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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Der Polen Volkszahl und Sprachgebiet im russischen Anteil

Sold unterhielt, von Nord nach Süd, von den Grenzen der Wojewodschaft Wilna
bis nach Kiew ohne Unterbrechung innerhalb seiner Besitzungen reisen. Und damals
besaß sein Zeitgenosse Felix Potocki, der alternde Gatte der schönen Griechin, die
von ihm vergöttert wurde und ihn mit dem ältesten Stiefsohn betrog, so ungeheure
Länderstrecken, daß er durch Notrußland und die Ukraine 30 Meilen weit
auf eigenem Grund und Boden fuhr. Das war einmal. Seitdem ist der
adlige Grundbesitz im russischen Anteil infolge von Konfiskationen nach den
Aufständen, infolge der Bauernbefreiung und Ausstattung der Bauern mit
Land auf Grund des Ukas von 1861 und infolge massenhafter Aufteilung
adliger Güter an bäuerliche Käufer außerordentlich zusammengeschmolzen und
überdies stark verschuldet. Den Bestand im Westgebiet ergibt für 1905 die
folgende Übersicht (nach Tausenden von Deßjatinen; die Deßf. 109,25 Hektar):

Bauern- Privatgrundvesitz
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Wilna . .317736612127940163343,161943124639
Grodno .3 278668171 617461 2033710703279124
Minsk. .8 013810101946246 267664 837614 04260
Witebsk .4 064327888239213663194346129633
Mohilew .410318241619402 30466185946140234
WolhynienS772666112 299402 820492 686462 04435
Podolien .3 66727781754481 626441 44338108029
Kiew . . .4 62442492107462 092461 80141152833
40 2S738481015 0133720 6985118 7824614 87837

Wie die Schlußzahlen zeigen, besaßen im Westgebiet 1905 Staat und Kirche
10, die -- fast durchgängig nicht polnischen -- Bauern auf Grund des Ukas
von 1861 37 und die adligen Grundeigentümer fast ebensoviel, gleichfalls
37 Prozent, also ein gutes Drittel der Gesamtfläche. Wieviel adliges persön¬
liches Eigentum seit 1861 bis 1905 durch Aufteilung seitens der Agrarbank
bäuerliches persönliches Eigentum geworden war, ergibt sich aus der Differenz
der letzten und der vorletzten Rubrik, für Kowno also 8, für das ganze West¬
gebiet 9 Prozent. Da auf Anordnung der russischen Regierung seit 1905, wie
bekannt, sehr viel Güter zerschlagen und die Parzellen, zuerst an einheimische
"Fremdstämmige", seit 1913 an Muschiks vergeben worden sind, so ist an¬
zunehmen, daß der adlige Privatgrundbesitz heute nicht viel über ein Viertel
des gesamten Bodens des Westgebiets ausmacht. Sind diese Adligen sämtlich
Polen? Durchaus nicht. Ein erheblicher Bruchteil sind Orthodoxe oder
Protestanten, Großrussen, Kleinrussen oder Deutsche (z. B. im Norden des
Gouvernements Kowno evangelische Barone aus Kurland). Für die drei


Der Polen Volkszahl und Sprachgebiet im russischen Anteil

Sold unterhielt, von Nord nach Süd, von den Grenzen der Wojewodschaft Wilna
bis nach Kiew ohne Unterbrechung innerhalb seiner Besitzungen reisen. Und damals
besaß sein Zeitgenosse Felix Potocki, der alternde Gatte der schönen Griechin, die
von ihm vergöttert wurde und ihn mit dem ältesten Stiefsohn betrog, so ungeheure
Länderstrecken, daß er durch Notrußland und die Ukraine 30 Meilen weit
auf eigenem Grund und Boden fuhr. Das war einmal. Seitdem ist der
adlige Grundbesitz im russischen Anteil infolge von Konfiskationen nach den
Aufständen, infolge der Bauernbefreiung und Ausstattung der Bauern mit
Land auf Grund des Ukas von 1861 und infolge massenhafter Aufteilung
adliger Güter an bäuerliche Käufer außerordentlich zusammengeschmolzen und
überdies stark verschuldet. Den Bestand im Westgebiet ergibt für 1905 die
folgende Übersicht (nach Tausenden von Deßjatinen; die Deßf. 109,25 Hektar):

Bauern- Privatgrundvesitz
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Wie die Schlußzahlen zeigen, besaßen im Westgebiet 1905 Staat und Kirche
10, die — fast durchgängig nicht polnischen — Bauern auf Grund des Ukas
von 1861 37 und die adligen Grundeigentümer fast ebensoviel, gleichfalls
37 Prozent, also ein gutes Drittel der Gesamtfläche. Wieviel adliges persön¬
liches Eigentum seit 1861 bis 1905 durch Aufteilung seitens der Agrarbank
bäuerliches persönliches Eigentum geworden war, ergibt sich aus der Differenz
der letzten und der vorletzten Rubrik, für Kowno also 8, für das ganze West¬
gebiet 9 Prozent. Da auf Anordnung der russischen Regierung seit 1905, wie
bekannt, sehr viel Güter zerschlagen und die Parzellen, zuerst an einheimische
„Fremdstämmige", seit 1913 an Muschiks vergeben worden sind, so ist an¬
zunehmen, daß der adlige Privatgrundbesitz heute nicht viel über ein Viertel
des gesamten Bodens des Westgebiets ausmacht. Sind diese Adligen sämtlich
Polen? Durchaus nicht. Ein erheblicher Bruchteil sind Orthodoxe oder
Protestanten, Großrussen, Kleinrussen oder Deutsche (z. B. im Norden des
Gouvernements Kowno evangelische Barone aus Kurland). Für die drei


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[0280] Der Polen Volkszahl und Sprachgebiet im russischen Anteil Sold unterhielt, von Nord nach Süd, von den Grenzen der Wojewodschaft Wilna bis nach Kiew ohne Unterbrechung innerhalb seiner Besitzungen reisen. Und damals besaß sein Zeitgenosse Felix Potocki, der alternde Gatte der schönen Griechin, die von ihm vergöttert wurde und ihn mit dem ältesten Stiefsohn betrog, so ungeheure Länderstrecken, daß er durch Notrußland und die Ukraine 30 Meilen weit auf eigenem Grund und Boden fuhr. Das war einmal. Seitdem ist der adlige Grundbesitz im russischen Anteil infolge von Konfiskationen nach den Aufständen, infolge der Bauernbefreiung und Ausstattung der Bauern mit Land auf Grund des Ukas von 1861 und infolge massenhafter Aufteilung adliger Güter an bäuerliche Käufer außerordentlich zusammengeschmolzen und überdies stark verschuldet. Den Bestand im Westgebiet ergibt für 1905 die folgende Übersicht (nach Tausenden von Deßjatinen; die Deßf. 109,25 Hektar): Bauern- Privatgrundvesitz Gou¬ vernementBoden¬ flücheStaats- »ut Kirchen- SesihProzentland (auf Grund des Ukas von 186l)Prozent^ ?« «-N LProzentPersön¬liches <EigentumProzentPersönl.adligesEigentumProzent Kowno, .3 57723871 S10461728481726481 64140 Wilna . .317736612127940163343,161943124639 Grodno .3 278668171 617461 2033710703279124 Minsk. .8 013810101946246 267664 837614 04260 Witebsk .4 064327888239213663194346129633 Mohilew .410318241619402 30466185946140234 WolhynienS772666112 299402 820492 686462 04435 Podolien .3 66727781754481 626441 44338108029 Kiew . . .4 62442492107462 092461 80141152833 40 2S738481015 0133720 6985118 7824614 87837 Wie die Schlußzahlen zeigen, besaßen im Westgebiet 1905 Staat und Kirche 10, die — fast durchgängig nicht polnischen — Bauern auf Grund des Ukas von 1861 37 und die adligen Grundeigentümer fast ebensoviel, gleichfalls 37 Prozent, also ein gutes Drittel der Gesamtfläche. Wieviel adliges persön¬ liches Eigentum seit 1861 bis 1905 durch Aufteilung seitens der Agrarbank bäuerliches persönliches Eigentum geworden war, ergibt sich aus der Differenz der letzten und der vorletzten Rubrik, für Kowno also 8, für das ganze West¬ gebiet 9 Prozent. Da auf Anordnung der russischen Regierung seit 1905, wie bekannt, sehr viel Güter zerschlagen und die Parzellen, zuerst an einheimische „Fremdstämmige", seit 1913 an Muschiks vergeben worden sind, so ist an¬ zunehmen, daß der adlige Privatgrundbesitz heute nicht viel über ein Viertel des gesamten Bodens des Westgebiets ausmacht. Sind diese Adligen sämtlich Polen? Durchaus nicht. Ein erheblicher Bruchteil sind Orthodoxe oder Protestanten, Großrussen, Kleinrussen oder Deutsche (z. B. im Norden des Gouvernements Kowno evangelische Barone aus Kurland). Für die drei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/280>, abgerufen am 29.06.2024.