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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Das Vermächtnis Brucks

vermöchte. Auch den Engländern, die ja schon glaubten, daß die ganze Welt
mit jedem Tage "reißend schnell englisch" würde, werden, wie der Heldenkampf
unseres Volkes gegen ihre Übermacht beweist, die Bäume nicht in den Himmel
wachsen. Wohl aber besteht Aussicht, daß mehrere Völker mit der Zeit immer
vollkommener in einen bestimmten Kulturkomplex hineinwachsen, verwandte
Bildungs- und sich ergänzende Wirtschaftsinteressen bekommen und dann über
die nationalen Staatsformen hinaus und unbeschadet ihrer Eigenheit, auch ge¬
meinsam politische Formen finden werden. Österreich-Ungarn ist seiner kulturellen
Struktur nach, und nach Maßgabe seiner Entwicklungsmöglichkeiten ein Deutsch¬
land außerdeutscher Völker, es ist eben Deutschlands anderes Geficht. Es er¬
zieht seine Nationalitäten nach und nach zur Reife, und wird als Frucht seiner
schweren Kämpfe und Versuche schließlich ihrer gemeinsamen Kulturarbeit einen
politischen Rahmen schaffen.

Niemand kann heute schon prophezeien, wie dieser einmal aussehen wird,
ob ein polnischer oder serbischer oder rumänischer Staat als dritter, vierter und
fünfter im Bunde dem heutigen Zis- und Transleithanien gleichberechtigt an
die Seite treten könnte, ob das Prinzip der Personalunion die heutige Real¬
union zwischen Österreich und Ungarn ablösen wird. Niemand weiß, mit
welchem Ergebnis der Weltkrieg abschließen wird, und welcher Art die Selbst-
ständigkeit Galiziens sein soll, die der alte Kaiser Franz Josef noch im Monat
eines Todes in Aussicht gestellt hat. Dringend wünschenswert gerade auch im
Sinne Bruckscher Gedanken und im Sinne der Bestrebungen aller gut österreichischen
Patrioten ist es, daß das engere Zisleithanien ohne Galizien und Dalmatien,
die ehemaligen deutschen Bundesländer, auch künftig eine staatliche Einheit und
von maßgeblichem Gewicht innerhalb der Gesamtmonarchie bleiben. Hier bilden
die Deutschen die kompakte Mehrheit, und von hier aus kann für alle Zeiten
dafür gesorgt bleiben, daß das deutsche Volksinteresse in der Gesamtmonarchie
die nötige Berücksichtigung erfährt. Die übrigen Nationen dieses engeren Zis¬
leithanien: Tschechen, Slowenen und Italiener, sind diejenigen, die ihrer kulturellen
Zusammensetzung nach am meisten den Deutschen angenähert sind, mit denen
man also auch am leichtesten Formen selbst engeren politischen Zusammenlebens
finden wird. Man darf sich durch die Hitzegrade der nationalen Eifersucht in
Prag oder Laibach in dieser Einsicht nicht beirren lassen. Wer weiß, ob alles
nach dem Kriege so schlimm wiederkehrt, und wenn auch: es wird vorübergehen!

Innerhalb und außerhalb der schwarzgelben Grenzpfähle war Kleinmut
über Österreichs Zukunft oft an der Tagesordnung. Aber der Glaube, den
Brück in besonders trüber Zeit, nämlich unmittelbar nach der italienischen
Niederlage von 1859, bewährte, hat doch immer wieder recht behalten. Und
war das historische Schicksal seinen Plänen auch nicht günstig, seine Grund¬
gedanken sind doch nicht alt geworden, und die Fackel seines Geistes vermag
auch in die Zukunft Österreichs, die wir Zeitgenossen des Weltkriegs erwarten
dürfen, wegweisend zu strahlen.


Das Vermächtnis Brucks

vermöchte. Auch den Engländern, die ja schon glaubten, daß die ganze Welt
mit jedem Tage „reißend schnell englisch" würde, werden, wie der Heldenkampf
unseres Volkes gegen ihre Übermacht beweist, die Bäume nicht in den Himmel
wachsen. Wohl aber besteht Aussicht, daß mehrere Völker mit der Zeit immer
vollkommener in einen bestimmten Kulturkomplex hineinwachsen, verwandte
Bildungs- und sich ergänzende Wirtschaftsinteressen bekommen und dann über
die nationalen Staatsformen hinaus und unbeschadet ihrer Eigenheit, auch ge¬
meinsam politische Formen finden werden. Österreich-Ungarn ist seiner kulturellen
Struktur nach, und nach Maßgabe seiner Entwicklungsmöglichkeiten ein Deutsch¬
land außerdeutscher Völker, es ist eben Deutschlands anderes Geficht. Es er¬
zieht seine Nationalitäten nach und nach zur Reife, und wird als Frucht seiner
schweren Kämpfe und Versuche schließlich ihrer gemeinsamen Kulturarbeit einen
politischen Rahmen schaffen.

Niemand kann heute schon prophezeien, wie dieser einmal aussehen wird,
ob ein polnischer oder serbischer oder rumänischer Staat als dritter, vierter und
fünfter im Bunde dem heutigen Zis- und Transleithanien gleichberechtigt an
die Seite treten könnte, ob das Prinzip der Personalunion die heutige Real¬
union zwischen Österreich und Ungarn ablösen wird. Niemand weiß, mit
welchem Ergebnis der Weltkrieg abschließen wird, und welcher Art die Selbst-
ständigkeit Galiziens sein soll, die der alte Kaiser Franz Josef noch im Monat
eines Todes in Aussicht gestellt hat. Dringend wünschenswert gerade auch im
Sinne Bruckscher Gedanken und im Sinne der Bestrebungen aller gut österreichischen
Patrioten ist es, daß das engere Zisleithanien ohne Galizien und Dalmatien,
die ehemaligen deutschen Bundesländer, auch künftig eine staatliche Einheit und
von maßgeblichem Gewicht innerhalb der Gesamtmonarchie bleiben. Hier bilden
die Deutschen die kompakte Mehrheit, und von hier aus kann für alle Zeiten
dafür gesorgt bleiben, daß das deutsche Volksinteresse in der Gesamtmonarchie
die nötige Berücksichtigung erfährt. Die übrigen Nationen dieses engeren Zis¬
leithanien: Tschechen, Slowenen und Italiener, sind diejenigen, die ihrer kulturellen
Zusammensetzung nach am meisten den Deutschen angenähert sind, mit denen
man also auch am leichtesten Formen selbst engeren politischen Zusammenlebens
finden wird. Man darf sich durch die Hitzegrade der nationalen Eifersucht in
Prag oder Laibach in dieser Einsicht nicht beirren lassen. Wer weiß, ob alles
nach dem Kriege so schlimm wiederkehrt, und wenn auch: es wird vorübergehen!

Innerhalb und außerhalb der schwarzgelben Grenzpfähle war Kleinmut
über Österreichs Zukunft oft an der Tagesordnung. Aber der Glaube, den
Brück in besonders trüber Zeit, nämlich unmittelbar nach der italienischen
Niederlage von 1859, bewährte, hat doch immer wieder recht behalten. Und
war das historische Schicksal seinen Plänen auch nicht günstig, seine Grund¬
gedanken sind doch nicht alt geworden, und die Fackel seines Geistes vermag
auch in die Zukunft Österreichs, die wir Zeitgenossen des Weltkriegs erwarten
dürfen, wegweisend zu strahlen.


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[0382] Das Vermächtnis Brucks vermöchte. Auch den Engländern, die ja schon glaubten, daß die ganze Welt mit jedem Tage „reißend schnell englisch" würde, werden, wie der Heldenkampf unseres Volkes gegen ihre Übermacht beweist, die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Wohl aber besteht Aussicht, daß mehrere Völker mit der Zeit immer vollkommener in einen bestimmten Kulturkomplex hineinwachsen, verwandte Bildungs- und sich ergänzende Wirtschaftsinteressen bekommen und dann über die nationalen Staatsformen hinaus und unbeschadet ihrer Eigenheit, auch ge¬ meinsam politische Formen finden werden. Österreich-Ungarn ist seiner kulturellen Struktur nach, und nach Maßgabe seiner Entwicklungsmöglichkeiten ein Deutsch¬ land außerdeutscher Völker, es ist eben Deutschlands anderes Geficht. Es er¬ zieht seine Nationalitäten nach und nach zur Reife, und wird als Frucht seiner schweren Kämpfe und Versuche schließlich ihrer gemeinsamen Kulturarbeit einen politischen Rahmen schaffen. Niemand kann heute schon prophezeien, wie dieser einmal aussehen wird, ob ein polnischer oder serbischer oder rumänischer Staat als dritter, vierter und fünfter im Bunde dem heutigen Zis- und Transleithanien gleichberechtigt an die Seite treten könnte, ob das Prinzip der Personalunion die heutige Real¬ union zwischen Österreich und Ungarn ablösen wird. Niemand weiß, mit welchem Ergebnis der Weltkrieg abschließen wird, und welcher Art die Selbst- ständigkeit Galiziens sein soll, die der alte Kaiser Franz Josef noch im Monat eines Todes in Aussicht gestellt hat. Dringend wünschenswert gerade auch im Sinne Bruckscher Gedanken und im Sinne der Bestrebungen aller gut österreichischen Patrioten ist es, daß das engere Zisleithanien ohne Galizien und Dalmatien, die ehemaligen deutschen Bundesländer, auch künftig eine staatliche Einheit und von maßgeblichem Gewicht innerhalb der Gesamtmonarchie bleiben. Hier bilden die Deutschen die kompakte Mehrheit, und von hier aus kann für alle Zeiten dafür gesorgt bleiben, daß das deutsche Volksinteresse in der Gesamtmonarchie die nötige Berücksichtigung erfährt. Die übrigen Nationen dieses engeren Zis¬ leithanien: Tschechen, Slowenen und Italiener, sind diejenigen, die ihrer kulturellen Zusammensetzung nach am meisten den Deutschen angenähert sind, mit denen man also auch am leichtesten Formen selbst engeren politischen Zusammenlebens finden wird. Man darf sich durch die Hitzegrade der nationalen Eifersucht in Prag oder Laibach in dieser Einsicht nicht beirren lassen. Wer weiß, ob alles nach dem Kriege so schlimm wiederkehrt, und wenn auch: es wird vorübergehen! Innerhalb und außerhalb der schwarzgelben Grenzpfähle war Kleinmut über Österreichs Zukunft oft an der Tagesordnung. Aber der Glaube, den Brück in besonders trüber Zeit, nämlich unmittelbar nach der italienischen Niederlage von 1859, bewährte, hat doch immer wieder recht behalten. Und war das historische Schicksal seinen Plänen auch nicht günstig, seine Grund¬ gedanken sind doch nicht alt geworden, und die Fackel seines Geistes vermag auch in die Zukunft Österreichs, die wir Zeitgenossen des Weltkriegs erwarten dürfen, wegweisend zu strahlen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/382>, abgerufen am 23.07.2024.