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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Noch einmal: Lthik und Politik

brauchbarer sein. Des Russen Tolstoj Lehren, der das Unerfüllbare ver¬
langte, sind ein vorzügliches warnendes Beispiel; was er wohl getan hätte,
wenn ein fremdes Volk auf seinem geliebten Landgut gehaust hätte, wie die
Russen in Ostpreußen? Er hat es nicht erlebt, aber seine Theorie hat schon
in seinem eigenen Leben Schiffbruch gelitten. Jedenfalls, wenn die Politiker
nicht einfach mit der Bergpredigt durchkommen, so beweist das gar nichts;
zwischen ihr und Machiavellischem sacro LAoi8mo gibt es viele Zwischenstufen.

Denn auf der anderen Seite hat ja doch der Staatsmann nicht nur für
die "Selbstbehauptung" und Macht des Staates zu sorgen; das ist die gleiche
Übertreibung, die dazu dient, den Gegensatz von Politik und Ethik zu über¬
spannen. Macht gehört zum Wesen des Staates, ist auch eine Vorbedingung
für sein Kulturleben, und nicht "Freiheit", die statt ihrer immer genannt wird.
Freiheit ohne Macht, speziell Militärmacht, nützt dem Staat gar nichts; das
sehen wir heute an Norwegen, Portugal, Italien usw., deren Freiheit nur eine
Vasallenrolle unter Englands Fuchtel bedeutet. Aber Macht ist der Ethik nicht
diametral entgegengesetzt. Macht ist nicht ohne weiteres Recht, aber Macht schafft
Recht -- auch im inneren staatlichen Leben -- und erhält es als solches. Was
unterscheidet Recht von (philosophischer oder religiöser) Ethik? Die Macht des
Staates, die hinter jenem steht, nichts anderes; die die Durchführung der Rechts¬
normen erzwingt und das ethische Minimum sichert, das im Recht als Ausdruck
gemeinsamen ethischen Willens lebt. Konflikte mit privaten Überzeugungen gibt
es hier so gut wie in der Politik. Ein Richter muß ein Gesetz anwenden,
das er sür verfehlt hält; ein Geschworner kann die Institution als solche mi߬
billigen und muß sich doch beteiligen; wieviel Staatshandlungen mögen einzelnen
widerstreben, die ihnen gegenüber immer machtlos sind. Aber nur Privatethik
ohne Recht und Staatsmacht wäre doch tausendmal schlimmer!

Aber für unseren Kulturstaat ist Macht gar nicht Selbstzweck, sondern
Mittel zu höheren Aufgaben und darum eben ethisch wertvoll; nur in mächtigem
Staate kann sich reiches Kulturleben entfalten, dem im letzten Grunde doch die
errungene Macht dienstbar ist. Steht aber gar erst der Feind im Land, dann
ist es mit aller "Pflege der Persönlichkeit", den Humanitätsidealen und der
Persönlichkeitsethik aus, die z. B. Baumgarten wieder, wie die Leute des acht¬
zehnten Jahrhunderts, ohne und gegen den Staat betreiben will. Das hat
sogar der Abgott Goethe merken müssen, als die Franzosen in Weimar ein¬
drangen; und dabei wurde er auf Napoleons Befehl noch geschont. Wenn doch
endlich einmal die realen Tatsachen diese Fiktion zerstörten, als seien alle diese
schönen geistigen Güter und der ganze Persönlichkeitskult vom Staat und seinem
Schutz unabhängig zu denken; wiederum hätte ich gewünscht, einen Vertreter
solcher Anschauungen gerade in Jnsterburg weilen zu lassen, als die Russen dort
herrschten -- er hätte nach dem Militär geschrien, wie alle anderen. Nicht für
die Politiker erwirbt und erhält der Staat seine Macht, sondern für alle feine
Bürger; sie dient ihrem Wohl und nicht der Befriedigung machiavellistischer


Noch einmal: Lthik und Politik

brauchbarer sein. Des Russen Tolstoj Lehren, der das Unerfüllbare ver¬
langte, sind ein vorzügliches warnendes Beispiel; was er wohl getan hätte,
wenn ein fremdes Volk auf seinem geliebten Landgut gehaust hätte, wie die
Russen in Ostpreußen? Er hat es nicht erlebt, aber seine Theorie hat schon
in seinem eigenen Leben Schiffbruch gelitten. Jedenfalls, wenn die Politiker
nicht einfach mit der Bergpredigt durchkommen, so beweist das gar nichts;
zwischen ihr und Machiavellischem sacro LAoi8mo gibt es viele Zwischenstufen.

Denn auf der anderen Seite hat ja doch der Staatsmann nicht nur für
die „Selbstbehauptung" und Macht des Staates zu sorgen; das ist die gleiche
Übertreibung, die dazu dient, den Gegensatz von Politik und Ethik zu über¬
spannen. Macht gehört zum Wesen des Staates, ist auch eine Vorbedingung
für sein Kulturleben, und nicht „Freiheit", die statt ihrer immer genannt wird.
Freiheit ohne Macht, speziell Militärmacht, nützt dem Staat gar nichts; das
sehen wir heute an Norwegen, Portugal, Italien usw., deren Freiheit nur eine
Vasallenrolle unter Englands Fuchtel bedeutet. Aber Macht ist der Ethik nicht
diametral entgegengesetzt. Macht ist nicht ohne weiteres Recht, aber Macht schafft
Recht — auch im inneren staatlichen Leben — und erhält es als solches. Was
unterscheidet Recht von (philosophischer oder religiöser) Ethik? Die Macht des
Staates, die hinter jenem steht, nichts anderes; die die Durchführung der Rechts¬
normen erzwingt und das ethische Minimum sichert, das im Recht als Ausdruck
gemeinsamen ethischen Willens lebt. Konflikte mit privaten Überzeugungen gibt
es hier so gut wie in der Politik. Ein Richter muß ein Gesetz anwenden,
das er sür verfehlt hält; ein Geschworner kann die Institution als solche mi߬
billigen und muß sich doch beteiligen; wieviel Staatshandlungen mögen einzelnen
widerstreben, die ihnen gegenüber immer machtlos sind. Aber nur Privatethik
ohne Recht und Staatsmacht wäre doch tausendmal schlimmer!

Aber für unseren Kulturstaat ist Macht gar nicht Selbstzweck, sondern
Mittel zu höheren Aufgaben und darum eben ethisch wertvoll; nur in mächtigem
Staate kann sich reiches Kulturleben entfalten, dem im letzten Grunde doch die
errungene Macht dienstbar ist. Steht aber gar erst der Feind im Land, dann
ist es mit aller „Pflege der Persönlichkeit", den Humanitätsidealen und der
Persönlichkeitsethik aus, die z. B. Baumgarten wieder, wie die Leute des acht¬
zehnten Jahrhunderts, ohne und gegen den Staat betreiben will. Das hat
sogar der Abgott Goethe merken müssen, als die Franzosen in Weimar ein¬
drangen; und dabei wurde er auf Napoleons Befehl noch geschont. Wenn doch
endlich einmal die realen Tatsachen diese Fiktion zerstörten, als seien alle diese
schönen geistigen Güter und der ganze Persönlichkeitskult vom Staat und seinem
Schutz unabhängig zu denken; wiederum hätte ich gewünscht, einen Vertreter
solcher Anschauungen gerade in Jnsterburg weilen zu lassen, als die Russen dort
herrschten — er hätte nach dem Militär geschrien, wie alle anderen. Nicht für
die Politiker erwirbt und erhält der Staat seine Macht, sondern für alle feine
Bürger; sie dient ihrem Wohl und nicht der Befriedigung machiavellistischer


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[0048] Noch einmal: Lthik und Politik brauchbarer sein. Des Russen Tolstoj Lehren, der das Unerfüllbare ver¬ langte, sind ein vorzügliches warnendes Beispiel; was er wohl getan hätte, wenn ein fremdes Volk auf seinem geliebten Landgut gehaust hätte, wie die Russen in Ostpreußen? Er hat es nicht erlebt, aber seine Theorie hat schon in seinem eigenen Leben Schiffbruch gelitten. Jedenfalls, wenn die Politiker nicht einfach mit der Bergpredigt durchkommen, so beweist das gar nichts; zwischen ihr und Machiavellischem sacro LAoi8mo gibt es viele Zwischenstufen. Denn auf der anderen Seite hat ja doch der Staatsmann nicht nur für die „Selbstbehauptung" und Macht des Staates zu sorgen; das ist die gleiche Übertreibung, die dazu dient, den Gegensatz von Politik und Ethik zu über¬ spannen. Macht gehört zum Wesen des Staates, ist auch eine Vorbedingung für sein Kulturleben, und nicht „Freiheit", die statt ihrer immer genannt wird. Freiheit ohne Macht, speziell Militärmacht, nützt dem Staat gar nichts; das sehen wir heute an Norwegen, Portugal, Italien usw., deren Freiheit nur eine Vasallenrolle unter Englands Fuchtel bedeutet. Aber Macht ist der Ethik nicht diametral entgegengesetzt. Macht ist nicht ohne weiteres Recht, aber Macht schafft Recht — auch im inneren staatlichen Leben — und erhält es als solches. Was unterscheidet Recht von (philosophischer oder religiöser) Ethik? Die Macht des Staates, die hinter jenem steht, nichts anderes; die die Durchführung der Rechts¬ normen erzwingt und das ethische Minimum sichert, das im Recht als Ausdruck gemeinsamen ethischen Willens lebt. Konflikte mit privaten Überzeugungen gibt es hier so gut wie in der Politik. Ein Richter muß ein Gesetz anwenden, das er sür verfehlt hält; ein Geschworner kann die Institution als solche mi߬ billigen und muß sich doch beteiligen; wieviel Staatshandlungen mögen einzelnen widerstreben, die ihnen gegenüber immer machtlos sind. Aber nur Privatethik ohne Recht und Staatsmacht wäre doch tausendmal schlimmer! Aber für unseren Kulturstaat ist Macht gar nicht Selbstzweck, sondern Mittel zu höheren Aufgaben und darum eben ethisch wertvoll; nur in mächtigem Staate kann sich reiches Kulturleben entfalten, dem im letzten Grunde doch die errungene Macht dienstbar ist. Steht aber gar erst der Feind im Land, dann ist es mit aller „Pflege der Persönlichkeit", den Humanitätsidealen und der Persönlichkeitsethik aus, die z. B. Baumgarten wieder, wie die Leute des acht¬ zehnten Jahrhunderts, ohne und gegen den Staat betreiben will. Das hat sogar der Abgott Goethe merken müssen, als die Franzosen in Weimar ein¬ drangen; und dabei wurde er auf Napoleons Befehl noch geschont. Wenn doch endlich einmal die realen Tatsachen diese Fiktion zerstörten, als seien alle diese schönen geistigen Güter und der ganze Persönlichkeitskult vom Staat und seinem Schutz unabhängig zu denken; wiederum hätte ich gewünscht, einen Vertreter solcher Anschauungen gerade in Jnsterburg weilen zu lassen, als die Russen dort herrschten — er hätte nach dem Militär geschrien, wie alle anderen. Nicht für die Politiker erwirbt und erhält der Staat seine Macht, sondern für alle feine Bürger; sie dient ihrem Wohl und nicht der Befriedigung machiavellistischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/48>, abgerufen am 23.07.2024.