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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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verems. Er schlug vor, die italienischen Gebiete Österreichs aus dem Zoll¬
verbande der Monarchie herauszunehmen und sie diesem italienischen Zollverein
anzuschließen. Der gesamtdeutsche und der gesamtitalienische Zollverein sollten
in ein freundliches handelspolitisches Verhältnis treten. Dieses entspreche nur
der Natur der Dinge, denn während die italienische Produktion mit der süo-
franzöfischen, spanischen, algerischen, griechischen im Verhältnis der Konkurrenz
stehe, könnten die deutsche und italienische Produktion einander nur ergänzen.

Die Geschichte entschied auch in Italien nicht für Brucks Pläne. Aber
die politischen Erkenntnisse, von denen er ausgegangen war, sind keineswegs
Lügen gestraft worden, hat doch Bismarck sehr bald durch Abschluß des Drei¬
bundes ihnen Rechnung getragen. Man machte jetzt also den Versuch, nachdem
Italien jeder deutschen Herrschaftssphäre entglitten war, durch Bündnisvertrag
den Zusammenhang Mitteleuropas mit seiner südlichen Halbinsel. aufrecht zu
erhalten, der vorher ein Jahrtausend lang durch Herrschaft gesichert gewesen
war. Dieser Versuch ist mißlungen. Nicht, daß Brück etwa sich geirrt hätte
über das natürliche wirtschaftliche Ergänzungsverhältnis der Dreibundländer.
Italien erfährt jetzt selber in seiner kläglichen Abhängigkeit von der englischen
Kohle und der englischen Schiffahrt, wohin es gelangt, wenn es sich feindlich
gegen Deutschland und Österreich-Ungarn abschließt. In Italien haben die
geistigen Antipathien über die materiellen Sympathien gesiegt -- übrigens ein
prächtiger Tatsachenbeweis gegen jede einseitig ökonomische Geschichtsauffassung.
Das Königreich Italien steht seiner geistigen Kultur nach ganz unter dem Ein¬
flüsse des westeuropäischen Liberalismus und Nationalismus, es ist ein zweites
Belgien in dieser Hinsicht (vgl. meinen Aufsatz in den Grenzboten 1916, Ur. 61).
Die italienische Seele ist wider uns vergiftet. Was viele Tausende deutscher
Romfahrer nicht zu sehen vermochten oder nicht gestehen wollten, daß das
neue Italien trotz aller Dreibundpolitik Haß und Widerwillen, Nachsucht und
Verfolgungsgeist wider seine deutschen Weggenossen gezüchtet hat, das ist vor
unsern Augen Ereignis geworden. Die Geistessaat des von Frankreich ver¬
blendeten Garibaldianismus ist blutig in die Halme geschossen. Die italienische
Seele ist uns genommen. Wir werden die traurigen Folgen nur bessern, wenn
wir ihr die verderbliche Liebe zur Jakobinerkultur austreiben.

Was werden wir tun können? Eine neue Herrschaft Österreichs über Italien
ist unmöglich, doch mag die Monarchie ihre Grenze soweit vorschieben, daß in
Zukunft die lombardisch-venetianische Ebene unter den k. k. Kanonen liegt. Fast
noch wesentlicher aber dürfte es sein, von innen heraus Italiens politische
Kultur zu erneuern. Die wirtschaftlichen Vorteile des Anschlusses an Mittel¬
europa müssen den Italienern wiederum möglichst zu Bewußtsein gebracht
werden. Darum wollen wir uns auch vor der nationalistischen Torheit hüten,
den Reiseverkehr nach Italien künstlich einzuschränken, wie entrüstete Patrioten
bei uns fordern. Solche moralische Unkosten verteuern die Politik. Auch
werden wir in Italien für eine geeignetere Presse sorgen müssen, als wir sie


verems. Er schlug vor, die italienischen Gebiete Österreichs aus dem Zoll¬
verbande der Monarchie herauszunehmen und sie diesem italienischen Zollverein
anzuschließen. Der gesamtdeutsche und der gesamtitalienische Zollverein sollten
in ein freundliches handelspolitisches Verhältnis treten. Dieses entspreche nur
der Natur der Dinge, denn während die italienische Produktion mit der süo-
franzöfischen, spanischen, algerischen, griechischen im Verhältnis der Konkurrenz
stehe, könnten die deutsche und italienische Produktion einander nur ergänzen.

Die Geschichte entschied auch in Italien nicht für Brucks Pläne. Aber
die politischen Erkenntnisse, von denen er ausgegangen war, sind keineswegs
Lügen gestraft worden, hat doch Bismarck sehr bald durch Abschluß des Drei¬
bundes ihnen Rechnung getragen. Man machte jetzt also den Versuch, nachdem
Italien jeder deutschen Herrschaftssphäre entglitten war, durch Bündnisvertrag
den Zusammenhang Mitteleuropas mit seiner südlichen Halbinsel. aufrecht zu
erhalten, der vorher ein Jahrtausend lang durch Herrschaft gesichert gewesen
war. Dieser Versuch ist mißlungen. Nicht, daß Brück etwa sich geirrt hätte
über das natürliche wirtschaftliche Ergänzungsverhältnis der Dreibundländer.
Italien erfährt jetzt selber in seiner kläglichen Abhängigkeit von der englischen
Kohle und der englischen Schiffahrt, wohin es gelangt, wenn es sich feindlich
gegen Deutschland und Österreich-Ungarn abschließt. In Italien haben die
geistigen Antipathien über die materiellen Sympathien gesiegt — übrigens ein
prächtiger Tatsachenbeweis gegen jede einseitig ökonomische Geschichtsauffassung.
Das Königreich Italien steht seiner geistigen Kultur nach ganz unter dem Ein¬
flüsse des westeuropäischen Liberalismus und Nationalismus, es ist ein zweites
Belgien in dieser Hinsicht (vgl. meinen Aufsatz in den Grenzboten 1916, Ur. 61).
Die italienische Seele ist wider uns vergiftet. Was viele Tausende deutscher
Romfahrer nicht zu sehen vermochten oder nicht gestehen wollten, daß das
neue Italien trotz aller Dreibundpolitik Haß und Widerwillen, Nachsucht und
Verfolgungsgeist wider seine deutschen Weggenossen gezüchtet hat, das ist vor
unsern Augen Ereignis geworden. Die Geistessaat des von Frankreich ver¬
blendeten Garibaldianismus ist blutig in die Halme geschossen. Die italienische
Seele ist uns genommen. Wir werden die traurigen Folgen nur bessern, wenn
wir ihr die verderbliche Liebe zur Jakobinerkultur austreiben.

Was werden wir tun können? Eine neue Herrschaft Österreichs über Italien
ist unmöglich, doch mag die Monarchie ihre Grenze soweit vorschieben, daß in
Zukunft die lombardisch-venetianische Ebene unter den k. k. Kanonen liegt. Fast
noch wesentlicher aber dürfte es sein, von innen heraus Italiens politische
Kultur zu erneuern. Die wirtschaftlichen Vorteile des Anschlusses an Mittel¬
europa müssen den Italienern wiederum möglichst zu Bewußtsein gebracht
werden. Darum wollen wir uns auch vor der nationalistischen Torheit hüten,
den Reiseverkehr nach Italien künstlich einzuschränken, wie entrüstete Patrioten
bei uns fordern. Solche moralische Unkosten verteuern die Politik. Auch
werden wir in Italien für eine geeignetere Presse sorgen müssen, als wir sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/390>, abgerufen am 25.08.2024.