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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit

Aber Herder wurde nicht nur Rigaer Patriot und wünschte an der Stadt
Gedeihen mitzuarbeiten, "wo man mit Fleiß und Nutzbarkeit die Feinheit, mit
Freundschaft und Bequemlichkeit Wohlstand, mit Freiheit Gehorsam, mit dem
rechten Glauben das Denken, mit den Welttugenden die Grazie verbindet",
sondern er wurde zugleich auch russischer Patriot. Und dieser russische Patriotismus
Herders kann uns bezeichnend sein sür die Doppelstellung des gesamten Deutsch¬
tums im Baltenlande jener Tage: es war echt deutsch nach Herkunft und Geist,
trotz alledem aber gut russisch gesinnt. So wie die Rigeuser die Kaiserin
Katharina in ihrer Stadt begeistert begrüßt hatten, so besingt auch Herder in
dem Hymnus "Auf Katharinas Thronbesteigung" (27. Juni 1765) jene Fürstin:

Er feiert sie als "Monarchin, Mutter. Kaiserin, Europens Schiedsrichterin":

So ruft denn Herder am Schlüsse dieser überschwenglichen Hymne:

Wenn wir heute solche lächerliche Schmeichelei und verwegenste Speichelleckerei
im Gewände der hochtrabendsten Phrasen lesen, -- die noch dazu von Harn
als "ehrlichster Enthusiasmus" in der "Sprache der ausgesuchtesten Schmeichelei"
erklärt wird, -- so will es uns fast wie Scham ergreifen, daß ein Deutscher
und dazu noch ein Führer im Reiche deutschen Geistes, je so etwas schreiben
konnte, schreiben konnte mit Beziehung auf eine russische Herrscherin. Und doch
muß dieser Stil dem allgemein in Riga üblichen entsprochen haben; denn ein
ähnlicher Ton findet sich in Herders: "Lobgesang am Neujahrsfeste", der den
Jahrgang 1765 der Rigaer "Gelehrtenbeiträge", eines Beiblattes zu der
angesehenen Rigaer Wochenschrift "Rigaische Gelehrte Anzeigen", eröffnete. Der
Überschwang der Sprache mag wohl zum Teil dem Stile des jugendlichen Herder
aufs Konto zu schreiben sein: der Inhalt selbst entsprach aber sicherlich der


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Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit

Aber Herder wurde nicht nur Rigaer Patriot und wünschte an der Stadt
Gedeihen mitzuarbeiten, „wo man mit Fleiß und Nutzbarkeit die Feinheit, mit
Freundschaft und Bequemlichkeit Wohlstand, mit Freiheit Gehorsam, mit dem
rechten Glauben das Denken, mit den Welttugenden die Grazie verbindet",
sondern er wurde zugleich auch russischer Patriot. Und dieser russische Patriotismus
Herders kann uns bezeichnend sein sür die Doppelstellung des gesamten Deutsch¬
tums im Baltenlande jener Tage: es war echt deutsch nach Herkunft und Geist,
trotz alledem aber gut russisch gesinnt. So wie die Rigeuser die Kaiserin
Katharina in ihrer Stadt begeistert begrüßt hatten, so besingt auch Herder in
dem Hymnus „Auf Katharinas Thronbesteigung" (27. Juni 1765) jene Fürstin:

Er feiert sie als „Monarchin, Mutter. Kaiserin, Europens Schiedsrichterin":

So ruft denn Herder am Schlüsse dieser überschwenglichen Hymne:

Wenn wir heute solche lächerliche Schmeichelei und verwegenste Speichelleckerei
im Gewände der hochtrabendsten Phrasen lesen, — die noch dazu von Harn
als „ehrlichster Enthusiasmus" in der „Sprache der ausgesuchtesten Schmeichelei"
erklärt wird, — so will es uns fast wie Scham ergreifen, daß ein Deutscher
und dazu noch ein Führer im Reiche deutschen Geistes, je so etwas schreiben
konnte, schreiben konnte mit Beziehung auf eine russische Herrscherin. Und doch
muß dieser Stil dem allgemein in Riga üblichen entsprochen haben; denn ein
ähnlicher Ton findet sich in Herders: „Lobgesang am Neujahrsfeste", der den
Jahrgang 1765 der Rigaer „Gelehrtenbeiträge", eines Beiblattes zu der
angesehenen Rigaer Wochenschrift „Rigaische Gelehrte Anzeigen", eröffnete. Der
Überschwang der Sprache mag wohl zum Teil dem Stile des jugendlichen Herder
aufs Konto zu schreiben sein: der Inhalt selbst entsprach aber sicherlich der


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[0287] Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit Aber Herder wurde nicht nur Rigaer Patriot und wünschte an der Stadt Gedeihen mitzuarbeiten, „wo man mit Fleiß und Nutzbarkeit die Feinheit, mit Freundschaft und Bequemlichkeit Wohlstand, mit Freiheit Gehorsam, mit dem rechten Glauben das Denken, mit den Welttugenden die Grazie verbindet", sondern er wurde zugleich auch russischer Patriot. Und dieser russische Patriotismus Herders kann uns bezeichnend sein sür die Doppelstellung des gesamten Deutsch¬ tums im Baltenlande jener Tage: es war echt deutsch nach Herkunft und Geist, trotz alledem aber gut russisch gesinnt. So wie die Rigeuser die Kaiserin Katharina in ihrer Stadt begeistert begrüßt hatten, so besingt auch Herder in dem Hymnus „Auf Katharinas Thronbesteigung" (27. Juni 1765) jene Fürstin: Er feiert sie als „Monarchin, Mutter. Kaiserin, Europens Schiedsrichterin": So ruft denn Herder am Schlüsse dieser überschwenglichen Hymne: Wenn wir heute solche lächerliche Schmeichelei und verwegenste Speichelleckerei im Gewände der hochtrabendsten Phrasen lesen, — die noch dazu von Harn als „ehrlichster Enthusiasmus" in der „Sprache der ausgesuchtesten Schmeichelei" erklärt wird, — so will es uns fast wie Scham ergreifen, daß ein Deutscher und dazu noch ein Führer im Reiche deutschen Geistes, je so etwas schreiben konnte, schreiben konnte mit Beziehung auf eine russische Herrscherin. Und doch muß dieser Stil dem allgemein in Riga üblichen entsprochen haben; denn ein ähnlicher Ton findet sich in Herders: „Lobgesang am Neujahrsfeste", der den Jahrgang 1765 der Rigaer „Gelehrtenbeiträge", eines Beiblattes zu der angesehenen Rigaer Wochenschrift „Rigaische Gelehrte Anzeigen", eröffnete. Der Überschwang der Sprache mag wohl zum Teil dem Stile des jugendlichen Herder aufs Konto zu schreiben sein: der Inhalt selbst entsprach aber sicherlich der 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/287>, abgerufen am 26.06.2024.