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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Wie stellt sich nun in den Köpfen der Engländer -- denn man darf wohl
die Ansichten eines so gebildeten und sachkundigen Mannes ruhig ver¬
allgemeinern -- die künftige Gestaltung Afrikas dar, vor allem, wie weit
wäre auf Grund der beiden Kartenbilder der Plan des britischen Afrikareiches
verwirklicht worden?

Die Darstellung der Karte: "Wie Afrika im Jahre 1916 ausgesehen
haben könnte" geht von der Voraussetzung aus, daß "Deutschland, anstatt
Europa einen Krieg aufzuzwingen, die mit den Westmächten bereits versuchs¬
weise eingeleiteten Unterhandlungen zum Abschluß gebracht hätte". Dann
wäre -- soweit Deutschland in Betracht kommt -- "Frankreich wahrscheinlich
einverstanden gewesen, auf ganz Französisch-Kongo (und das Vorkaufsrecht auf
Belgisch-Kongo) ... zu verzichten, wenn Deutschland Metz und das französisch
sprechende Lothringen zurückgegeben und Luxemburg aus dem deutschen Zoll¬
verein entlassen hätte. . . Belgien hätte sicher gegen einen kleinen Teil von
Französisch-Loango Deutschland das gesamte Kongobecken verkauft, wenn sich
Deutschland seinerseits einverstanden erklärt hätte, auf jedes Anrecht auf das
Großherzogtum Luxemburg zu verzichten, wodurch sich dieses Land dem politischen
Einfluß und dem Schutz Belgiens genähert haben würde. . . Großbritannien
hätte einer Erweiterung der deutschen Kolonien nichts in den Weg gelegt,
vorausgesetzt, daß sein besonders großes Interesse an Katanga anerkannt und
ihm durch Gewährung einer direkten Verbindung zwischen Uganda und dem
Nordzipfel des Tanjanjikasees der Kap-Kairo-Weg zugesichert worden wäre. . .
Gleichzeitig wäre es England möglich gewesen, Deutschland als Dan! für die
Verbindung die Insel Sansibar zu überlassen. Und ein Teil des Caprivizipfels
wäre gegen die Walfischbucht ausgetauscht worden... Unter solchen Umständen
hätte sich Portugal vielleicht durch finanzielle Bedenken dazu bewegen lassen,
Süd-Angola an Deutschland zu verkaufen oder abzutreten." Deutschland selbst
hätte zur Abrundung "nur" das kleine Gebiet zwischen Viktoria- und Tanjanjika-
see abzutreten brauchen.

Herrlich fürwahr, wenn matt an die unbedingte Ehrlichkeit Englands
glauben könnte! Deutschland hätte ein großes Kolonialreich haben können,
wenn usw. Aber selbst dieses Unmögliche vorausgesetzt: Wie wäre Leistung
und Gewinn verteilt gewesen? Belgien behält von seinem ehemaligen Besitz
ein winzig kleines Stück, Frankreich verliert einen Teil seines Kongobesitzes
(gewinnt in Europa allerdings sehr viel). Portugal wird nahezu um die Hälfte
von Angola verringert. Und England selbst? Es tritt großmütig die für es
völlig wertlose Walfischbai ab und bedingungsweise Sansibar, von dem Eng¬
land genau weiß, daß es nicht im entferntesten mehr die Bedeutung als ost¬
afrikanischer Handelsplatz hat wie ehedem. Und der Gewinn? Alle diese
Staaten sind von nun an mehr oder weniger von Englands Gnade abhängig,
England selbst aber hat auf Kosten anderer, ohne erhebliche eigene Opfer das
Ziel seiner afrikanischen Politik erreicht, indem es sich den Mantel der Groß-


Wie stellt sich nun in den Köpfen der Engländer — denn man darf wohl
die Ansichten eines so gebildeten und sachkundigen Mannes ruhig ver¬
allgemeinern — die künftige Gestaltung Afrikas dar, vor allem, wie weit
wäre auf Grund der beiden Kartenbilder der Plan des britischen Afrikareiches
verwirklicht worden?

Die Darstellung der Karte: „Wie Afrika im Jahre 1916 ausgesehen
haben könnte" geht von der Voraussetzung aus, daß „Deutschland, anstatt
Europa einen Krieg aufzuzwingen, die mit den Westmächten bereits versuchs¬
weise eingeleiteten Unterhandlungen zum Abschluß gebracht hätte". Dann
wäre — soweit Deutschland in Betracht kommt — „Frankreich wahrscheinlich
einverstanden gewesen, auf ganz Französisch-Kongo (und das Vorkaufsrecht auf
Belgisch-Kongo) ... zu verzichten, wenn Deutschland Metz und das französisch
sprechende Lothringen zurückgegeben und Luxemburg aus dem deutschen Zoll¬
verein entlassen hätte. . . Belgien hätte sicher gegen einen kleinen Teil von
Französisch-Loango Deutschland das gesamte Kongobecken verkauft, wenn sich
Deutschland seinerseits einverstanden erklärt hätte, auf jedes Anrecht auf das
Großherzogtum Luxemburg zu verzichten, wodurch sich dieses Land dem politischen
Einfluß und dem Schutz Belgiens genähert haben würde. . . Großbritannien
hätte einer Erweiterung der deutschen Kolonien nichts in den Weg gelegt,
vorausgesetzt, daß sein besonders großes Interesse an Katanga anerkannt und
ihm durch Gewährung einer direkten Verbindung zwischen Uganda und dem
Nordzipfel des Tanjanjikasees der Kap-Kairo-Weg zugesichert worden wäre. . .
Gleichzeitig wäre es England möglich gewesen, Deutschland als Dan! für die
Verbindung die Insel Sansibar zu überlassen. Und ein Teil des Caprivizipfels
wäre gegen die Walfischbucht ausgetauscht worden... Unter solchen Umständen
hätte sich Portugal vielleicht durch finanzielle Bedenken dazu bewegen lassen,
Süd-Angola an Deutschland zu verkaufen oder abzutreten." Deutschland selbst
hätte zur Abrundung „nur" das kleine Gebiet zwischen Viktoria- und Tanjanjika-
see abzutreten brauchen.

Herrlich fürwahr, wenn matt an die unbedingte Ehrlichkeit Englands
glauben könnte! Deutschland hätte ein großes Kolonialreich haben können,
wenn usw. Aber selbst dieses Unmögliche vorausgesetzt: Wie wäre Leistung
und Gewinn verteilt gewesen? Belgien behält von seinem ehemaligen Besitz
ein winzig kleines Stück, Frankreich verliert einen Teil seines Kongobesitzes
(gewinnt in Europa allerdings sehr viel). Portugal wird nahezu um die Hälfte
von Angola verringert. Und England selbst? Es tritt großmütig die für es
völlig wertlose Walfischbai ab und bedingungsweise Sansibar, von dem Eng¬
land genau weiß, daß es nicht im entferntesten mehr die Bedeutung als ost¬
afrikanischer Handelsplatz hat wie ehedem. Und der Gewinn? Alle diese
Staaten sind von nun an mehr oder weniger von Englands Gnade abhängig,
England selbst aber hat auf Kosten anderer, ohne erhebliche eigene Opfer das
Ziel seiner afrikanischen Politik erreicht, indem es sich den Mantel der Groß-


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[0355] Wie stellt sich nun in den Köpfen der Engländer — denn man darf wohl die Ansichten eines so gebildeten und sachkundigen Mannes ruhig ver¬ allgemeinern — die künftige Gestaltung Afrikas dar, vor allem, wie weit wäre auf Grund der beiden Kartenbilder der Plan des britischen Afrikareiches verwirklicht worden? Die Darstellung der Karte: „Wie Afrika im Jahre 1916 ausgesehen haben könnte" geht von der Voraussetzung aus, daß „Deutschland, anstatt Europa einen Krieg aufzuzwingen, die mit den Westmächten bereits versuchs¬ weise eingeleiteten Unterhandlungen zum Abschluß gebracht hätte". Dann wäre — soweit Deutschland in Betracht kommt — „Frankreich wahrscheinlich einverstanden gewesen, auf ganz Französisch-Kongo (und das Vorkaufsrecht auf Belgisch-Kongo) ... zu verzichten, wenn Deutschland Metz und das französisch sprechende Lothringen zurückgegeben und Luxemburg aus dem deutschen Zoll¬ verein entlassen hätte. . . Belgien hätte sicher gegen einen kleinen Teil von Französisch-Loango Deutschland das gesamte Kongobecken verkauft, wenn sich Deutschland seinerseits einverstanden erklärt hätte, auf jedes Anrecht auf das Großherzogtum Luxemburg zu verzichten, wodurch sich dieses Land dem politischen Einfluß und dem Schutz Belgiens genähert haben würde. . . Großbritannien hätte einer Erweiterung der deutschen Kolonien nichts in den Weg gelegt, vorausgesetzt, daß sein besonders großes Interesse an Katanga anerkannt und ihm durch Gewährung einer direkten Verbindung zwischen Uganda und dem Nordzipfel des Tanjanjikasees der Kap-Kairo-Weg zugesichert worden wäre. . . Gleichzeitig wäre es England möglich gewesen, Deutschland als Dan! für die Verbindung die Insel Sansibar zu überlassen. Und ein Teil des Caprivizipfels wäre gegen die Walfischbucht ausgetauscht worden... Unter solchen Umständen hätte sich Portugal vielleicht durch finanzielle Bedenken dazu bewegen lassen, Süd-Angola an Deutschland zu verkaufen oder abzutreten." Deutschland selbst hätte zur Abrundung „nur" das kleine Gebiet zwischen Viktoria- und Tanjanjika- see abzutreten brauchen. Herrlich fürwahr, wenn matt an die unbedingte Ehrlichkeit Englands glauben könnte! Deutschland hätte ein großes Kolonialreich haben können, wenn usw. Aber selbst dieses Unmögliche vorausgesetzt: Wie wäre Leistung und Gewinn verteilt gewesen? Belgien behält von seinem ehemaligen Besitz ein winzig kleines Stück, Frankreich verliert einen Teil seines Kongobesitzes (gewinnt in Europa allerdings sehr viel). Portugal wird nahezu um die Hälfte von Angola verringert. Und England selbst? Es tritt großmütig die für es völlig wertlose Walfischbai ab und bedingungsweise Sansibar, von dem Eng¬ land genau weiß, daß es nicht im entferntesten mehr die Bedeutung als ost¬ afrikanischer Handelsplatz hat wie ehedem. Und der Gewinn? Alle diese Staaten sind von nun an mehr oder weniger von Englands Gnade abhängig, England selbst aber hat auf Kosten anderer, ohne erhebliche eigene Opfer das Ziel seiner afrikanischen Politik erreicht, indem es sich den Mantel der Groß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/355>, abgerufen am 23.07.2024.