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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Das Vermächtnis Brucks

Auch Österreich wird durch seine Zukunft die Welt in Erstaunen setzen, denn
es ist das andere Deutschland. Die bisherige Entwicklung Österreichs ist in
vielen äußeren Umständen nicht durchaus im Sinne Brucks verlaufen. Statt
im Deutschen Bunde selber die führende Stellung zu gewinnen, ist der Kaiser¬
staat vielmehr aus ihm hinausgedrängt worden. Und auch im Inneren hat
weder die Entwicklung des städtischen Mittelstandes, der Industrie und der
Schule, noch die Schöpfung und der immer vollständigere Ausbau parlamen¬
tarischer Körperschaften so im deutschen Sinne gewirkt, wie Brock hoffte.
Gerade diese Fortschritte haben mindestens ebenso stark der Ausbreitung flämischer
und sonstiger Nationalideen genützt. Die polnische, die tschechische, die slowenische
Nation und die anderen alle schienen immer mehr gerade durch die modernen
Errungenschaften ihr eigenes undeutsches und österreichfeindliches Wesen zu
entwickeln. Im Osten wartete der Russe auf den Tag, wo ihm die panslawistischm
Früchte von selber in den Schoß fallen sollten. Aber es ist ganz anders ge¬
kommen. Als es Ernst wurde, da erkannten die slawischen Völker auf ein¬
mal, wie unrussisch sie längst geworden waren. Gerade die Tschechen, die am
lärmendsten ihre deutschfeindliche Gesinnung zur Schau getragen hatten, find ihrer
kulturellen Struktur nach längst so deutsch geworden, wie die Deutschen selbst.
Der tschechische Mittelstand, die tschechische Arbeiterschaft, 'die tschechischen Agrarier
haben keine andern politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme als die
entsprechenden deutschen Volksgruppen. Die tschechische Industrie arbeitet wie
die deutsche, die tschechische Schule lehrt nach den Methoden der deutschen, die
tschechische Literatur und Bildung tritt der deutschen strebend an die Seite.
Was ist an der tschechischen Kultur, das nicht verwandt wäre mit der deutschen,
das etwa hinstrebte auf die Zustände und Entwicklungstendenzen der russischen?
Sogar die tschechische Geburtenstatistik weist nicht mehr die echt slawische un¬
begrenzte Fruchtbarkeit auf. sondern teilt das zu unserm Leidwesen rettungslos
sich verlangsamende Tempo der deutschen. Die übrigen Nationalkulturen
Österreichs und auch Ungarns gehen schneller oder langsamer einer ähnlichen
Entwicklung entgegen. Auch sie werden, gerade weil sie mit der deutschen Kultur
konkurrieren, weil sie ihr in reger nationaler Eifersucht keinen Vorsprung lassen
wollen, ihrer Struktur nach notwendig immer mehr der deutschen Kultur sich
annähern. An eine Germanisation Österreichs im Sinne Josefs II. und des
deutschen Zentralismus ist nicht zu denken, aber gerade infolge des politischen
Erwachens der Nationalitäten wird ihre Kultur immer mehr auf die deutsche
Stufe rücken. Die große Menschheitsaufgabe, für die gemeinsame Kulturarbeit
selbständiger und selbstbewußter Völker politische Formen zu finden, wird, wenn
irgendwo, zuerst in Osterreich ihrer Lösung entgegenreifen. Noch ist die
Menschheit trotz alles Geredes vom Völkerrecht, von internationaler Bildung
und Wirtschaft, ein Schemen. Der Egoismus der Völker beherrscht die Bühne;
die Nationen sind selber Ansätze zur Menschheit. Keine von ihnen kann in
dem Sinne Menschheit werden, daß sie alle andern Völker in sich aufzusaugen


Grenzboten I 1917 24
Das Vermächtnis Brucks

Auch Österreich wird durch seine Zukunft die Welt in Erstaunen setzen, denn
es ist das andere Deutschland. Die bisherige Entwicklung Österreichs ist in
vielen äußeren Umständen nicht durchaus im Sinne Brucks verlaufen. Statt
im Deutschen Bunde selber die führende Stellung zu gewinnen, ist der Kaiser¬
staat vielmehr aus ihm hinausgedrängt worden. Und auch im Inneren hat
weder die Entwicklung des städtischen Mittelstandes, der Industrie und der
Schule, noch die Schöpfung und der immer vollständigere Ausbau parlamen¬
tarischer Körperschaften so im deutschen Sinne gewirkt, wie Brock hoffte.
Gerade diese Fortschritte haben mindestens ebenso stark der Ausbreitung flämischer
und sonstiger Nationalideen genützt. Die polnische, die tschechische, die slowenische
Nation und die anderen alle schienen immer mehr gerade durch die modernen
Errungenschaften ihr eigenes undeutsches und österreichfeindliches Wesen zu
entwickeln. Im Osten wartete der Russe auf den Tag, wo ihm die panslawistischm
Früchte von selber in den Schoß fallen sollten. Aber es ist ganz anders ge¬
kommen. Als es Ernst wurde, da erkannten die slawischen Völker auf ein¬
mal, wie unrussisch sie längst geworden waren. Gerade die Tschechen, die am
lärmendsten ihre deutschfeindliche Gesinnung zur Schau getragen hatten, find ihrer
kulturellen Struktur nach längst so deutsch geworden, wie die Deutschen selbst.
Der tschechische Mittelstand, die tschechische Arbeiterschaft, 'die tschechischen Agrarier
haben keine andern politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme als die
entsprechenden deutschen Volksgruppen. Die tschechische Industrie arbeitet wie
die deutsche, die tschechische Schule lehrt nach den Methoden der deutschen, die
tschechische Literatur und Bildung tritt der deutschen strebend an die Seite.
Was ist an der tschechischen Kultur, das nicht verwandt wäre mit der deutschen,
das etwa hinstrebte auf die Zustände und Entwicklungstendenzen der russischen?
Sogar die tschechische Geburtenstatistik weist nicht mehr die echt slawische un¬
begrenzte Fruchtbarkeit auf. sondern teilt das zu unserm Leidwesen rettungslos
sich verlangsamende Tempo der deutschen. Die übrigen Nationalkulturen
Österreichs und auch Ungarns gehen schneller oder langsamer einer ähnlichen
Entwicklung entgegen. Auch sie werden, gerade weil sie mit der deutschen Kultur
konkurrieren, weil sie ihr in reger nationaler Eifersucht keinen Vorsprung lassen
wollen, ihrer Struktur nach notwendig immer mehr der deutschen Kultur sich
annähern. An eine Germanisation Österreichs im Sinne Josefs II. und des
deutschen Zentralismus ist nicht zu denken, aber gerade infolge des politischen
Erwachens der Nationalitäten wird ihre Kultur immer mehr auf die deutsche
Stufe rücken. Die große Menschheitsaufgabe, für die gemeinsame Kulturarbeit
selbständiger und selbstbewußter Völker politische Formen zu finden, wird, wenn
irgendwo, zuerst in Osterreich ihrer Lösung entgegenreifen. Noch ist die
Menschheit trotz alles Geredes vom Völkerrecht, von internationaler Bildung
und Wirtschaft, ein Schemen. Der Egoismus der Völker beherrscht die Bühne;
die Nationen sind selber Ansätze zur Menschheit. Keine von ihnen kann in
dem Sinne Menschheit werden, daß sie alle andern Völker in sich aufzusaugen


Grenzboten I 1917 24
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[0381] Das Vermächtnis Brucks Auch Österreich wird durch seine Zukunft die Welt in Erstaunen setzen, denn es ist das andere Deutschland. Die bisherige Entwicklung Österreichs ist in vielen äußeren Umständen nicht durchaus im Sinne Brucks verlaufen. Statt im Deutschen Bunde selber die führende Stellung zu gewinnen, ist der Kaiser¬ staat vielmehr aus ihm hinausgedrängt worden. Und auch im Inneren hat weder die Entwicklung des städtischen Mittelstandes, der Industrie und der Schule, noch die Schöpfung und der immer vollständigere Ausbau parlamen¬ tarischer Körperschaften so im deutschen Sinne gewirkt, wie Brock hoffte. Gerade diese Fortschritte haben mindestens ebenso stark der Ausbreitung flämischer und sonstiger Nationalideen genützt. Die polnische, die tschechische, die slowenische Nation und die anderen alle schienen immer mehr gerade durch die modernen Errungenschaften ihr eigenes undeutsches und österreichfeindliches Wesen zu entwickeln. Im Osten wartete der Russe auf den Tag, wo ihm die panslawistischm Früchte von selber in den Schoß fallen sollten. Aber es ist ganz anders ge¬ kommen. Als es Ernst wurde, da erkannten die slawischen Völker auf ein¬ mal, wie unrussisch sie längst geworden waren. Gerade die Tschechen, die am lärmendsten ihre deutschfeindliche Gesinnung zur Schau getragen hatten, find ihrer kulturellen Struktur nach längst so deutsch geworden, wie die Deutschen selbst. Der tschechische Mittelstand, die tschechische Arbeiterschaft, 'die tschechischen Agrarier haben keine andern politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme als die entsprechenden deutschen Volksgruppen. Die tschechische Industrie arbeitet wie die deutsche, die tschechische Schule lehrt nach den Methoden der deutschen, die tschechische Literatur und Bildung tritt der deutschen strebend an die Seite. Was ist an der tschechischen Kultur, das nicht verwandt wäre mit der deutschen, das etwa hinstrebte auf die Zustände und Entwicklungstendenzen der russischen? Sogar die tschechische Geburtenstatistik weist nicht mehr die echt slawische un¬ begrenzte Fruchtbarkeit auf. sondern teilt das zu unserm Leidwesen rettungslos sich verlangsamende Tempo der deutschen. Die übrigen Nationalkulturen Österreichs und auch Ungarns gehen schneller oder langsamer einer ähnlichen Entwicklung entgegen. Auch sie werden, gerade weil sie mit der deutschen Kultur konkurrieren, weil sie ihr in reger nationaler Eifersucht keinen Vorsprung lassen wollen, ihrer Struktur nach notwendig immer mehr der deutschen Kultur sich annähern. An eine Germanisation Österreichs im Sinne Josefs II. und des deutschen Zentralismus ist nicht zu denken, aber gerade infolge des politischen Erwachens der Nationalitäten wird ihre Kultur immer mehr auf die deutsche Stufe rücken. Die große Menschheitsaufgabe, für die gemeinsame Kulturarbeit selbständiger und selbstbewußter Völker politische Formen zu finden, wird, wenn irgendwo, zuerst in Osterreich ihrer Lösung entgegenreifen. Noch ist die Menschheit trotz alles Geredes vom Völkerrecht, von internationaler Bildung und Wirtschaft, ein Schemen. Der Egoismus der Völker beherrscht die Bühne; die Nationen sind selber Ansätze zur Menschheit. Keine von ihnen kann in dem Sinne Menschheit werden, daß sie alle andern Völker in sich aufzusaugen Grenzboten I 1917 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/381>, abgerufen am 23.07.2024.