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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Dos Vermächtnis Brucks

ltalien mit seinen Mittelmeerhäfen", schrieb er (vgl. Charmatz S. 274 ff.)
"bildet eine natürliche Ergänzung, ein südliches Vorland von Deutschland, wie
an diesem umgekehrt Italien seine militärische und wirtschaftliche Ergänzung,
sein großes nördliches Hinterland findet". Frankreich und am Pontus sogar
Rußland erreichen selbst das südliche Meer; Mitteleuropa braucht den Durch¬
gang durch Oberitalien, um diesen Anschluß zu finden. Deswegen greift das
Verlangen des uns heute feindlichen Italien nach Trieft nicht mehr und
weniger als unsere Lebensinteressen an. Die historische Anziehungskraft, die
Italien immer auf die germanischen Stämme ausgeübt hat. war keineswegs
romantischer Natur, sondern der Trieb nach gesteigertem Dasein, nach dem
Reichtum und dem quellenden Leben des Südens führte die Schwärme der
Völkerwanderung und die Römerheere der deutschen Könige über die Alpen.
Mit Unrecht haben manche Geschichtsschreiber, deren Blick allzu eng an der
Heimat haftete, die italienische Politik der Ottonen, der Salier und Staufer
für Vergeudung der deutschen Nationalkraft gehalten. Barbarossa war kein
Romantiker und sah trotz seiner Vernachlässigung der ostdeutschen Kolonisation
weiter als die sächsischen Partikularisten unter Heinrich dem Löwen. Soviel
erreichte die staufische Politik doch, daß die lombardischen Städte und die
großen italienischen Häfen wirtschaftspolitisch an Deutschland angeschlossen
blieben. Öfters bestand die Gefahr, daß Italien ganz dem französischen Ein¬
flüsse verfiel. Man braucht nur die Namen Karls von Anjou. Franz des
Ersten und Napoleons zu nennen. Es gelang aber stets, die Gefahr zu be¬
schwören. Das Haus Habsburg trat in die Fußtapfen der Staufer und hat
mit feiner italienischen Politik auch der deutschen Nation manchen wichtigen
Dienst geleistet. Nur die Habsburgische Herrschaft in Italien hat es ver¬
hindert, daß andere für uns gefährliche Fremdherrschaften dort aufkamen.
Deutschland hatte nach Brucks richtiger Erkenntnis nur die Wahl, "entweder
selbst in Italien zu herrschen oder dort eine fremde Macht herrschen und auch
die italienischen Kräfte gegen Deutschlands Sicherheit und Wohlfahrt verwendet
zu sehen". Wir haben es ja nunmehr erfahren, wohin es geführt hat, daß
Deutschland die nationale Einheit und Unabhängigkeit Italiens zulassen mußte.
Ist die wirtschaftliche Gefahr feines Anschlusses an unsere Gegner heute nicht
mehr fo schwerwiegend wie früher, so ist doch die militärische Bedrohung
unseres Daseins wesentlich größer: neben Frankreich im Westen. Rußland im
Osten stürmt Italien als dritte europäische Landmacht vom Süden her auf
uns ein.

Als Brück sein politisches Testament schrieb, hatte Österreich eben die
Lombardei verloren. Aber Venedig besaß es noch, in Rom regierte noch der
Papst, in Neapel die Dynastie der Bourbonen. Noch war Italien keine Ein¬
heit, noch bestand die Möglichkeit seiner Beherrschung. Brück plante damals
ebenso wie die Ausdehnung des deutschen Zollvereins auf den gesamten deutschen
Bund, so auch einen italienischen Bund auf der Basis eines italienilchen Zoll-


Dos Vermächtnis Brucks

ltalien mit seinen Mittelmeerhäfen", schrieb er (vgl. Charmatz S. 274 ff.)
„bildet eine natürliche Ergänzung, ein südliches Vorland von Deutschland, wie
an diesem umgekehrt Italien seine militärische und wirtschaftliche Ergänzung,
sein großes nördliches Hinterland findet". Frankreich und am Pontus sogar
Rußland erreichen selbst das südliche Meer; Mitteleuropa braucht den Durch¬
gang durch Oberitalien, um diesen Anschluß zu finden. Deswegen greift das
Verlangen des uns heute feindlichen Italien nach Trieft nicht mehr und
weniger als unsere Lebensinteressen an. Die historische Anziehungskraft, die
Italien immer auf die germanischen Stämme ausgeübt hat. war keineswegs
romantischer Natur, sondern der Trieb nach gesteigertem Dasein, nach dem
Reichtum und dem quellenden Leben des Südens führte die Schwärme der
Völkerwanderung und die Römerheere der deutschen Könige über die Alpen.
Mit Unrecht haben manche Geschichtsschreiber, deren Blick allzu eng an der
Heimat haftete, die italienische Politik der Ottonen, der Salier und Staufer
für Vergeudung der deutschen Nationalkraft gehalten. Barbarossa war kein
Romantiker und sah trotz seiner Vernachlässigung der ostdeutschen Kolonisation
weiter als die sächsischen Partikularisten unter Heinrich dem Löwen. Soviel
erreichte die staufische Politik doch, daß die lombardischen Städte und die
großen italienischen Häfen wirtschaftspolitisch an Deutschland angeschlossen
blieben. Öfters bestand die Gefahr, daß Italien ganz dem französischen Ein¬
flüsse verfiel. Man braucht nur die Namen Karls von Anjou. Franz des
Ersten und Napoleons zu nennen. Es gelang aber stets, die Gefahr zu be¬
schwören. Das Haus Habsburg trat in die Fußtapfen der Staufer und hat
mit feiner italienischen Politik auch der deutschen Nation manchen wichtigen
Dienst geleistet. Nur die Habsburgische Herrschaft in Italien hat es ver¬
hindert, daß andere für uns gefährliche Fremdherrschaften dort aufkamen.
Deutschland hatte nach Brucks richtiger Erkenntnis nur die Wahl, „entweder
selbst in Italien zu herrschen oder dort eine fremde Macht herrschen und auch
die italienischen Kräfte gegen Deutschlands Sicherheit und Wohlfahrt verwendet
zu sehen". Wir haben es ja nunmehr erfahren, wohin es geführt hat, daß
Deutschland die nationale Einheit und Unabhängigkeit Italiens zulassen mußte.
Ist die wirtschaftliche Gefahr feines Anschlusses an unsere Gegner heute nicht
mehr fo schwerwiegend wie früher, so ist doch die militärische Bedrohung
unseres Daseins wesentlich größer: neben Frankreich im Westen. Rußland im
Osten stürmt Italien als dritte europäische Landmacht vom Süden her auf
uns ein.

Als Brück sein politisches Testament schrieb, hatte Österreich eben die
Lombardei verloren. Aber Venedig besaß es noch, in Rom regierte noch der
Papst, in Neapel die Dynastie der Bourbonen. Noch war Italien keine Ein¬
heit, noch bestand die Möglichkeit seiner Beherrschung. Brück plante damals
ebenso wie die Ausdehnung des deutschen Zollvereins auf den gesamten deutschen
Bund, so auch einen italienischen Bund auf der Basis eines italienilchen Zoll-


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[0389] Dos Vermächtnis Brucks ltalien mit seinen Mittelmeerhäfen", schrieb er (vgl. Charmatz S. 274 ff.) „bildet eine natürliche Ergänzung, ein südliches Vorland von Deutschland, wie an diesem umgekehrt Italien seine militärische und wirtschaftliche Ergänzung, sein großes nördliches Hinterland findet". Frankreich und am Pontus sogar Rußland erreichen selbst das südliche Meer; Mitteleuropa braucht den Durch¬ gang durch Oberitalien, um diesen Anschluß zu finden. Deswegen greift das Verlangen des uns heute feindlichen Italien nach Trieft nicht mehr und weniger als unsere Lebensinteressen an. Die historische Anziehungskraft, die Italien immer auf die germanischen Stämme ausgeübt hat. war keineswegs romantischer Natur, sondern der Trieb nach gesteigertem Dasein, nach dem Reichtum und dem quellenden Leben des Südens führte die Schwärme der Völkerwanderung und die Römerheere der deutschen Könige über die Alpen. Mit Unrecht haben manche Geschichtsschreiber, deren Blick allzu eng an der Heimat haftete, die italienische Politik der Ottonen, der Salier und Staufer für Vergeudung der deutschen Nationalkraft gehalten. Barbarossa war kein Romantiker und sah trotz seiner Vernachlässigung der ostdeutschen Kolonisation weiter als die sächsischen Partikularisten unter Heinrich dem Löwen. Soviel erreichte die staufische Politik doch, daß die lombardischen Städte und die großen italienischen Häfen wirtschaftspolitisch an Deutschland angeschlossen blieben. Öfters bestand die Gefahr, daß Italien ganz dem französischen Ein¬ flüsse verfiel. Man braucht nur die Namen Karls von Anjou. Franz des Ersten und Napoleons zu nennen. Es gelang aber stets, die Gefahr zu be¬ schwören. Das Haus Habsburg trat in die Fußtapfen der Staufer und hat mit feiner italienischen Politik auch der deutschen Nation manchen wichtigen Dienst geleistet. Nur die Habsburgische Herrschaft in Italien hat es ver¬ hindert, daß andere für uns gefährliche Fremdherrschaften dort aufkamen. Deutschland hatte nach Brucks richtiger Erkenntnis nur die Wahl, „entweder selbst in Italien zu herrschen oder dort eine fremde Macht herrschen und auch die italienischen Kräfte gegen Deutschlands Sicherheit und Wohlfahrt verwendet zu sehen". Wir haben es ja nunmehr erfahren, wohin es geführt hat, daß Deutschland die nationale Einheit und Unabhängigkeit Italiens zulassen mußte. Ist die wirtschaftliche Gefahr feines Anschlusses an unsere Gegner heute nicht mehr fo schwerwiegend wie früher, so ist doch die militärische Bedrohung unseres Daseins wesentlich größer: neben Frankreich im Westen. Rußland im Osten stürmt Italien als dritte europäische Landmacht vom Süden her auf uns ein. Als Brück sein politisches Testament schrieb, hatte Österreich eben die Lombardei verloren. Aber Venedig besaß es noch, in Rom regierte noch der Papst, in Neapel die Dynastie der Bourbonen. Noch war Italien keine Ein¬ heit, noch bestand die Möglichkeit seiner Beherrschung. Brück plante damals ebenso wie die Ausdehnung des deutschen Zollvereins auf den gesamten deutschen Bund, so auch einen italienischen Bund auf der Basis eines italienilchen Zoll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/389>, abgerufen am 25.08.2024.