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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und England in Afrika

merksamkeit zu. Das damals liberale britische Kabinett würdigte diesem Vor¬
gehen des preußischen Ministerpräsidenten keiner Beachtung. Erst in dem Augen¬
blick als Disraeli 1874 die Regierung übernahm, besetzte England die dem
Südteil der Küste des heutigen Schutzgebietes vorgelagerten guanoreichen Pinguien-
inseln. und bald (1879) wehte auch die britische Flagge über der Walfischbai,
dem einzigen natürlichen Eingangshafen des Hinterlandes. Weder Lüderitzbucht
noch Swakopmund konnten später, als 1884 durch Bismarcks Eingreifen Süd¬
westafrika deutscher Besitz geworden war, trotz aller großartigen Kunstbauten
den Mangel eines natürlichen Eingar.gstores in das Innere ersetzen. Es wäre
ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wenn es einmal möglich sein würde, diese
englischen Vorposten-Inseln und den britischen Küstenwachplatz, der in selner
politischen Abgeschlossenheit gar keine Bedeutung hat, aus dem Körper der
teuschen Kolonie zu entfernen. Wenn auch die Inseln kein unmittelbares Hemm¬
nis find, die WaZfischbai nur in beschränktem Maße ein solches darstellt, so
würde doch eine freiere Entwicklung der Kolonie, ich möchte sagen, ein freieres
Atmen einsetzen können, wenn sie nicht englisch wären. Einer das eben er¬
worbene Küstengebiet bedrohenden englischen Umklammerung konnte Bismarck
noch rechtzeitig zuvorkommen, indem er am 12. August 1884. fünf Tage nach
der amtlichen Erklärung der Protektoratsübernähme über Lüderitzland, auch
das nördlich der Walsischbai bis 18 Grad s. Br. gelegene Gebiet als unter
deutschem Schutz stehend erklärte. Damit war die in den ersten Augusttagen
drohende Gefahr einer Besetzung durch England durch ein frisches Zugreifen
beseitigt. Einen Monat später erkannte England die deutsche Schutzherrschaft
über die Küste vom Oranjefluß bis zum Kumme an, behielt aber die kleinen
Küsten in sein und die Walfischbai in seinem Besitz.

Bedenklicher für die Kolonie als diese immerhin kaum spürbare englische
Umklammerung von der Seeseite ist die vom Binnenlande aus. Schon die
gemäß den Längen- und Breitenkreisen mathematisch zugeschnittenen Grenzlinien
lassen erkennen, daß auch hier wie in fast ganz Afrika die jetzigen Territorial¬
grenzen nur Notbehelfe sind, daß ihre endgültige Festlegung einer späteren
Zeit vorbehalten ist. Gerade für Südwest wäre eine solche endgültige Regelung,
die mehr Rücksicht aus die geographische Eigenart des Landes, auf seine oro-
graphischen, hydrographischen und völkischen Verhältnisse nimmt als die auf
dem Papier am grünen Tisch gezogenen Linien, recht wünschenswert. Möge
dieser Tag nicht mehr allzu fern sein! Gegen Norden nach portugiesischem Gebiete
zu gibt der Kumme in seinem Unterlauf und der Kubanyo in seinem Mittel¬
lauf die allgemeinen Richtlinien, gegen Süden dürfte kaum eine andere Grenz-
sührung als heute zu erwarten sein- Allerdings müßte das zum mindesten
höchst merkwürdige Erzeugnis hilfloser Diplomatie verschwinden: die Grenze
am Nordufer des Oranje. Solange sie nicht in die Mitte des Stromes ver¬
legt ist. hat Deutsch-Südwest-Afrika in der Tat keinen Anteil an Segnungen
des Stromes. Völlig ohne geographische Rücksicht ist die Ostgrenze gezogen.


Deutschland und England in Afrika

merksamkeit zu. Das damals liberale britische Kabinett würdigte diesem Vor¬
gehen des preußischen Ministerpräsidenten keiner Beachtung. Erst in dem Augen¬
blick als Disraeli 1874 die Regierung übernahm, besetzte England die dem
Südteil der Küste des heutigen Schutzgebietes vorgelagerten guanoreichen Pinguien-
inseln. und bald (1879) wehte auch die britische Flagge über der Walfischbai,
dem einzigen natürlichen Eingangshafen des Hinterlandes. Weder Lüderitzbucht
noch Swakopmund konnten später, als 1884 durch Bismarcks Eingreifen Süd¬
westafrika deutscher Besitz geworden war, trotz aller großartigen Kunstbauten
den Mangel eines natürlichen Eingar.gstores in das Innere ersetzen. Es wäre
ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wenn es einmal möglich sein würde, diese
englischen Vorposten-Inseln und den britischen Küstenwachplatz, der in selner
politischen Abgeschlossenheit gar keine Bedeutung hat, aus dem Körper der
teuschen Kolonie zu entfernen. Wenn auch die Inseln kein unmittelbares Hemm¬
nis find, die WaZfischbai nur in beschränktem Maße ein solches darstellt, so
würde doch eine freiere Entwicklung der Kolonie, ich möchte sagen, ein freieres
Atmen einsetzen können, wenn sie nicht englisch wären. Einer das eben er¬
worbene Küstengebiet bedrohenden englischen Umklammerung konnte Bismarck
noch rechtzeitig zuvorkommen, indem er am 12. August 1884. fünf Tage nach
der amtlichen Erklärung der Protektoratsübernähme über Lüderitzland, auch
das nördlich der Walsischbai bis 18 Grad s. Br. gelegene Gebiet als unter
deutschem Schutz stehend erklärte. Damit war die in den ersten Augusttagen
drohende Gefahr einer Besetzung durch England durch ein frisches Zugreifen
beseitigt. Einen Monat später erkannte England die deutsche Schutzherrschaft
über die Küste vom Oranjefluß bis zum Kumme an, behielt aber die kleinen
Küsten in sein und die Walfischbai in seinem Besitz.

Bedenklicher für die Kolonie als diese immerhin kaum spürbare englische
Umklammerung von der Seeseite ist die vom Binnenlande aus. Schon die
gemäß den Längen- und Breitenkreisen mathematisch zugeschnittenen Grenzlinien
lassen erkennen, daß auch hier wie in fast ganz Afrika die jetzigen Territorial¬
grenzen nur Notbehelfe sind, daß ihre endgültige Festlegung einer späteren
Zeit vorbehalten ist. Gerade für Südwest wäre eine solche endgültige Regelung,
die mehr Rücksicht aus die geographische Eigenart des Landes, auf seine oro-
graphischen, hydrographischen und völkischen Verhältnisse nimmt als die auf
dem Papier am grünen Tisch gezogenen Linien, recht wünschenswert. Möge
dieser Tag nicht mehr allzu fern sein! Gegen Norden nach portugiesischem Gebiete
zu gibt der Kumme in seinem Unterlauf und der Kubanyo in seinem Mittel¬
lauf die allgemeinen Richtlinien, gegen Süden dürfte kaum eine andere Grenz-
sührung als heute zu erwarten sein- Allerdings müßte das zum mindesten
höchst merkwürdige Erzeugnis hilfloser Diplomatie verschwinden: die Grenze
am Nordufer des Oranje. Solange sie nicht in die Mitte des Stromes ver¬
legt ist. hat Deutsch-Südwest-Afrika in der Tat keinen Anteil an Segnungen
des Stromes. Völlig ohne geographische Rücksicht ist die Ostgrenze gezogen.


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[0312] Deutschland und England in Afrika merksamkeit zu. Das damals liberale britische Kabinett würdigte diesem Vor¬ gehen des preußischen Ministerpräsidenten keiner Beachtung. Erst in dem Augen¬ blick als Disraeli 1874 die Regierung übernahm, besetzte England die dem Südteil der Küste des heutigen Schutzgebietes vorgelagerten guanoreichen Pinguien- inseln. und bald (1879) wehte auch die britische Flagge über der Walfischbai, dem einzigen natürlichen Eingangshafen des Hinterlandes. Weder Lüderitzbucht noch Swakopmund konnten später, als 1884 durch Bismarcks Eingreifen Süd¬ westafrika deutscher Besitz geworden war, trotz aller großartigen Kunstbauten den Mangel eines natürlichen Eingar.gstores in das Innere ersetzen. Es wäre ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wenn es einmal möglich sein würde, diese englischen Vorposten-Inseln und den britischen Küstenwachplatz, der in selner politischen Abgeschlossenheit gar keine Bedeutung hat, aus dem Körper der teuschen Kolonie zu entfernen. Wenn auch die Inseln kein unmittelbares Hemm¬ nis find, die WaZfischbai nur in beschränktem Maße ein solches darstellt, so würde doch eine freiere Entwicklung der Kolonie, ich möchte sagen, ein freieres Atmen einsetzen können, wenn sie nicht englisch wären. Einer das eben er¬ worbene Küstengebiet bedrohenden englischen Umklammerung konnte Bismarck noch rechtzeitig zuvorkommen, indem er am 12. August 1884. fünf Tage nach der amtlichen Erklärung der Protektoratsübernähme über Lüderitzland, auch das nördlich der Walsischbai bis 18 Grad s. Br. gelegene Gebiet als unter deutschem Schutz stehend erklärte. Damit war die in den ersten Augusttagen drohende Gefahr einer Besetzung durch England durch ein frisches Zugreifen beseitigt. Einen Monat später erkannte England die deutsche Schutzherrschaft über die Küste vom Oranjefluß bis zum Kumme an, behielt aber die kleinen Küsten in sein und die Walfischbai in seinem Besitz. Bedenklicher für die Kolonie als diese immerhin kaum spürbare englische Umklammerung von der Seeseite ist die vom Binnenlande aus. Schon die gemäß den Längen- und Breitenkreisen mathematisch zugeschnittenen Grenzlinien lassen erkennen, daß auch hier wie in fast ganz Afrika die jetzigen Territorial¬ grenzen nur Notbehelfe sind, daß ihre endgültige Festlegung einer späteren Zeit vorbehalten ist. Gerade für Südwest wäre eine solche endgültige Regelung, die mehr Rücksicht aus die geographische Eigenart des Landes, auf seine oro- graphischen, hydrographischen und völkischen Verhältnisse nimmt als die auf dem Papier am grünen Tisch gezogenen Linien, recht wünschenswert. Möge dieser Tag nicht mehr allzu fern sein! Gegen Norden nach portugiesischem Gebiete zu gibt der Kumme in seinem Unterlauf und der Kubanyo in seinem Mittel¬ lauf die allgemeinen Richtlinien, gegen Süden dürfte kaum eine andere Grenz- sührung als heute zu erwarten sein- Allerdings müßte das zum mindesten höchst merkwürdige Erzeugnis hilfloser Diplomatie verschwinden: die Grenze am Nordufer des Oranje. Solange sie nicht in die Mitte des Stromes ver¬ legt ist. hat Deutsch-Südwest-Afrika in der Tat keinen Anteil an Segnungen des Stromes. Völlig ohne geographische Rücksicht ist die Ostgrenze gezogen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/312>, abgerufen am 23.07.2024.