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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Dakornmänische Großmachtsplänc

Diese konnte von Decebalus auf ein Landgebiet gegründet werden, das im Nor¬
den weit über die Grenzen des Rumäniens, das König Karol geschaffen hatte,
hinausragte. Denn es umfaßte das dealische Reich jene von der großrumäni¬
schen Politik erst nur erstrebten, aber noch nicht von der österreichisch-ungari¬
schen Herrschaft "erlösten" Gebiete: Siebenbürgen, das Banat und Ungarn bis
zur Theiß. Wo also sicherer Besitz als geschichtliche Tatsache zur Dakerzeit
vorliegt, ist nur von wagen großrumänischen Hoffnungen König Karols zu
sprechen. Er verfügte andererseits über einen Teil der Dobrudscha und besaß
somit bereits ein Gebiet, das noch dem Decebalus als Eroberungsziel groß-
dakischer Politik vorschwebte. Sie erscheint in ihrer Entwicklung als Vorläu-
ferin der großrumänischen Eroberungspolitik und ihres Verlaufes. Freilich war
König Karols Eroberungszug von 1913 wesentlich einfacher als des Decebalus
dreijähriger Krieg mit dem römischen Kaiser Domitian. Karols Armee brauchte
nur über das wehrlose, im Kampf mit Serbien und Griechenland befindliche
Bulgarien herzufallen und ohne Kampf auf dem südlichen Donauufer bis in
die Nähe der bulgarischen Hauptstadt vorzurücken. Nach diesem militärischen
Spaziergang konnte Karol im Bukarester Frieden die rumänische Dobrudscha-
grenze auf Kosten Bulgariens vorschieben. Zar Ferdinand mußte sich infolge
seiner damaligen militärischen und politischen Lage in diesen, ihm von
der großrumänischen Eroberungspolitik aufgezwungenen schimpflichen Frie¬
den fügen. Trotz nationaler Erbitterung hat Bulgarien auch mit dem ver¬
größerten Rumänien Frieden zu halten versucht. Militärisch viel schwie¬
riger war des Decebalus großdakischer Eroberungskrieg am südlichen Donau-
ufer. Denn hier standen kampferprobte römische Legionen , die nach der
ersten überraschenden Dakerinvasion unter Fuskus Befehl offensiv vorgingen
und schließlich in Tettius Julianus einen erstklassiger Feldherrn erhielten.
Aber auch seine geniale Strategie konnte Domitians schimpflichen Frie¬
densschluß mit Dcckien nicht verhindern. Infolge neuer Thronwirren und
Chattenkämpfe mußte der Kaiser trotz aller "ationalrömischen Empörung i"
des Decebalus Friedensbedingungen willigen. Durch sie trat eine Verschiebung
der Machtverhältnisse auf dem Balkan zu Gunsten Dakiens ein, ähnlich der
im August 1913 zu Gunsten Rumäniens verwirklichten Umgestaltung. Denn
die jährlichen Tributzahlungen der Römer dienten zur Machtsteigerung Dakiens.
Mit Hilfe der von Rom im Domitianschen Frieden gestellten römischen Hand¬
werker, Ingenieure, Kriegsarchitekten und Offiziere wurde eine verstärkte Mili¬
tärmacht nach römischem Vorbild an der unteren Donau erschaffen. Trotzdem
hat Rom mit diesem vergrößerten Dakien Frieden zu halten versucht. Die
geschichtliche Entwicklung aber ging über alle Friedenszustande hinweg. Dece¬
balus konnte auf dem einmal betretenen Wege zu einem Großdakien nicht
stehen bleiben, wo es seiner Politik beliebte. Die von ihr entfesselten Gegen¬
kräfte verlangten gebieterisch eine für die damalige erste Militärmacht Europas
günstigere Machtgestaltung an der unteren Donau. Eine solche konnte aber


Dakornmänische Großmachtsplänc

Diese konnte von Decebalus auf ein Landgebiet gegründet werden, das im Nor¬
den weit über die Grenzen des Rumäniens, das König Karol geschaffen hatte,
hinausragte. Denn es umfaßte das dealische Reich jene von der großrumäni¬
schen Politik erst nur erstrebten, aber noch nicht von der österreichisch-ungari¬
schen Herrschaft „erlösten" Gebiete: Siebenbürgen, das Banat und Ungarn bis
zur Theiß. Wo also sicherer Besitz als geschichtliche Tatsache zur Dakerzeit
vorliegt, ist nur von wagen großrumänischen Hoffnungen König Karols zu
sprechen. Er verfügte andererseits über einen Teil der Dobrudscha und besaß
somit bereits ein Gebiet, das noch dem Decebalus als Eroberungsziel groß-
dakischer Politik vorschwebte. Sie erscheint in ihrer Entwicklung als Vorläu-
ferin der großrumänischen Eroberungspolitik und ihres Verlaufes. Freilich war
König Karols Eroberungszug von 1913 wesentlich einfacher als des Decebalus
dreijähriger Krieg mit dem römischen Kaiser Domitian. Karols Armee brauchte
nur über das wehrlose, im Kampf mit Serbien und Griechenland befindliche
Bulgarien herzufallen und ohne Kampf auf dem südlichen Donauufer bis in
die Nähe der bulgarischen Hauptstadt vorzurücken. Nach diesem militärischen
Spaziergang konnte Karol im Bukarester Frieden die rumänische Dobrudscha-
grenze auf Kosten Bulgariens vorschieben. Zar Ferdinand mußte sich infolge
seiner damaligen militärischen und politischen Lage in diesen, ihm von
der großrumänischen Eroberungspolitik aufgezwungenen schimpflichen Frie¬
den fügen. Trotz nationaler Erbitterung hat Bulgarien auch mit dem ver¬
größerten Rumänien Frieden zu halten versucht. Militärisch viel schwie¬
riger war des Decebalus großdakischer Eroberungskrieg am südlichen Donau-
ufer. Denn hier standen kampferprobte römische Legionen , die nach der
ersten überraschenden Dakerinvasion unter Fuskus Befehl offensiv vorgingen
und schließlich in Tettius Julianus einen erstklassiger Feldherrn erhielten.
Aber auch seine geniale Strategie konnte Domitians schimpflichen Frie¬
densschluß mit Dcckien nicht verhindern. Infolge neuer Thronwirren und
Chattenkämpfe mußte der Kaiser trotz aller «ationalrömischen Empörung i«
des Decebalus Friedensbedingungen willigen. Durch sie trat eine Verschiebung
der Machtverhältnisse auf dem Balkan zu Gunsten Dakiens ein, ähnlich der
im August 1913 zu Gunsten Rumäniens verwirklichten Umgestaltung. Denn
die jährlichen Tributzahlungen der Römer dienten zur Machtsteigerung Dakiens.
Mit Hilfe der von Rom im Domitianschen Frieden gestellten römischen Hand¬
werker, Ingenieure, Kriegsarchitekten und Offiziere wurde eine verstärkte Mili¬
tärmacht nach römischem Vorbild an der unteren Donau erschaffen. Trotzdem
hat Rom mit diesem vergrößerten Dakien Frieden zu halten versucht. Die
geschichtliche Entwicklung aber ging über alle Friedenszustande hinweg. Dece¬
balus konnte auf dem einmal betretenen Wege zu einem Großdakien nicht
stehen bleiben, wo es seiner Politik beliebte. Die von ihr entfesselten Gegen¬
kräfte verlangten gebieterisch eine für die damalige erste Militärmacht Europas
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[0229] Dakornmänische Großmachtsplänc Diese konnte von Decebalus auf ein Landgebiet gegründet werden, das im Nor¬ den weit über die Grenzen des Rumäniens, das König Karol geschaffen hatte, hinausragte. Denn es umfaßte das dealische Reich jene von der großrumäni¬ schen Politik erst nur erstrebten, aber noch nicht von der österreichisch-ungari¬ schen Herrschaft „erlösten" Gebiete: Siebenbürgen, das Banat und Ungarn bis zur Theiß. Wo also sicherer Besitz als geschichtliche Tatsache zur Dakerzeit vorliegt, ist nur von wagen großrumänischen Hoffnungen König Karols zu sprechen. Er verfügte andererseits über einen Teil der Dobrudscha und besaß somit bereits ein Gebiet, das noch dem Decebalus als Eroberungsziel groß- dakischer Politik vorschwebte. Sie erscheint in ihrer Entwicklung als Vorläu- ferin der großrumänischen Eroberungspolitik und ihres Verlaufes. Freilich war König Karols Eroberungszug von 1913 wesentlich einfacher als des Decebalus dreijähriger Krieg mit dem römischen Kaiser Domitian. Karols Armee brauchte nur über das wehrlose, im Kampf mit Serbien und Griechenland befindliche Bulgarien herzufallen und ohne Kampf auf dem südlichen Donauufer bis in die Nähe der bulgarischen Hauptstadt vorzurücken. Nach diesem militärischen Spaziergang konnte Karol im Bukarester Frieden die rumänische Dobrudscha- grenze auf Kosten Bulgariens vorschieben. Zar Ferdinand mußte sich infolge seiner damaligen militärischen und politischen Lage in diesen, ihm von der großrumänischen Eroberungspolitik aufgezwungenen schimpflichen Frie¬ den fügen. Trotz nationaler Erbitterung hat Bulgarien auch mit dem ver¬ größerten Rumänien Frieden zu halten versucht. Militärisch viel schwie¬ riger war des Decebalus großdakischer Eroberungskrieg am südlichen Donau- ufer. Denn hier standen kampferprobte römische Legionen , die nach der ersten überraschenden Dakerinvasion unter Fuskus Befehl offensiv vorgingen und schließlich in Tettius Julianus einen erstklassiger Feldherrn erhielten. Aber auch seine geniale Strategie konnte Domitians schimpflichen Frie¬ densschluß mit Dcckien nicht verhindern. Infolge neuer Thronwirren und Chattenkämpfe mußte der Kaiser trotz aller «ationalrömischen Empörung i« des Decebalus Friedensbedingungen willigen. Durch sie trat eine Verschiebung der Machtverhältnisse auf dem Balkan zu Gunsten Dakiens ein, ähnlich der im August 1913 zu Gunsten Rumäniens verwirklichten Umgestaltung. Denn die jährlichen Tributzahlungen der Römer dienten zur Machtsteigerung Dakiens. Mit Hilfe der von Rom im Domitianschen Frieden gestellten römischen Hand¬ werker, Ingenieure, Kriegsarchitekten und Offiziere wurde eine verstärkte Mili¬ tärmacht nach römischem Vorbild an der unteren Donau erschaffen. Trotzdem hat Rom mit diesem vergrößerten Dakien Frieden zu halten versucht. Die geschichtliche Entwicklung aber ging über alle Friedenszustande hinweg. Dece¬ balus konnte auf dem einmal betretenen Wege zu einem Großdakien nicht stehen bleiben, wo es seiner Politik beliebte. Die von ihr entfesselten Gegen¬ kräfte verlangten gebieterisch eine für die damalige erste Militärmacht Europas günstigere Machtgestaltung an der unteren Donau. Eine solche konnte aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/229>, abgerufen am 23.07.2024.