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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Anatolische Zukunftsbilder

Europäische Ingenieure und Techniker, welche die Pläne der großen Kultur¬
arbeiten entwerfen sollen, sind verhältnismäßig leicht zu beschaffen, aber sonst
fehlt es beinahe an allem, denn vergebens sehen wir uns nach höheren und
mittleren Beamten um, welche die Verbindung zwischen den deutschen Kultur¬
pionieren und der einheimischen Bevölkerung in richtiger Weise herstellen könnten,
und vergebens auch nach einer Lehrerschaft, welche fähig wäre, den Nachwuchs
Anatoliens unter sorgfältiger Schonung der religiösen Überlieferung auf die
wirtschaftlichen Aufgaben einer neuen Zeit vorzubereiten. Denn so, wie sie
heute fühlen, denken und wirken, wären die meisten Osmanen weder willens
noch fähig, der europäischen Kopfarbeit die schwieligen Hände zu leihen. Hier
und da. im einen oder andern Gau, mögen die Aussichten tröstlicher sein, doch
das sind eben Ausnahmen, die an dem Sachverhalt nichts wesentliches ändern.

Es könnte befremden, daß wir so kurzerhand behaupten, es fehle in der
Türkei an einer höheren Beamtenschaft, welche die Kenntnisse und den guten
Willen besäße, zwischen den deutschen Ingenieuren und Unternehmern auf der
einen und der anatolischen Landbevölkerung auf der andern Seite zu vermitteln.
Dem ist aber in der Tat so, denn die Beamten der alten Türkei, welche alle
Dinge nur auf sich bezogen, verstanden höchstens zu regieren, aber nicht zu
verwalten, und daher kämen sie M die Aufgaben der Zukunft kaum in Betracht.
Wie oft begegnete man nicht in den Städten des Inneren solchen Leuten, die
den Aufenthalt in ihrem Wirkungskreis nur als eine hoffentlich recht kurze Ver¬
bannung betrachteten und, weit davon entfernt, in ihrem Amtsbezirk eine zweite
Heimat zu erblicken, mit allen Fasern nach dem gelobten Stambul zurückstrebten.
Solche Elemente müßte man von dem Rentamte, an das wir denken, nach
Kräften fernhalten.

Des weiteren behaupteten wir, es mangele an einer Lehrerschaft, die dazu be¬
rufen wäre, die Kinder der anatolischen Bauern auf die neue Zeit und ihre Pflichten
vorzubereiten. Für jeden, der Kleinasien kennt und als "Gjaur" die Meute der
anatolischen Provinzstadt einmal auf seiner Spur hatte, ist das nur eine Binsen¬
wahrheit, denn die Bildung, welche dem jungen Geschlecht bisher zuteil wurde,
ward ihm zum guten Teile von religiösen Eiferern vermittelt, welche vielmehr
bestrebt waren, die Mauern, mit denen sich die anatolische Landbevölkerung nach
außen hin abschloß, zu erhöhen als niederzureißen. Die eigentliche Schwierigkeit,
mit der wir hier rechnen müssen, besteht darin, daß wir den Islam sorgfältig
erhalten, aber gleichzeitig daran verhindern müssen, sich in herkömmlicher Art
in Christen- und Fremdenhaß auszuwirken.

In Tagen, wo unter Sturm und Wetter ein neues Zeitalter geboren wird,
ist man stets geneigt, die Schwierigkeiten zu unterschätzen, die sich in einer Ent¬
wicklung der Dinge in der vom Sieger gewünschten Weise entgegenstellen.
Der Erfahrene weiß jedoch, daß die wirklichen Schwierigkeiten, die unser im
näheren Orient harren, erst nach dem Friedensschluß fühlbar werden dürften,
und daß es den Takt und die Willenskraft vieler wohlwollender und scharf-


Anatolische Zukunftsbilder

Europäische Ingenieure und Techniker, welche die Pläne der großen Kultur¬
arbeiten entwerfen sollen, sind verhältnismäßig leicht zu beschaffen, aber sonst
fehlt es beinahe an allem, denn vergebens sehen wir uns nach höheren und
mittleren Beamten um, welche die Verbindung zwischen den deutschen Kultur¬
pionieren und der einheimischen Bevölkerung in richtiger Weise herstellen könnten,
und vergebens auch nach einer Lehrerschaft, welche fähig wäre, den Nachwuchs
Anatoliens unter sorgfältiger Schonung der religiösen Überlieferung auf die
wirtschaftlichen Aufgaben einer neuen Zeit vorzubereiten. Denn so, wie sie
heute fühlen, denken und wirken, wären die meisten Osmanen weder willens
noch fähig, der europäischen Kopfarbeit die schwieligen Hände zu leihen. Hier
und da. im einen oder andern Gau, mögen die Aussichten tröstlicher sein, doch
das sind eben Ausnahmen, die an dem Sachverhalt nichts wesentliches ändern.

Es könnte befremden, daß wir so kurzerhand behaupten, es fehle in der
Türkei an einer höheren Beamtenschaft, welche die Kenntnisse und den guten
Willen besäße, zwischen den deutschen Ingenieuren und Unternehmern auf der
einen und der anatolischen Landbevölkerung auf der andern Seite zu vermitteln.
Dem ist aber in der Tat so, denn die Beamten der alten Türkei, welche alle
Dinge nur auf sich bezogen, verstanden höchstens zu regieren, aber nicht zu
verwalten, und daher kämen sie M die Aufgaben der Zukunft kaum in Betracht.
Wie oft begegnete man nicht in den Städten des Inneren solchen Leuten, die
den Aufenthalt in ihrem Wirkungskreis nur als eine hoffentlich recht kurze Ver¬
bannung betrachteten und, weit davon entfernt, in ihrem Amtsbezirk eine zweite
Heimat zu erblicken, mit allen Fasern nach dem gelobten Stambul zurückstrebten.
Solche Elemente müßte man von dem Rentamte, an das wir denken, nach
Kräften fernhalten.

Des weiteren behaupteten wir, es mangele an einer Lehrerschaft, die dazu be¬
rufen wäre, die Kinder der anatolischen Bauern auf die neue Zeit und ihre Pflichten
vorzubereiten. Für jeden, der Kleinasien kennt und als „Gjaur" die Meute der
anatolischen Provinzstadt einmal auf seiner Spur hatte, ist das nur eine Binsen¬
wahrheit, denn die Bildung, welche dem jungen Geschlecht bisher zuteil wurde,
ward ihm zum guten Teile von religiösen Eiferern vermittelt, welche vielmehr
bestrebt waren, die Mauern, mit denen sich die anatolische Landbevölkerung nach
außen hin abschloß, zu erhöhen als niederzureißen. Die eigentliche Schwierigkeit,
mit der wir hier rechnen müssen, besteht darin, daß wir den Islam sorgfältig
erhalten, aber gleichzeitig daran verhindern müssen, sich in herkömmlicher Art
in Christen- und Fremdenhaß auszuwirken.

In Tagen, wo unter Sturm und Wetter ein neues Zeitalter geboren wird,
ist man stets geneigt, die Schwierigkeiten zu unterschätzen, die sich in einer Ent¬
wicklung der Dinge in der vom Sieger gewünschten Weise entgegenstellen.
Der Erfahrene weiß jedoch, daß die wirklichen Schwierigkeiten, die unser im
näheren Orient harren, erst nach dem Friedensschluß fühlbar werden dürften,
und daß es den Takt und die Willenskraft vieler wohlwollender und scharf-


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[0368] Anatolische Zukunftsbilder Europäische Ingenieure und Techniker, welche die Pläne der großen Kultur¬ arbeiten entwerfen sollen, sind verhältnismäßig leicht zu beschaffen, aber sonst fehlt es beinahe an allem, denn vergebens sehen wir uns nach höheren und mittleren Beamten um, welche die Verbindung zwischen den deutschen Kultur¬ pionieren und der einheimischen Bevölkerung in richtiger Weise herstellen könnten, und vergebens auch nach einer Lehrerschaft, welche fähig wäre, den Nachwuchs Anatoliens unter sorgfältiger Schonung der religiösen Überlieferung auf die wirtschaftlichen Aufgaben einer neuen Zeit vorzubereiten. Denn so, wie sie heute fühlen, denken und wirken, wären die meisten Osmanen weder willens noch fähig, der europäischen Kopfarbeit die schwieligen Hände zu leihen. Hier und da. im einen oder andern Gau, mögen die Aussichten tröstlicher sein, doch das sind eben Ausnahmen, die an dem Sachverhalt nichts wesentliches ändern. Es könnte befremden, daß wir so kurzerhand behaupten, es fehle in der Türkei an einer höheren Beamtenschaft, welche die Kenntnisse und den guten Willen besäße, zwischen den deutschen Ingenieuren und Unternehmern auf der einen und der anatolischen Landbevölkerung auf der andern Seite zu vermitteln. Dem ist aber in der Tat so, denn die Beamten der alten Türkei, welche alle Dinge nur auf sich bezogen, verstanden höchstens zu regieren, aber nicht zu verwalten, und daher kämen sie M die Aufgaben der Zukunft kaum in Betracht. Wie oft begegnete man nicht in den Städten des Inneren solchen Leuten, die den Aufenthalt in ihrem Wirkungskreis nur als eine hoffentlich recht kurze Ver¬ bannung betrachteten und, weit davon entfernt, in ihrem Amtsbezirk eine zweite Heimat zu erblicken, mit allen Fasern nach dem gelobten Stambul zurückstrebten. Solche Elemente müßte man von dem Rentamte, an das wir denken, nach Kräften fernhalten. Des weiteren behaupteten wir, es mangele an einer Lehrerschaft, die dazu be¬ rufen wäre, die Kinder der anatolischen Bauern auf die neue Zeit und ihre Pflichten vorzubereiten. Für jeden, der Kleinasien kennt und als „Gjaur" die Meute der anatolischen Provinzstadt einmal auf seiner Spur hatte, ist das nur eine Binsen¬ wahrheit, denn die Bildung, welche dem jungen Geschlecht bisher zuteil wurde, ward ihm zum guten Teile von religiösen Eiferern vermittelt, welche vielmehr bestrebt waren, die Mauern, mit denen sich die anatolische Landbevölkerung nach außen hin abschloß, zu erhöhen als niederzureißen. Die eigentliche Schwierigkeit, mit der wir hier rechnen müssen, besteht darin, daß wir den Islam sorgfältig erhalten, aber gleichzeitig daran verhindern müssen, sich in herkömmlicher Art in Christen- und Fremdenhaß auszuwirken. In Tagen, wo unter Sturm und Wetter ein neues Zeitalter geboren wird, ist man stets geneigt, die Schwierigkeiten zu unterschätzen, die sich in einer Ent¬ wicklung der Dinge in der vom Sieger gewünschten Weise entgegenstellen. Der Erfahrene weiß jedoch, daß die wirklichen Schwierigkeiten, die unser im näheren Orient harren, erst nach dem Friedensschluß fühlbar werden dürften, und daß es den Takt und die Willenskraft vieler wohlwollender und scharf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/368>, abgerufen am 25.08.2024.