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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und England in Afrika

noch willkürlicher das unglückliche Gebilde des zum Sambesi sich reckenden
Zipfels an der Nordostecke.

Den Anstoß zu dem englisch-deutschen Gegensatz im Binnenlande gab die
fast gleichzeitig mit der deutschen Küstenbesetzung zusammenfaltende Reise des
Vurenpräfidenten Krüger nach Europa (1884). Seine in englischen Berichten
mehr oder minder zu einer Haupt- und Staatsakten aufgebauschte und mit
politischem Geschwätz reichlich umkleidete wohlwollende Aufnahme in Berlin
scheint in London ziemlich starke Bestürzung hervorgerufen zu haben. Man
sah ein Bündnis Deutschlands mit den beiden Burenrepubliken voraus, sah
den englischen Einfluß in Südafrika schwinden, ja, man rechnete selbst mit
eine? völligen Preisgabe des britisch-südafrikanischen Besitzes. Das Kabinett
Gladstone griff entschlossen ein und beruhigte die englischen Gemüter erst, als
englische Truppen an der Westgrenze der Burenrepubliken den Oranje nord¬
wärts überschritten und so einen Keil zwischen den neudeutschen Küstenbesitz
und die Burenstaaten trieben. Betschuanaland ward in den folgenden Jahren
britisch und damit der Schlüssel zu weiterem nordöstlichen Vordringen Eng¬
lands. Vorher bereits hatten die Engländer von Natal her ihren Einfluß
nordwärts längs der Küste bis zur Delagoabai geltend gemacht. So spürten
denn auch wie Deutsch-Südwest die Burenrepubliken die britische Umklammerung.
Die endgültige Greuzregelung im Osten der Kolonie erfolgte erst 1890 nach
Bismarcks Abgang.

Damit beginnt der Abschnitt der südwestafrikanischen Kolonialgeschichte,
der an den Namen Caprivi geknüpft ist und bis auf den heutigen Tag feine
Spuren in dem sogenannten Caprivizipfel bewahrt hat. In dem nach Bismarcks
Abgang von Caprivi unterzeichneten, später noch einmal zu erwähnenden Ver¬
trag von 1890 konnte bei Schaffung der festen "Hinterwand" der Kolonie
weder eine wesentlich andere östliche Grenzführung gegen Britisch-Süd-
afrika erreicht werden, als wie sie theoretisch bereits seit Gründung der Kolonie
bestand, noch konnte ein größeres Gebiet am Sambesi gewonnen werden, ob¬
wohl -- ebenfalls seit 1884 -- die deutsch-portugiesische Grenze im Norden
diesen Strom erreichte. So entstand der völlig wertlose, in keiner Weise
organisch mit der übrigen Kolonie verknüpfte Zipfel, der bis heute als wenig
erfreuliche Erinnerung den Namen an seinen Schöpfer bewahrt hat. Es wäre
besser gewesen, man hätte auf dieses Gebiet ganz verzichtet gemäß dem Satze
seines Begründers: "Je weniger Afrika, desto besser!"

Es bedarf nur noch der kurzen Erwähnung einzelner Tatsachen, um zu
zeigen, wie England mit nimmcrrastendem Eifer, freilich nicht immer mit ein¬
wandfreien Mitteln arbeitete, um fein Ziel der Abdrängung aller nichtenglischen
Interessen in Südafrika zu erreichen. Das war für England um so leichter
möglich, als es sich in Südafrika um Staaten handelte, die England nicht im
entferntesten eine gleichwertige Macht entgegensetzen konnten. Weder der Ausgang
eines diplomatischen Streites mit Portugal noch der eines Waffenganges mit


Deutschland und England in Afrika

noch willkürlicher das unglückliche Gebilde des zum Sambesi sich reckenden
Zipfels an der Nordostecke.

Den Anstoß zu dem englisch-deutschen Gegensatz im Binnenlande gab die
fast gleichzeitig mit der deutschen Küstenbesetzung zusammenfaltende Reise des
Vurenpräfidenten Krüger nach Europa (1884). Seine in englischen Berichten
mehr oder minder zu einer Haupt- und Staatsakten aufgebauschte und mit
politischem Geschwätz reichlich umkleidete wohlwollende Aufnahme in Berlin
scheint in London ziemlich starke Bestürzung hervorgerufen zu haben. Man
sah ein Bündnis Deutschlands mit den beiden Burenrepubliken voraus, sah
den englischen Einfluß in Südafrika schwinden, ja, man rechnete selbst mit
eine? völligen Preisgabe des britisch-südafrikanischen Besitzes. Das Kabinett
Gladstone griff entschlossen ein und beruhigte die englischen Gemüter erst, als
englische Truppen an der Westgrenze der Burenrepubliken den Oranje nord¬
wärts überschritten und so einen Keil zwischen den neudeutschen Küstenbesitz
und die Burenstaaten trieben. Betschuanaland ward in den folgenden Jahren
britisch und damit der Schlüssel zu weiterem nordöstlichen Vordringen Eng¬
lands. Vorher bereits hatten die Engländer von Natal her ihren Einfluß
nordwärts längs der Küste bis zur Delagoabai geltend gemacht. So spürten
denn auch wie Deutsch-Südwest die Burenrepubliken die britische Umklammerung.
Die endgültige Greuzregelung im Osten der Kolonie erfolgte erst 1890 nach
Bismarcks Abgang.

Damit beginnt der Abschnitt der südwestafrikanischen Kolonialgeschichte,
der an den Namen Caprivi geknüpft ist und bis auf den heutigen Tag feine
Spuren in dem sogenannten Caprivizipfel bewahrt hat. In dem nach Bismarcks
Abgang von Caprivi unterzeichneten, später noch einmal zu erwähnenden Ver¬
trag von 1890 konnte bei Schaffung der festen „Hinterwand" der Kolonie
weder eine wesentlich andere östliche Grenzführung gegen Britisch-Süd-
afrika erreicht werden, als wie sie theoretisch bereits seit Gründung der Kolonie
bestand, noch konnte ein größeres Gebiet am Sambesi gewonnen werden, ob¬
wohl — ebenfalls seit 1884 — die deutsch-portugiesische Grenze im Norden
diesen Strom erreichte. So entstand der völlig wertlose, in keiner Weise
organisch mit der übrigen Kolonie verknüpfte Zipfel, der bis heute als wenig
erfreuliche Erinnerung den Namen an seinen Schöpfer bewahrt hat. Es wäre
besser gewesen, man hätte auf dieses Gebiet ganz verzichtet gemäß dem Satze
seines Begründers: „Je weniger Afrika, desto besser!"

Es bedarf nur noch der kurzen Erwähnung einzelner Tatsachen, um zu
zeigen, wie England mit nimmcrrastendem Eifer, freilich nicht immer mit ein¬
wandfreien Mitteln arbeitete, um fein Ziel der Abdrängung aller nichtenglischen
Interessen in Südafrika zu erreichen. Das war für England um so leichter
möglich, als es sich in Südafrika um Staaten handelte, die England nicht im
entferntesten eine gleichwertige Macht entgegensetzen konnten. Weder der Ausgang
eines diplomatischen Streites mit Portugal noch der eines Waffenganges mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/313>, abgerufen am 23.07.2024.