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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die altdeutsche Malerei als Kulturxroblem

von der es ganz gleichgültig ist, wo sie zuerst nachgewiesen werden kann, die
jedoch nicht kosmopolitisch orientiert, sondern auf Ausprägung des Besonderen,
nationalen, gerichtet ist.

Schwer und gefährlich ist es, aus historischen Beispielen Prophezeiungen
herzuleiten. Aber es ist möglich -- so vieles auch wirklich und mehr noch
scheinbar dagegen spricht --, daß damit eine neue Periode geistiger deutscher
Weltbeherrschung beginnt. Denn während die anderen Völker, nur wenn sie
sich selber konstituierten,' sich zu geistigen Weltbeherrschern aufwuchsen, haben
die Deutschen die Führung gehabt, wenn sie internationale Bewegungen als
Werkzeug zum Ausdruck ihres eigenen Wesens benutzten: Holbein, der europäischen
Ruf holte, die Renaissance, Luther die Reformation, Goethe Romantik und
Klassizismus. Wer weiß, wie stark vor dem Kriege der deutsche Einfluß auf
geistigem Gebiet in Frankreich und Italien war, der wird die Möglichkeit einer
neuen deutschen Weltherrschaft auf geistigem Gebiete nicht von der Hand weisen.
Denn gegen geistige Einflüsse helfen weder Verordnungen noch Absperrungen,
und auch der ausgesprochenste Chauvinismus kann geistige Zusammenhänge
nicht lösen.

Aus solchen Gedankengängen heraus wird man' an dem Buche Glasers
wenig Genügen finden. Es ist eine fleißig und nicht unselbständig verarbeitende
Darstellung, aber es fehlt ihr durchweg an Plastik. Wer für die Florentiner
Aposteltopfe Dürers kein Wort hat und den Holzschuher in einer Zeile abtut,
wem vor der Madonna des Bürgermeisters Meyer "alle Begriffe verstummen",
beweist damit, daß eine Darstellung der altdeutschen Malerei über seine Kraft
geht. Wohl fehlt es nicht an einzelnen guten Beobachtungen und Bemerkungen,
aber sehr vieles ist allzu oberflächlich (auch im Stil!) behandelt, anderes wieder
mit im Zusammenhang gleichgültigen Einzelheiten überladen, und dem Ganzen
fehlt der klar gliedernde Überblick und vor allem der selbständige Standpunkt
zum Problem überhaupt; mit den äußeren Kriterien des klaren Stehens,
Greifens. Sitzen", der räumlichen Klarheit, mit Renaissancekriterien also, wird
man der altdeutschen Kunst heute nicht mehr gerecht. Es galt die Dinge
einem großen mit den Originalen viel zu wenig bekannten Publikum, für das
die zahlreichen beigegebenen auch weniger Gekanntes berücksichtigenden Ab¬
bildungen sehr häufig weder groß noch scharf genug sind, nicht nur zugänglich,
sondern vor allem lebendig zu machen, und das ist dem im übrigen als tüchtiger
Forscher bekannten Verfasser nicht gelungen.




Die altdeutsche Malerei als Kulturxroblem

von der es ganz gleichgültig ist, wo sie zuerst nachgewiesen werden kann, die
jedoch nicht kosmopolitisch orientiert, sondern auf Ausprägung des Besonderen,
nationalen, gerichtet ist.

Schwer und gefährlich ist es, aus historischen Beispielen Prophezeiungen
herzuleiten. Aber es ist möglich — so vieles auch wirklich und mehr noch
scheinbar dagegen spricht —, daß damit eine neue Periode geistiger deutscher
Weltbeherrschung beginnt. Denn während die anderen Völker, nur wenn sie
sich selber konstituierten,' sich zu geistigen Weltbeherrschern aufwuchsen, haben
die Deutschen die Führung gehabt, wenn sie internationale Bewegungen als
Werkzeug zum Ausdruck ihres eigenen Wesens benutzten: Holbein, der europäischen
Ruf holte, die Renaissance, Luther die Reformation, Goethe Romantik und
Klassizismus. Wer weiß, wie stark vor dem Kriege der deutsche Einfluß auf
geistigem Gebiet in Frankreich und Italien war, der wird die Möglichkeit einer
neuen deutschen Weltherrschaft auf geistigem Gebiete nicht von der Hand weisen.
Denn gegen geistige Einflüsse helfen weder Verordnungen noch Absperrungen,
und auch der ausgesprochenste Chauvinismus kann geistige Zusammenhänge
nicht lösen.

Aus solchen Gedankengängen heraus wird man' an dem Buche Glasers
wenig Genügen finden. Es ist eine fleißig und nicht unselbständig verarbeitende
Darstellung, aber es fehlt ihr durchweg an Plastik. Wer für die Florentiner
Aposteltopfe Dürers kein Wort hat und den Holzschuher in einer Zeile abtut,
wem vor der Madonna des Bürgermeisters Meyer „alle Begriffe verstummen",
beweist damit, daß eine Darstellung der altdeutschen Malerei über seine Kraft
geht. Wohl fehlt es nicht an einzelnen guten Beobachtungen und Bemerkungen,
aber sehr vieles ist allzu oberflächlich (auch im Stil!) behandelt, anderes wieder
mit im Zusammenhang gleichgültigen Einzelheiten überladen, und dem Ganzen
fehlt der klar gliedernde Überblick und vor allem der selbständige Standpunkt
zum Problem überhaupt; mit den äußeren Kriterien des klaren Stehens,
Greifens. Sitzen«, der räumlichen Klarheit, mit Renaissancekriterien also, wird
man der altdeutschen Kunst heute nicht mehr gerecht. Es galt die Dinge
einem großen mit den Originalen viel zu wenig bekannten Publikum, für das
die zahlreichen beigegebenen auch weniger Gekanntes berücksichtigenden Ab¬
bildungen sehr häufig weder groß noch scharf genug sind, nicht nur zugänglich,
sondern vor allem lebendig zu machen, und das ist dem im übrigen als tüchtiger
Forscher bekannten Verfasser nicht gelungen.




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[0362] Die altdeutsche Malerei als Kulturxroblem von der es ganz gleichgültig ist, wo sie zuerst nachgewiesen werden kann, die jedoch nicht kosmopolitisch orientiert, sondern auf Ausprägung des Besonderen, nationalen, gerichtet ist. Schwer und gefährlich ist es, aus historischen Beispielen Prophezeiungen herzuleiten. Aber es ist möglich — so vieles auch wirklich und mehr noch scheinbar dagegen spricht —, daß damit eine neue Periode geistiger deutscher Weltbeherrschung beginnt. Denn während die anderen Völker, nur wenn sie sich selber konstituierten,' sich zu geistigen Weltbeherrschern aufwuchsen, haben die Deutschen die Führung gehabt, wenn sie internationale Bewegungen als Werkzeug zum Ausdruck ihres eigenen Wesens benutzten: Holbein, der europäischen Ruf holte, die Renaissance, Luther die Reformation, Goethe Romantik und Klassizismus. Wer weiß, wie stark vor dem Kriege der deutsche Einfluß auf geistigem Gebiet in Frankreich und Italien war, der wird die Möglichkeit einer neuen deutschen Weltherrschaft auf geistigem Gebiete nicht von der Hand weisen. Denn gegen geistige Einflüsse helfen weder Verordnungen noch Absperrungen, und auch der ausgesprochenste Chauvinismus kann geistige Zusammenhänge nicht lösen. Aus solchen Gedankengängen heraus wird man' an dem Buche Glasers wenig Genügen finden. Es ist eine fleißig und nicht unselbständig verarbeitende Darstellung, aber es fehlt ihr durchweg an Plastik. Wer für die Florentiner Aposteltopfe Dürers kein Wort hat und den Holzschuher in einer Zeile abtut, wem vor der Madonna des Bürgermeisters Meyer „alle Begriffe verstummen", beweist damit, daß eine Darstellung der altdeutschen Malerei über seine Kraft geht. Wohl fehlt es nicht an einzelnen guten Beobachtungen und Bemerkungen, aber sehr vieles ist allzu oberflächlich (auch im Stil!) behandelt, anderes wieder mit im Zusammenhang gleichgültigen Einzelheiten überladen, und dem Ganzen fehlt der klar gliedernde Überblick und vor allem der selbständige Standpunkt zum Problem überhaupt; mit den äußeren Kriterien des klaren Stehens, Greifens. Sitzen«, der räumlichen Klarheit, mit Renaissancekriterien also, wird man der altdeutschen Kunst heute nicht mehr gerecht. Es galt die Dinge einem großen mit den Originalen viel zu wenig bekannten Publikum, für das die zahlreichen beigegebenen auch weniger Gekanntes berücksichtigenden Ab¬ bildungen sehr häufig weder groß noch scharf genug sind, nicht nur zugänglich, sondern vor allem lebendig zu machen, und das ist dem im übrigen als tüchtiger Forscher bekannten Verfasser nicht gelungen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/362>, abgerufen am 23.07.2024.