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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Schutzgebiete in Europa

diene die deutsche Ansiedlungstätigkeit zur Protestantifierung bisher katholischer
Landesteile. Ebenso wird jeder konfessionelle Gegensatz zwischen den deutschen
Einwanderern und der einheimischen Bevölkerung von vornherein unterbunden,
sie fühlen sich beide gegenüber der bisherigen russischen Fremdherrschaft und
dem Glaubensdrucke der Orthodoxie der russischen Kirche als Glaubens genossen.
Das fördert die innere Annäherung und schafft der höheren deutschen Kultur
auch unter der einheimischen Bevölkerung der Litauer und Letten, die ja an
sich schon den Germanen stammverwandt sind, freie Bahn. Von einem Gegen¬
satze gegen das deutsche Staatswesen wird man dann hoffentlich ebensowenig
etwas verspüren, wie unter den stets staatstreuen Litauern Ostpreußens.

Mit der fortschreitenden deutschen Besiedelung von Litauen und Kurland
können dann allmählich in beiden Schutzgebieten Einrichtungen kommunaler und
staatlicher Selbstverwaltung unter vollständiger Schonung der einheimischen Be¬
völkerung entwickelt werden. Damit reift das neue Deutschland im Osten all¬
mählich zur vollen Einverleibung in den staatlichen Organismus des Reiches
heran.

Ganz andere Wege sind hinwiederum in dem Gebiete einzuschlagen, das
als unnatürliches staatliches Zwittergebilde bisher Belgien hieß"').

Darüber kann kein Zweifel sein, daß die künftige Sicherheit Deutschlands
an seiner Westgrenze die politische, militärische und wirtschaftliche Beherrschung
Belgiens zur bitteren Notwendigkeit macht. Aber ebensowenig kann bei d-r
Fremdartigkeit und Feindseligkeit der belgischen Bevölkerung von einer Ein¬
verleibung Belgiens nach Art derjenigen Elsaß-Lothringens die Rede sein.
Zwischen beiden politischen Tatsachen gilt es also einen Weg zu finden, der
auch nur in einer schutzgebietsähnlichen Organisation liegen kann.

Von den künftigen Schutzgebieten des Ostens unterscheidet sich aber das
dicht bevölkerte belgische Land dadurch, daß es keinerlei Raum für eine deutsche
Ansiedelung bietet. Abgesehen von den Deutschen, die durch Heer und Beamten¬
tum und durch wirtschaftliche Unternehmungen nach Belgien gezogen werdes. ist
also nur mit der einheimischen Bevölkerung zu rechnen.

Diese ist aber an sich zwiespältig. Vlamen und Wallonen waren durch
das englisch-französische Kunstgebilde des belgischen Staates zusammengeschweißt
und hätten sich auch ohnehin über kurz oder lang getrennt, wenn das deutsche
Schwert nicht dem belgischen Staate ein Ende bereitet hätte. Deutscherseits
liegt kein Anlaß vor, die Kunstschöpfung weiter aufrecht zu erhalten, aus der
beide Nationalitäten herausstreben.

Damit ergeben sich zwei Schutzgebiete nach der Sprachgrenze, Vlamland
und Wallonei, innerhalb deren unter deutscher Herrschaft die Bevölkerung all¬
mählich von der Gemeinde aufwärts zur Betätigung am öffentlichen Leben heran-



Vgl. darüber meine Schrift "Belgiens Vergangenheit und Zukunft", Berlin 1S17,
Verlag der Grenzboten.
Deutsche Schutzgebiete in Europa

diene die deutsche Ansiedlungstätigkeit zur Protestantifierung bisher katholischer
Landesteile. Ebenso wird jeder konfessionelle Gegensatz zwischen den deutschen
Einwanderern und der einheimischen Bevölkerung von vornherein unterbunden,
sie fühlen sich beide gegenüber der bisherigen russischen Fremdherrschaft und
dem Glaubensdrucke der Orthodoxie der russischen Kirche als Glaubens genossen.
Das fördert die innere Annäherung und schafft der höheren deutschen Kultur
auch unter der einheimischen Bevölkerung der Litauer und Letten, die ja an
sich schon den Germanen stammverwandt sind, freie Bahn. Von einem Gegen¬
satze gegen das deutsche Staatswesen wird man dann hoffentlich ebensowenig
etwas verspüren, wie unter den stets staatstreuen Litauern Ostpreußens.

Mit der fortschreitenden deutschen Besiedelung von Litauen und Kurland
können dann allmählich in beiden Schutzgebieten Einrichtungen kommunaler und
staatlicher Selbstverwaltung unter vollständiger Schonung der einheimischen Be¬
völkerung entwickelt werden. Damit reift das neue Deutschland im Osten all¬
mählich zur vollen Einverleibung in den staatlichen Organismus des Reiches
heran.

Ganz andere Wege sind hinwiederum in dem Gebiete einzuschlagen, das
als unnatürliches staatliches Zwittergebilde bisher Belgien hieß"').

Darüber kann kein Zweifel sein, daß die künftige Sicherheit Deutschlands
an seiner Westgrenze die politische, militärische und wirtschaftliche Beherrschung
Belgiens zur bitteren Notwendigkeit macht. Aber ebensowenig kann bei d-r
Fremdartigkeit und Feindseligkeit der belgischen Bevölkerung von einer Ein¬
verleibung Belgiens nach Art derjenigen Elsaß-Lothringens die Rede sein.
Zwischen beiden politischen Tatsachen gilt es also einen Weg zu finden, der
auch nur in einer schutzgebietsähnlichen Organisation liegen kann.

Von den künftigen Schutzgebieten des Ostens unterscheidet sich aber das
dicht bevölkerte belgische Land dadurch, daß es keinerlei Raum für eine deutsche
Ansiedelung bietet. Abgesehen von den Deutschen, die durch Heer und Beamten¬
tum und durch wirtschaftliche Unternehmungen nach Belgien gezogen werdes. ist
also nur mit der einheimischen Bevölkerung zu rechnen.

Diese ist aber an sich zwiespältig. Vlamen und Wallonen waren durch
das englisch-französische Kunstgebilde des belgischen Staates zusammengeschweißt
und hätten sich auch ohnehin über kurz oder lang getrennt, wenn das deutsche
Schwert nicht dem belgischen Staate ein Ende bereitet hätte. Deutscherseits
liegt kein Anlaß vor, die Kunstschöpfung weiter aufrecht zu erhalten, aus der
beide Nationalitäten herausstreben.

Damit ergeben sich zwei Schutzgebiete nach der Sprachgrenze, Vlamland
und Wallonei, innerhalb deren unter deutscher Herrschaft die Bevölkerung all¬
mählich von der Gemeinde aufwärts zur Betätigung am öffentlichen Leben heran-



Vgl. darüber meine Schrift „Belgiens Vergangenheit und Zukunft", Berlin 1S17,
Verlag der Grenzboten.
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[0306] Deutsche Schutzgebiete in Europa diene die deutsche Ansiedlungstätigkeit zur Protestantifierung bisher katholischer Landesteile. Ebenso wird jeder konfessionelle Gegensatz zwischen den deutschen Einwanderern und der einheimischen Bevölkerung von vornherein unterbunden, sie fühlen sich beide gegenüber der bisherigen russischen Fremdherrschaft und dem Glaubensdrucke der Orthodoxie der russischen Kirche als Glaubens genossen. Das fördert die innere Annäherung und schafft der höheren deutschen Kultur auch unter der einheimischen Bevölkerung der Litauer und Letten, die ja an sich schon den Germanen stammverwandt sind, freie Bahn. Von einem Gegen¬ satze gegen das deutsche Staatswesen wird man dann hoffentlich ebensowenig etwas verspüren, wie unter den stets staatstreuen Litauern Ostpreußens. Mit der fortschreitenden deutschen Besiedelung von Litauen und Kurland können dann allmählich in beiden Schutzgebieten Einrichtungen kommunaler und staatlicher Selbstverwaltung unter vollständiger Schonung der einheimischen Be¬ völkerung entwickelt werden. Damit reift das neue Deutschland im Osten all¬ mählich zur vollen Einverleibung in den staatlichen Organismus des Reiches heran. Ganz andere Wege sind hinwiederum in dem Gebiete einzuschlagen, das als unnatürliches staatliches Zwittergebilde bisher Belgien hieß"'). Darüber kann kein Zweifel sein, daß die künftige Sicherheit Deutschlands an seiner Westgrenze die politische, militärische und wirtschaftliche Beherrschung Belgiens zur bitteren Notwendigkeit macht. Aber ebensowenig kann bei d-r Fremdartigkeit und Feindseligkeit der belgischen Bevölkerung von einer Ein¬ verleibung Belgiens nach Art derjenigen Elsaß-Lothringens die Rede sein. Zwischen beiden politischen Tatsachen gilt es also einen Weg zu finden, der auch nur in einer schutzgebietsähnlichen Organisation liegen kann. Von den künftigen Schutzgebieten des Ostens unterscheidet sich aber das dicht bevölkerte belgische Land dadurch, daß es keinerlei Raum für eine deutsche Ansiedelung bietet. Abgesehen von den Deutschen, die durch Heer und Beamten¬ tum und durch wirtschaftliche Unternehmungen nach Belgien gezogen werdes. ist also nur mit der einheimischen Bevölkerung zu rechnen. Diese ist aber an sich zwiespältig. Vlamen und Wallonen waren durch das englisch-französische Kunstgebilde des belgischen Staates zusammengeschweißt und hätten sich auch ohnehin über kurz oder lang getrennt, wenn das deutsche Schwert nicht dem belgischen Staate ein Ende bereitet hätte. Deutscherseits liegt kein Anlaß vor, die Kunstschöpfung weiter aufrecht zu erhalten, aus der beide Nationalitäten herausstreben. Damit ergeben sich zwei Schutzgebiete nach der Sprachgrenze, Vlamland und Wallonei, innerhalb deren unter deutscher Herrschaft die Bevölkerung all¬ mählich von der Gemeinde aufwärts zur Betätigung am öffentlichen Leben heran- Vgl. darüber meine Schrift „Belgiens Vergangenheit und Zukunft", Berlin 1S17, Verlag der Grenzboten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/306>, abgerufen am 23.07.2024.