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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Anatolische Zukunftsbilder

es für diese eine der wichtigsten Aufgaben bleiben, die Türkei zu erhalten und
zu stärken.

Ob das Zusammenwirken der drei raumgewaltigen Bundesmächte sich
für alle gleich erquicklich gestalten wird, hängt hauptsächlich davon
ab, ob die mitteleuropäischen Reformer und Sendboten ihre Aufgabe
in der Türkei in taktvoller Weise zu lösen verstehen. Wir müssen
uns immer wieder und wieder darüber klar werden, daß wir bei
unseren Plänen nicht mit der Türkei von vorgestern und gestern zu rechnen
haben, d. h. mit einem Lande, dessen wirtschaftliche Hilfsquellen nur zum ge¬
ringsten Teile benutzt wurden und dessen Bevölkerung keinerlei Lust zeigte, an
dem wirtschaftlichen Wettkampf der westlichen Nationen teilzunehmen. Ein
türkisches Reich, dessen Wehrmacht wieder auf den Stand des Frühlings 1912
herabsänke, dessen wirtschaftliches Leben durch Völkerzwist und urväterische Rück-
ständigkeit in den meisten Berufsarten gelähmt würde, dessen Einnahmen kaum
dazu hinreichten, die Staatsmaschine in schwerfälligstem Gange zu erhalten, und
dessen Verkehrsmittel so unzulänglich wären, daß die Grenzgebiete am Persergolf,
die wichtigste Reibungsfläche mit den Briten, eine äußerste Thule blieben,
dürfte keiner Macht der Welt als ein erwünschter Bundesgenosse er¬
scheinen.

Die neue Türkei soll in einem erneuerten Kleinasien und Mesopotamien
ihr Kernland erhalten. Damit diese Länder die ihnen zugedachten Aufgaben
erfüllen können, werden sie aber noch viel, viel Arbeit erfordern. Eisenbahnen,
Brücken und Talsperren müssen gebaut und unabsehbare Flächen, wo heute noch
die stillen Geister der Steppe herrschen, in fruchtbare Fluren verwandelt werden.
Alles das kostet schweres Geld, aber darin liegt wohl nicht die Hauptschwierig¬
keit, denn Mittel zum Bau erwerbender Anstalten pflegt man in unseren Tagen
leicht zu beschaffen. Viel heikler ist die Frage, wer später die wirtschaftliche
Arbeit in jenen Ländern leisten soll. Nur dann würde das Osmanische Reich
aus der Krisis, in die es heute eingetreten ist, mit neuer Kraft hervorgehn, wenn
es gelänge, fast alle landwirtschaftliche Arbeit, die in dem Neuland geleistet
werden müßte, der in ihrem Wesenskern unveränderten osmanischen Bauern¬
schaft anzuvertrauen, denn nur ein Volt mohammedanischer Bauern vermag die
Grundlage des Khalifenreiches zu bilden. Die Erfahrung, daß bisher jede nahe
Berührung mit fremden Völkern und Religionen die Lebenskraft und Boden¬
ständigkeit mohammedanischer Bauern stark beeinträchtigt hat, zwingt uns zu
dem Schluß, daß die geschilderte Aufgabe recht schwer zu lösen ist. Und doch
ist sie nicht zu umgehn. Wenn wir uns auf die christlichen Völker der Levante
stützen wollten, würden wir dadurch Elemente, die, im Grunde genommen,
immer staatsfeindlich waren, so sehr fördern, daß sie das Osmanische Reich, das
wir doch stärken möchten, über kurz oder lang zu Fall brächten. Außerdem
würden wir dadurch die Türkei, deren beste Soldaten die Söhne der anatolischen
Bauern sind, in Kürze so gut wie wehrlos machen.


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Anatolische Zukunftsbilder

es für diese eine der wichtigsten Aufgaben bleiben, die Türkei zu erhalten und
zu stärken.

Ob das Zusammenwirken der drei raumgewaltigen Bundesmächte sich
für alle gleich erquicklich gestalten wird, hängt hauptsächlich davon
ab, ob die mitteleuropäischen Reformer und Sendboten ihre Aufgabe
in der Türkei in taktvoller Weise zu lösen verstehen. Wir müssen
uns immer wieder und wieder darüber klar werden, daß wir bei
unseren Plänen nicht mit der Türkei von vorgestern und gestern zu rechnen
haben, d. h. mit einem Lande, dessen wirtschaftliche Hilfsquellen nur zum ge¬
ringsten Teile benutzt wurden und dessen Bevölkerung keinerlei Lust zeigte, an
dem wirtschaftlichen Wettkampf der westlichen Nationen teilzunehmen. Ein
türkisches Reich, dessen Wehrmacht wieder auf den Stand des Frühlings 1912
herabsänke, dessen wirtschaftliches Leben durch Völkerzwist und urväterische Rück-
ständigkeit in den meisten Berufsarten gelähmt würde, dessen Einnahmen kaum
dazu hinreichten, die Staatsmaschine in schwerfälligstem Gange zu erhalten, und
dessen Verkehrsmittel so unzulänglich wären, daß die Grenzgebiete am Persergolf,
die wichtigste Reibungsfläche mit den Briten, eine äußerste Thule blieben,
dürfte keiner Macht der Welt als ein erwünschter Bundesgenosse er¬
scheinen.

Die neue Türkei soll in einem erneuerten Kleinasien und Mesopotamien
ihr Kernland erhalten. Damit diese Länder die ihnen zugedachten Aufgaben
erfüllen können, werden sie aber noch viel, viel Arbeit erfordern. Eisenbahnen,
Brücken und Talsperren müssen gebaut und unabsehbare Flächen, wo heute noch
die stillen Geister der Steppe herrschen, in fruchtbare Fluren verwandelt werden.
Alles das kostet schweres Geld, aber darin liegt wohl nicht die Hauptschwierig¬
keit, denn Mittel zum Bau erwerbender Anstalten pflegt man in unseren Tagen
leicht zu beschaffen. Viel heikler ist die Frage, wer später die wirtschaftliche
Arbeit in jenen Ländern leisten soll. Nur dann würde das Osmanische Reich
aus der Krisis, in die es heute eingetreten ist, mit neuer Kraft hervorgehn, wenn
es gelänge, fast alle landwirtschaftliche Arbeit, die in dem Neuland geleistet
werden müßte, der in ihrem Wesenskern unveränderten osmanischen Bauern¬
schaft anzuvertrauen, denn nur ein Volt mohammedanischer Bauern vermag die
Grundlage des Khalifenreiches zu bilden. Die Erfahrung, daß bisher jede nahe
Berührung mit fremden Völkern und Religionen die Lebenskraft und Boden¬
ständigkeit mohammedanischer Bauern stark beeinträchtigt hat, zwingt uns zu
dem Schluß, daß die geschilderte Aufgabe recht schwer zu lösen ist. Und doch
ist sie nicht zu umgehn. Wenn wir uns auf die christlichen Völker der Levante
stützen wollten, würden wir dadurch Elemente, die, im Grunde genommen,
immer staatsfeindlich waren, so sehr fördern, daß sie das Osmanische Reich, das
wir doch stärken möchten, über kurz oder lang zu Fall brächten. Außerdem
würden wir dadurch die Türkei, deren beste Soldaten die Söhne der anatolischen
Bauern sind, in Kürze so gut wie wehrlos machen.


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[0367] Anatolische Zukunftsbilder es für diese eine der wichtigsten Aufgaben bleiben, die Türkei zu erhalten und zu stärken. Ob das Zusammenwirken der drei raumgewaltigen Bundesmächte sich für alle gleich erquicklich gestalten wird, hängt hauptsächlich davon ab, ob die mitteleuropäischen Reformer und Sendboten ihre Aufgabe in der Türkei in taktvoller Weise zu lösen verstehen. Wir müssen uns immer wieder und wieder darüber klar werden, daß wir bei unseren Plänen nicht mit der Türkei von vorgestern und gestern zu rechnen haben, d. h. mit einem Lande, dessen wirtschaftliche Hilfsquellen nur zum ge¬ ringsten Teile benutzt wurden und dessen Bevölkerung keinerlei Lust zeigte, an dem wirtschaftlichen Wettkampf der westlichen Nationen teilzunehmen. Ein türkisches Reich, dessen Wehrmacht wieder auf den Stand des Frühlings 1912 herabsänke, dessen wirtschaftliches Leben durch Völkerzwist und urväterische Rück- ständigkeit in den meisten Berufsarten gelähmt würde, dessen Einnahmen kaum dazu hinreichten, die Staatsmaschine in schwerfälligstem Gange zu erhalten, und dessen Verkehrsmittel so unzulänglich wären, daß die Grenzgebiete am Persergolf, die wichtigste Reibungsfläche mit den Briten, eine äußerste Thule blieben, dürfte keiner Macht der Welt als ein erwünschter Bundesgenosse er¬ scheinen. Die neue Türkei soll in einem erneuerten Kleinasien und Mesopotamien ihr Kernland erhalten. Damit diese Länder die ihnen zugedachten Aufgaben erfüllen können, werden sie aber noch viel, viel Arbeit erfordern. Eisenbahnen, Brücken und Talsperren müssen gebaut und unabsehbare Flächen, wo heute noch die stillen Geister der Steppe herrschen, in fruchtbare Fluren verwandelt werden. Alles das kostet schweres Geld, aber darin liegt wohl nicht die Hauptschwierig¬ keit, denn Mittel zum Bau erwerbender Anstalten pflegt man in unseren Tagen leicht zu beschaffen. Viel heikler ist die Frage, wer später die wirtschaftliche Arbeit in jenen Ländern leisten soll. Nur dann würde das Osmanische Reich aus der Krisis, in die es heute eingetreten ist, mit neuer Kraft hervorgehn, wenn es gelänge, fast alle landwirtschaftliche Arbeit, die in dem Neuland geleistet werden müßte, der in ihrem Wesenskern unveränderten osmanischen Bauern¬ schaft anzuvertrauen, denn nur ein Volt mohammedanischer Bauern vermag die Grundlage des Khalifenreiches zu bilden. Die Erfahrung, daß bisher jede nahe Berührung mit fremden Völkern und Religionen die Lebenskraft und Boden¬ ständigkeit mohammedanischer Bauern stark beeinträchtigt hat, zwingt uns zu dem Schluß, daß die geschilderte Aufgabe recht schwer zu lösen ist. Und doch ist sie nicht zu umgehn. Wenn wir uns auf die christlichen Völker der Levante stützen wollten, würden wir dadurch Elemente, die, im Grunde genommen, immer staatsfeindlich waren, so sehr fördern, daß sie das Osmanische Reich, das wir doch stärken möchten, über kurz oder lang zu Fall brächten. Außerdem würden wir dadurch die Türkei, deren beste Soldaten die Söhne der anatolischen Bauern sind, in Kürze so gut wie wehrlos machen. 23»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/367>, abgerufen am 23.07.2024.