal eine äußere Selbständigkeit<lb/>
ohne inneren Wert vernichten dürfen (Serbien); auch im Privatleben verdient<lb/>
das Morsche und Unfähige keine Erhaltung, sei es Person oder Geschäft. Das<lb/>
folgt gerade daraus, daß Staatsmacht nicht Selbstzweck, also auch kein ab¬<lb/>
soluter Wert in jedem Falle ist, den ein Erhaltungsgesetz auf ewig zu be¬<lb/>
wahren zwänge. So kann ein gerechter Verteidigungskrieg dennoch zu Er¬<lb/>
oberungen führen; der sich vergrößernde Staat hat dann die ethische Aufgabe,<lb/>
seine neue Macht in Kulturleistungen für die eroberten Länder zu bewähren.<lb/>
Sich aber als Ziel eine für das Staatswohl unnötige Eroberung zu setzen (die<lb/>
Russen und Konstantinopel), lediglich, weil man das fremde Gut gern haben<lb/>
möchte, ist unmoralisch. Das ist ein echter &#x201E;Eroberungskrieg".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_117" next="#ID_118"> Soviel von den Zielen, die meist am schwersten zu bestimmen sind, weil<lb/>
die Regierungen sie verschleiern und selten so offen äußern, wie in dem so¬<lb/>
genannten Testament Peter des Großen. Noch viel weniger wird man auf<lb/>
die Kritik der Mittel von Staatslenkung und Kriegführung verzichten wollen;<lb/>
und es gibt keinen anderen als den ethischen Maßstab dafür. Alles sogenannte<lb/>
&#x201E;Völkerrecht" ist vertragsmäßige Ethik, denn zum Recht fehlt ihm die er¬<lb/>
zwingende Macht. Daß es oft in diesem Kriege verletzt wurde, darf nur ein<lb/>
Ansporn sein, um so eifriger an dem Neubau zu arbeiten; wir Deutsche<lb/>
können das um so leichter, als wir wenig Tadel zu fürchten haben, sobald<lb/>
sich erst der Nebel von Lüge und Verleumdung gelichtet hat. Von welchem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Noch einmal: Ethik und Politik Fürsteneitelkeit und Nietzscheschem Übermenschentum. Wenigstens in dem Staat, in dem wir die unverdiente Ehre haben zu leben. Spricht man die Politik von jeder ethischen Kritik frei, so stößt man fie geradezu ins Unmoralische und muß dann konsequent jede Abscheulichkeit gut¬ heißen, wenn sie nur angeblich zum Besten eines Staates geschieht. Denn dann gibt es keine Schranke mehr, weder was die Ziele noch die Mittel betrifft. Nein, man darf nie ermatten beide ethisch zu beurteilen; wer das nicht tut, versündigt sich geradezu am Staat. Man soll festhalten z. B. den Unterschied von gerechtem Verteidigungs- und ruchlosen Eroberungskrieg; nur muß man dabei die Vernunft walten lassen und z/B. nicht kindisch „Anfang" nennen, wenn der erste Schuß sällt. Wer jahrelang bis in die Schulen hinein zum Kriege hetzt (Frankreich) oder heimlich und heimtückisch mobilisiert (Rußland) oder dem anderen entwürdigende Zumutungen macht (England), der ist offensiv. Gegen Englands Tyrannei ist jeder Krieg ein Defensivkrieg noch auf viele Jahre hinaus. Und Eroberungskrieg heißt ein solcher, der zum Zweck einer Tyranei begonnen wurde oder um ein Land zu vernichten, wie es unsere Feinde wollten. Wenn sich aber im Laufe eines großen Krieges Eroberungen als nötig herausstellen, weil fie die einzig mögliche Sicherung des eigenen Staates bedeuten, so hat das seine sitt¬ liche Rechtfertigung. Das ist von Fall zu Fall zu entscheiden; eine Lebens¬ garantie allen kleinen, verfaulten, unfähigen Staaten für alle Zeiten zuzubilligen, ist töricht und nicht im Interesse höherer sozialer Gesichtspunkte. Die wert¬ vollere Kultur muß sich ausbreiten und auch einmal eine äußere Selbständigkeit ohne inneren Wert vernichten dürfen (Serbien); auch im Privatleben verdient das Morsche und Unfähige keine Erhaltung, sei es Person oder Geschäft. Das folgt gerade daraus, daß Staatsmacht nicht Selbstzweck, also auch kein ab¬ soluter Wert in jedem Falle ist, den ein Erhaltungsgesetz auf ewig zu be¬ wahren zwänge. So kann ein gerechter Verteidigungskrieg dennoch zu Er¬ oberungen führen; der sich vergrößernde Staat hat dann die ethische Aufgabe, seine neue Macht in Kulturleistungen für die eroberten Länder zu bewähren. Sich aber als Ziel eine für das Staatswohl unnötige Eroberung zu setzen (die Russen und Konstantinopel), lediglich, weil man das fremde Gut gern haben möchte, ist unmoralisch. Das ist ein echter „Eroberungskrieg". Soviel von den Zielen, die meist am schwersten zu bestimmen sind, weil die Regierungen sie verschleiern und selten so offen äußern, wie in dem so¬ genannten Testament Peter des Großen. Noch viel weniger wird man auf die Kritik der Mittel von Staatslenkung und Kriegführung verzichten wollen; und es gibt keinen anderen als den ethischen Maßstab dafür. Alles sogenannte „Völkerrecht" ist vertragsmäßige Ethik, denn zum Recht fehlt ihm die er¬ zwingende Macht. Daß es oft in diesem Kriege verletzt wurde, darf nur ein Ansporn sein, um so eifriger an dem Neubau zu arbeiten; wir Deutsche können das um so leichter, als wir wenig Tadel zu fürchten haben, sobald sich erst der Nebel von Lüge und Verleumdung gelichtet hat. Von welchem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/49
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/49>, abgerufen am 23.07.2024.