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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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hätte sein können. Heute muß er, der Professor, der arbiter muncli, sich ge¬
fallen lassen, daß ihm die schwedische Regierung auseinandersetzt, was "neutral"
zu sein eigentlich heißt. Heute fragen ihn wirklich neutrale Blätter, warum
er mit zweierlei Maß mißt; warum die Amerikaner, die auf das Recht freier
Fahrt für amerikanische Fahrzeuge pochen, dieses Recht nicht durch die Fahrt
nach Hamburg, Stettin oder Trieft beweisen, Es wäre fast widersinnig, wenn
es deshalb zum Bruch zwischen uns und der Union gekommen wäre, weil
unsere Maßnahmen das Leben der Amerikaner gefährden, die sich in das
Seekriegsgebiet wagen, nachdem England zuvor noch weit schlimmere Maßnahmen,
z. B. das Legen von offenen Minen in der Nordsee, getroffen hat. Wilson mußte
aber vom amerikanischen Standpunkt aus einen Konflikt mit Deutschland
als willkommene Gelegenheit ergreifen, um nicht nur ungeheuere Rüstungen
zur See, sondern auch ähnliche zu Land zu betreiben; Schritte, die sich schein¬
bar gegen einen deutschen, in Wirklichkeit aber gegen einen künftigen japanischen
Angriff richten. Bisher befand sich Wilson in der unangenehmen Lage, einer¬
seits die Schalmei des Pazifismus anzustimmen, gleichzeitig aber auf der anderen
Seite den militärischen Geist der Amerikaner wecken zu müssen. Jetzt kann er
das unbesorgtHund unbehindert tun; und es ist vielleicht die größte Ironie der
Weltgeschichte, daß sich in diesem Kriege nicht nur England, sondern auch das
noch viel mehr dem Pazifismus huldigende Nordamerika zu dem so verlästerten
"Militarismus" bekehren mußte.

Aber all dies allein erklärt nicht den Schritt, zu dem sich Wilson uns
gegenüber entschlossen hat. Es muß ein zwischen der Union und England
abgekartetes Spiel vorliegen; es müssen Abmachungen zwischen beiden bestehen,
nach denen Nordamerika verpflichtet war, England in der größten Gefahr bei¬
zuspringen, die sich diesem jemals genaht hat. Dafür besitzen wir heute auch
noch einige authentische Zeugnisse,

Die "Bayerische Staatszeitung" brachte jüngst unter der Überschrift: "Ein
geheimes Bündnis Amerikas und Englands gegen Japan und Deutschland" eine
Mitteilung, laut der bei einem Festessen der frühere Präsident Roosevelt erklärt
hätte, Amerika hoffe, daß England die Dienste Amerikas während des Welt¬
krieges nicht vergessen werde, und daß sich England bei der über kurz oder lang
erfolgenden Auseinandersetzung zwischen Amerika und Japan genau so wohl¬
wollend gegen Amerika zeigen werde. -- Ebenso enthielt die schwedische
Zeitung "Nya Daglight Allehcmda" am 8. Februar eine Mitteilung aus
Amerika: seitdem Japan begonnen hätte, China zu vergewaltigen, hätten die
Vereinigten Staaten mit England einen bindenden Vertrag abgeschlossen, daß
sie nach dem europäischen Kriege gemeinsam die ostasiatische Frage lösen wollten;
als Ersatz dafür hätten die Vereinigten Staaten England große positive Ver¬
sprechungen gemacht. Man darf jedenfalls vermuten, daß die früheren un¬
geschriebenen Abmachungen, die seit etwa 1911 zwischen England und der
Union bestanden, während des Weltkrieges zu einem bindenden Vertrag


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hätte sein können. Heute muß er, der Professor, der arbiter muncli, sich ge¬
fallen lassen, daß ihm die schwedische Regierung auseinandersetzt, was „neutral"
zu sein eigentlich heißt. Heute fragen ihn wirklich neutrale Blätter, warum
er mit zweierlei Maß mißt; warum die Amerikaner, die auf das Recht freier
Fahrt für amerikanische Fahrzeuge pochen, dieses Recht nicht durch die Fahrt
nach Hamburg, Stettin oder Trieft beweisen, Es wäre fast widersinnig, wenn
es deshalb zum Bruch zwischen uns und der Union gekommen wäre, weil
unsere Maßnahmen das Leben der Amerikaner gefährden, die sich in das
Seekriegsgebiet wagen, nachdem England zuvor noch weit schlimmere Maßnahmen,
z. B. das Legen von offenen Minen in der Nordsee, getroffen hat. Wilson mußte
aber vom amerikanischen Standpunkt aus einen Konflikt mit Deutschland
als willkommene Gelegenheit ergreifen, um nicht nur ungeheuere Rüstungen
zur See, sondern auch ähnliche zu Land zu betreiben; Schritte, die sich schein¬
bar gegen einen deutschen, in Wirklichkeit aber gegen einen künftigen japanischen
Angriff richten. Bisher befand sich Wilson in der unangenehmen Lage, einer¬
seits die Schalmei des Pazifismus anzustimmen, gleichzeitig aber auf der anderen
Seite den militärischen Geist der Amerikaner wecken zu müssen. Jetzt kann er
das unbesorgtHund unbehindert tun; und es ist vielleicht die größte Ironie der
Weltgeschichte, daß sich in diesem Kriege nicht nur England, sondern auch das
noch viel mehr dem Pazifismus huldigende Nordamerika zu dem so verlästerten
„Militarismus" bekehren mußte.

Aber all dies allein erklärt nicht den Schritt, zu dem sich Wilson uns
gegenüber entschlossen hat. Es muß ein zwischen der Union und England
abgekartetes Spiel vorliegen; es müssen Abmachungen zwischen beiden bestehen,
nach denen Nordamerika verpflichtet war, England in der größten Gefahr bei¬
zuspringen, die sich diesem jemals genaht hat. Dafür besitzen wir heute auch
noch einige authentische Zeugnisse,

Die „Bayerische Staatszeitung" brachte jüngst unter der Überschrift: „Ein
geheimes Bündnis Amerikas und Englands gegen Japan und Deutschland" eine
Mitteilung, laut der bei einem Festessen der frühere Präsident Roosevelt erklärt
hätte, Amerika hoffe, daß England die Dienste Amerikas während des Welt¬
krieges nicht vergessen werde, und daß sich England bei der über kurz oder lang
erfolgenden Auseinandersetzung zwischen Amerika und Japan genau so wohl¬
wollend gegen Amerika zeigen werde. — Ebenso enthielt die schwedische
Zeitung „Nya Daglight Allehcmda" am 8. Februar eine Mitteilung aus
Amerika: seitdem Japan begonnen hätte, China zu vergewaltigen, hätten die
Vereinigten Staaten mit England einen bindenden Vertrag abgeschlossen, daß
sie nach dem europäischen Kriege gemeinsam die ostasiatische Frage lösen wollten;
als Ersatz dafür hätten die Vereinigten Staaten England große positive Ver¬
sprechungen gemacht. Man darf jedenfalls vermuten, daß die früheren un¬
geschriebenen Abmachungen, die seit etwa 1911 zwischen England und der
Union bestanden, während des Weltkrieges zu einem bindenden Vertrag


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[0272] lvilson, Japan und wir hätte sein können. Heute muß er, der Professor, der arbiter muncli, sich ge¬ fallen lassen, daß ihm die schwedische Regierung auseinandersetzt, was „neutral" zu sein eigentlich heißt. Heute fragen ihn wirklich neutrale Blätter, warum er mit zweierlei Maß mißt; warum die Amerikaner, die auf das Recht freier Fahrt für amerikanische Fahrzeuge pochen, dieses Recht nicht durch die Fahrt nach Hamburg, Stettin oder Trieft beweisen, Es wäre fast widersinnig, wenn es deshalb zum Bruch zwischen uns und der Union gekommen wäre, weil unsere Maßnahmen das Leben der Amerikaner gefährden, die sich in das Seekriegsgebiet wagen, nachdem England zuvor noch weit schlimmere Maßnahmen, z. B. das Legen von offenen Minen in der Nordsee, getroffen hat. Wilson mußte aber vom amerikanischen Standpunkt aus einen Konflikt mit Deutschland als willkommene Gelegenheit ergreifen, um nicht nur ungeheuere Rüstungen zur See, sondern auch ähnliche zu Land zu betreiben; Schritte, die sich schein¬ bar gegen einen deutschen, in Wirklichkeit aber gegen einen künftigen japanischen Angriff richten. Bisher befand sich Wilson in der unangenehmen Lage, einer¬ seits die Schalmei des Pazifismus anzustimmen, gleichzeitig aber auf der anderen Seite den militärischen Geist der Amerikaner wecken zu müssen. Jetzt kann er das unbesorgtHund unbehindert tun; und es ist vielleicht die größte Ironie der Weltgeschichte, daß sich in diesem Kriege nicht nur England, sondern auch das noch viel mehr dem Pazifismus huldigende Nordamerika zu dem so verlästerten „Militarismus" bekehren mußte. Aber all dies allein erklärt nicht den Schritt, zu dem sich Wilson uns gegenüber entschlossen hat. Es muß ein zwischen der Union und England abgekartetes Spiel vorliegen; es müssen Abmachungen zwischen beiden bestehen, nach denen Nordamerika verpflichtet war, England in der größten Gefahr bei¬ zuspringen, die sich diesem jemals genaht hat. Dafür besitzen wir heute auch noch einige authentische Zeugnisse, Die „Bayerische Staatszeitung" brachte jüngst unter der Überschrift: „Ein geheimes Bündnis Amerikas und Englands gegen Japan und Deutschland" eine Mitteilung, laut der bei einem Festessen der frühere Präsident Roosevelt erklärt hätte, Amerika hoffe, daß England die Dienste Amerikas während des Welt¬ krieges nicht vergessen werde, und daß sich England bei der über kurz oder lang erfolgenden Auseinandersetzung zwischen Amerika und Japan genau so wohl¬ wollend gegen Amerika zeigen werde. — Ebenso enthielt die schwedische Zeitung „Nya Daglight Allehcmda" am 8. Februar eine Mitteilung aus Amerika: seitdem Japan begonnen hätte, China zu vergewaltigen, hätten die Vereinigten Staaten mit England einen bindenden Vertrag abgeschlossen, daß sie nach dem europäischen Kriege gemeinsam die ostasiatische Frage lösen wollten; als Ersatz dafür hätten die Vereinigten Staaten England große positive Ver¬ sprechungen gemacht. Man darf jedenfalls vermuten, daß die früheren un¬ geschriebenen Abmachungen, die seit etwa 1911 zwischen England und der Union bestanden, während des Weltkrieges zu einem bindenden Vertrag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/272>, abgerufen am 23.07.2024.