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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Antiqua oder Fraktur?

bei Schriftzeichen zu "erklären" und zu "verstehen"? Alles, was wir durch
sie erklärt erhalten und verstehen sollen, liegt in dem Worte: lesen. Und für
dieses Lesen spielen die isolierten Buchstaben-Bestandteile für sich gar keine,
die Gesamtform des Lesefeldes die entscheidende Rolle. Und mit bezug auf
die letztere steht es durch zahllose praktische Versuche fest, daß die Fraktur der
Antiqua hierin zweifellos überlegen ist. Man darf natürlich nicht -- wie dies
Soennecken tut -- beim Vergleich für die Fraktur ganz unverständige und in
der Praxis niemals vorkommende Lesebedingungen schaffen, indem man nur
Majuskeln nimmt. "Die Großbuchstaben der Fraktur find als Schrift allein
nicht zu gebrauchen." Jawohl! Aber das ist ja auch gar nicht nötig! Man
nehme einen Großbuchstaben nur als Anfangsbuchstaben -- an welcher Stelle
er das charakteristische Gesamtbild des Lesefeldes viel mehr heraushebt, als
dies die Majuskel am Anfang eines Avtiquaroortes tut -- und nehme im
übrigen kleine Buchstaben. Man drücke also nicht -- was ja auch kein Ver¬
ständiger tut: SCHRIFTART sondern: Schriftart. Dann kann die optische
Gesamtform unseres Wortes den Vergleich mit: ScNKIi^I'^K'I' wohl aus¬
halten. Ja, mehr als das! Wir können nunmehr den Spieß umdrehen und
Lesefelder aufweisen, bei denen die Antiqua im Vergleich zur Fraktur zweifel¬
los den kürzeren zieht, ^entrumsturm ^ Zentrumsturm oder Zentrumsturm?
VerserilZunA ^ Versendung oder Versendung? Die ^asse 6e8 ^Xrei8Leier8
die Maße oder Masse des Kreischens oder Kreischens?? Auch die V/aIäe8-
8een und (Zi-o888kaat sind den Waldesseen und Großstadt entschieden unter¬
legen (nach G. Ruprecht, Göttingen). Man kann diesen Mängeln nur durch
Einführung neuer Typen in die Antiqua, wie: i", 18 L, also durch eine An¬
leihe bei der verhaßten und "unverständlichen" Fraktur abhelfen.

Mit den Soenneckenschen Argumenten ist also die Fraktur nicht abzutun
und die Wünschbarkeit der allgemeinen und ausschließlichen Einführung der
Antiqua in Deutschland nicht zu beweisen. Dagegen will ich mich zum Schluß
versöhnlich zeigen! Opportunitätsgründe mögen für eine Vereinheitlichung des
Schriftsystems in der gesamten Kulturwelt sprechen. Bulgarien hat diesen
Gründen nachgegeben, und Japan wird es in nächster Zeit tun. Ich kann
mir denken, daß man auch in Deutschland diesen Gesichtspunkt als so bedeut¬
sam ansehen mag. daß ihm gegenüber an sich berechtigte psychologische Be¬
denken zurücktreten müssen. Dann würde ich mich gegen die Einführung der
Antiqua-Druckschrift auch in Deutschland nicht weiter sträuben. Aber mein
Zugeständnis würde dann gewiß nicht deshalb erfolgen, weil ich mich durch
die historischen und sogenannten nationalen Gründe Soermeckens habe über¬
zeugen lassen, und auch gewiß nicht wegen der Nachteile der Fraktur, sondern
trotz deren Vorzügen.




Antiqua oder Fraktur?

bei Schriftzeichen zu „erklären" und zu „verstehen"? Alles, was wir durch
sie erklärt erhalten und verstehen sollen, liegt in dem Worte: lesen. Und für
dieses Lesen spielen die isolierten Buchstaben-Bestandteile für sich gar keine,
die Gesamtform des Lesefeldes die entscheidende Rolle. Und mit bezug auf
die letztere steht es durch zahllose praktische Versuche fest, daß die Fraktur der
Antiqua hierin zweifellos überlegen ist. Man darf natürlich nicht — wie dies
Soennecken tut — beim Vergleich für die Fraktur ganz unverständige und in
der Praxis niemals vorkommende Lesebedingungen schaffen, indem man nur
Majuskeln nimmt. „Die Großbuchstaben der Fraktur find als Schrift allein
nicht zu gebrauchen." Jawohl! Aber das ist ja auch gar nicht nötig! Man
nehme einen Großbuchstaben nur als Anfangsbuchstaben — an welcher Stelle
er das charakteristische Gesamtbild des Lesefeldes viel mehr heraushebt, als
dies die Majuskel am Anfang eines Avtiquaroortes tut — und nehme im
übrigen kleine Buchstaben. Man drücke also nicht — was ja auch kein Ver¬
ständiger tut: SCHRIFTART sondern: Schriftart. Dann kann die optische
Gesamtform unseres Wortes den Vergleich mit: ScNKIi^I'^K'I' wohl aus¬
halten. Ja, mehr als das! Wir können nunmehr den Spieß umdrehen und
Lesefelder aufweisen, bei denen die Antiqua im Vergleich zur Fraktur zweifel¬
los den kürzeren zieht, ^entrumsturm ^ Zentrumsturm oder Zentrumsturm?
VerserilZunA ^ Versendung oder Versendung? Die ^asse 6e8 ^Xrei8Leier8
die Maße oder Masse des Kreischens oder Kreischens?? Auch die V/aIäe8-
8een und (Zi-o888kaat sind den Waldesseen und Großstadt entschieden unter¬
legen (nach G. Ruprecht, Göttingen). Man kann diesen Mängeln nur durch
Einführung neuer Typen in die Antiqua, wie: i", 18 L, also durch eine An¬
leihe bei der verhaßten und „unverständlichen" Fraktur abhelfen.

Mit den Soenneckenschen Argumenten ist also die Fraktur nicht abzutun
und die Wünschbarkeit der allgemeinen und ausschließlichen Einführung der
Antiqua in Deutschland nicht zu beweisen. Dagegen will ich mich zum Schluß
versöhnlich zeigen! Opportunitätsgründe mögen für eine Vereinheitlichung des
Schriftsystems in der gesamten Kulturwelt sprechen. Bulgarien hat diesen
Gründen nachgegeben, und Japan wird es in nächster Zeit tun. Ich kann
mir denken, daß man auch in Deutschland diesen Gesichtspunkt als so bedeut¬
sam ansehen mag. daß ihm gegenüber an sich berechtigte psychologische Be¬
denken zurücktreten müssen. Dann würde ich mich gegen die Einführung der
Antiqua-Druckschrift auch in Deutschland nicht weiter sträuben. Aber mein
Zugeständnis würde dann gewiß nicht deshalb erfolgen, weil ich mich durch
die historischen und sogenannten nationalen Gründe Soermeckens habe über¬
zeugen lassen, und auch gewiß nicht wegen der Nachteile der Fraktur, sondern
trotz deren Vorzügen.




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[0422] Antiqua oder Fraktur? bei Schriftzeichen zu „erklären" und zu „verstehen"? Alles, was wir durch sie erklärt erhalten und verstehen sollen, liegt in dem Worte: lesen. Und für dieses Lesen spielen die isolierten Buchstaben-Bestandteile für sich gar keine, die Gesamtform des Lesefeldes die entscheidende Rolle. Und mit bezug auf die letztere steht es durch zahllose praktische Versuche fest, daß die Fraktur der Antiqua hierin zweifellos überlegen ist. Man darf natürlich nicht — wie dies Soennecken tut — beim Vergleich für die Fraktur ganz unverständige und in der Praxis niemals vorkommende Lesebedingungen schaffen, indem man nur Majuskeln nimmt. „Die Großbuchstaben der Fraktur find als Schrift allein nicht zu gebrauchen." Jawohl! Aber das ist ja auch gar nicht nötig! Man nehme einen Großbuchstaben nur als Anfangsbuchstaben — an welcher Stelle er das charakteristische Gesamtbild des Lesefeldes viel mehr heraushebt, als dies die Majuskel am Anfang eines Avtiquaroortes tut — und nehme im übrigen kleine Buchstaben. Man drücke also nicht — was ja auch kein Ver¬ ständiger tut: SCHRIFTART sondern: Schriftart. Dann kann die optische Gesamtform unseres Wortes den Vergleich mit: ScNKIi^I'^K'I' wohl aus¬ halten. Ja, mehr als das! Wir können nunmehr den Spieß umdrehen und Lesefelder aufweisen, bei denen die Antiqua im Vergleich zur Fraktur zweifel¬ los den kürzeren zieht, ^entrumsturm ^ Zentrumsturm oder Zentrumsturm? VerserilZunA ^ Versendung oder Versendung? Die ^asse 6e8 ^Xrei8Leier8 die Maße oder Masse des Kreischens oder Kreischens?? Auch die V/aIäe8- 8een und (Zi-o888kaat sind den Waldesseen und Großstadt entschieden unter¬ legen (nach G. Ruprecht, Göttingen). Man kann diesen Mängeln nur durch Einführung neuer Typen in die Antiqua, wie: i", 18 L, also durch eine An¬ leihe bei der verhaßten und „unverständlichen" Fraktur abhelfen. Mit den Soenneckenschen Argumenten ist also die Fraktur nicht abzutun und die Wünschbarkeit der allgemeinen und ausschließlichen Einführung der Antiqua in Deutschland nicht zu beweisen. Dagegen will ich mich zum Schluß versöhnlich zeigen! Opportunitätsgründe mögen für eine Vereinheitlichung des Schriftsystems in der gesamten Kulturwelt sprechen. Bulgarien hat diesen Gründen nachgegeben, und Japan wird es in nächster Zeit tun. Ich kann mir denken, daß man auch in Deutschland diesen Gesichtspunkt als so bedeut¬ sam ansehen mag. daß ihm gegenüber an sich berechtigte psychologische Be¬ denken zurücktreten müssen. Dann würde ich mich gegen die Einführung der Antiqua-Druckschrift auch in Deutschland nicht weiter sträuben. Aber mein Zugeständnis würde dann gewiß nicht deshalb erfolgen, weil ich mich durch die historischen und sogenannten nationalen Gründe Soermeckens habe über¬ zeugen lassen, und auch gewiß nicht wegen der Nachteile der Fraktur, sondern trotz deren Vorzügen.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/422>, abgerufen am 23.07.2024.